Seitenwechsel „Wir konnten sinnvolle Angebote schaffen"

Julie Beck studiert Soziale Arbeit an der ASH Berlin und hat ihre Feldstudienphase in einer Unterkunft für Geflüchtete in Hellersdorf gemacht. Im Interview erzählt sie über ihre Erfahrungen vor Ort

Eine mit Wasserfarben gemaltes Bild von einer Gestalt mit roten Haaren und einer lachenden Sonne im Eck oben.
Kinderzeichnungen im Seminarraum der ASH Berlin in der Unterkunft für Geflüchtete in der Maxie-Wander-Straße in Berlin Hellersdorf Barbara Halstenberg

alice Online: Wann haben Sie das Praktikum absolviert?

Beck: Ich habe zusammen mit Mirco, Nina, Shali und Magali meine Feldstudienphase von Mitte Februar bis Mitte März 2016 in der Unterkunft gemacht.

alice Online: Warum gerade in der Unterkunft?

Beck: Durch meine Teilnahme an der Werkstatt „Möglichkeiten und Grenzen Sozialer Arbeit im Rahmen restriktiver Asylpolitik im Asylbewerber*innenheim in Hellersdorf“ bei Silvia Oitner und Heiner Thiele hatte ich von Anfang an einen Bezug zu der Unterkunft. Außerdem ist es auch ein Bereich, der mich interessiert und in dem ich mir vorstellen könnte später zu arbeiten. Deshalb war die Feldstudienphase für mich eine gute Gelegenheit, einen besseren Einblick in die Unterkunft und dieses Arbeitsfeld zu bekommen.

alice Online: Welche  Aufgaben haben Sie übernommen?

Beck: Feste Aufgaben hatten wir nicht, außer dass wir die Kinderbetreuung und Hausaufgabenhilfe, die im Semester von den ASH-Studierenden angeboten wurden, weiterführen sollten. Es lag also an uns, eigene Angebote zu schaffen und Initiative zu ergreifen. Wir haben zum Beispiel Filmabende organisiert, sind mit Bewohnerinnen und Bewohnern bouldern oder mit den Kindern in die Turnhalle gegangen oder haben uns an der Wohnungsberatung im LaLoKa beteiligt. Zwischendurch haben wir auch Begleitungen gemacht oder bei den Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern hospitiert. Jeden Morgen haben wir zusätzlich den Aufenthaltsraum für einige Stunden geöffnet und für alle zugänglich gemacht. Dazu haben wir dann meistens noch Kaffee und Tee angeboten. Außerdem haben wir Brüche von Standards und mandatswidrige Strukturen oder entsprechendes Verhalten beobachtet und dokumentiert.

alice Online: Gibt es spezielle Bedarfe in der Unterkunft, die Ihnen aufgefallen sind?

Beck: Generell gibt es viele Bedarfe der Bewohner/-innen, zum Beispiel nach Deutschkursen, Unterstützung bei der Wohnungssuche und generell bei den Anträgen, oder auch nach Freizeitgestaltung. Speziell die Erwachsenen bekommen nicht viel Raum in den Angeboten in der Unterkunft – vieles ist für die Kinder, was natürlich auch wichtig ist. Trotzdem kommen die Erwachsenen meiner Meinung nach eher zu kurz.

„Der Betreiber kümmert sich nicht um Übersetzung und Sprachmittlung"

alice Online: Wie lief die Kommunikation vor Ort ab?

Beck: Die Kommunikation mit den Bewohnerinnen und Bewohnern, also auch das Informieren über Aktivitäten lief viel über Plakate mit Symbolen, Piktogrammen oder einzelnen Wörtern, die wir dann übersetzt haben. Ansonsten haben wir mit den Bewohnerinnen und Bewohnern viel mit Handzeichen kommuniziert. Viele können auch ein bisschen Deutsch oder Englisch. Außerdem haben uns die Kinder manchmal unterstützt und für ihre Eltern übersetzt, da die meisten von ihnen recht gut Deutsch sprechen. Dies stellt jedoch gleichzeitig ein großes Problem dar, denn der Betreiber kümmert sich nicht um Übersetzung und Sprachmittlung. So kommt es häufig vor, dass Kinder bei Amtsgängen für ihre Eltern übersetzen müssen und in dem Zusammenhang auch über schwierige Themen sprechen müssen, die nicht ihrem Alter entsprechen.

alice Online: Wie haben Sie die Stimmung in der Unterkunft erlebt?

Beck: Unterschiedlich. Die Kinder sind oft sehr aufgedreht und haben viel Energie; sie haben auch jedes Angebot von uns angenommen und man konnte sie so ziemlich für alles begeistern. Deshalb war mittags nach der Schule meist viel los. Morgens, wenn keine Kinder da waren, war es meist sehr ruhig.

alice Online: Wie wurden Sie selbst dort wahrgenommen?

Beck: Schwierige Frage, da man das meist selber eher schwer beurteilen kann. Die Kinder haben sich auf jeden Fall immer gefreut, wenn wir da waren. Bei den Erwachsenen bin ich mir unsicher, wie wir wahrgenommen wurden. Wir hatten ein Plakat mit Fotos von uns ausgehängt, damit die Menschen dort wissen, wer wir sind und unter welchem Kontext wir dort sind; aber ich denke, dass es sicher auch einige gab, die nicht wirklich wussten, was wir da machen oder wer wir sind. Andere sind regelmäßig morgens zu uns in den Raum gekommen, um mit uns Kaffee zu trinken und sind auch teilweise mit ihren Anträgen oder Problemen zu uns gekommen.

„Das Critical Monitoring ist ein wichtiges Element, um strukturelle Veränderungen herbeizuführen."

alice Online: Halten Sie rückblickend die Feldstudienphase für sinnvoll?

Beck: Ich glaube, dass wir sinnvolle Angebote schaffen konnten und es auch wichtig wäre, diese Angebote in Zukunft, zumindest soweit möglich, weiterzuführen. Es ist schwierig in vier Wochen grundlegende Veränderungen zu schaffen. Es braucht eine Veränderung vor Ort, weshalb gerade das Critical Monitoring ein wichtiges Element ist, was die ASH Berlin nutzen kann und muss, um strukturelle Veränderungen herbeizuführen – nicht nur auf Bezirks – sondern auch auf Landesebene.

alice Online: Wie können sich Menschen, die nicht in Unterkünften arbeiten, engagieren und helfen?

Beck: Also gerade für die Angebote die, unter anderem, von Studierenden der ASH Berlin gemacht werden, wie Hausaufgabenhilfe, Kinderbetreuung, Wohnungsberatung im LaLoKa, Deutschkurse/Sprachtandems etc. wäre es wichtig, dass eine gewisse Kontinuität erhalten bleibt. Wer also Lust hat, sich in der Unterkunft einzubringen, kann sehr gerne bei diesen Angeboten mithelfen – einfach eine E-Mail an solidaritaet@ avoid-unrequested-mailsash-berlin.eu schreiben.

alice Online: Was haben Sie aus der Zeit in der Unterkunft mitgenommen?

Beck: Für mich persönlich habe ich mitgenommen, dass ich mich auf jeden Fall noch detaillierter mit diesem Arbeitsbereich auseinandersetzen möchte.