Vom Krankenhaus zum Schulprojekt
Während meines Studiums der Sozialen Arbeit absolvierte ich mein Praxissemester im Bukit Lawang Trust Education Center (BLT), eine gemeinnützige Stiftung, die im Jahr 2003 gegründet wurde. Damals hatte eine schwere Schlammflut das Dorf Bukit Lawang komplett zerstört. Mehr als 300 Menschen kamen ums Leben, viele verloren ihre Familie, ihr Haus und ihren Arbeitsplatz. Ein Wiederaufbau war ohne finanzielle Unterstützung undenkbar. Kurz nach der Katastrophe reisten Freiwillige aus Jersey (USA) nach Bukit Lawang und errichteten ein Krankenhaus mit kostenloser Versorgung. Nach vier Jahren wurde die Klinik in ein Schulprojekt verwandelt. Dieses setzt sich dafür ein, die Bildungschancen der Gemeinde des Dorfes zu verbessern und Umwelt- und Wildtierprojekte im Zusammenhang mit dem bedrohten Gunung Leuser-Nationalpark durchzuführen. Hierzu gehört vor allem der Schutz der letzten, wildlebenden Orang-Utans.
Mehr als eintausend Kinder nahmen seit Gründung an den Bildungs- und Nachhaltigkeitsprojekten teil. Sie besuchen eine Farm, unternehmen Dschungelwanderungen, veranstalten Müllsammelaktionen und Festivals. Außerdem nehmen sie an kostenlosem Englischunterricht und Freizeitaktivitäten teil.
Starkes Team - starke Gemeinschaft
Ich arbeitete eng mit dem Team aus zwei indonesischen Lehrer_innen und drei Kindergärtner_innen zusammen. Durch Skype Interviews im Vorhinein durfte ich bereits einige Kolleg_innen kennenlernen, so dass ich schon vor der Anreise ein sehr positives Gefühl hatte, das sich vor Ort bestätigen sollte. Die Zusammenarbeit mit den Kolleg_innen war wunderbar. Ich habe noch nie während der Arbeit so viel gelacht. Der Umgang miteinander fühlte sich für mich sehr empathisch und wertschätzend an, die Stimmung empfand ich als sehr familiär. Die meisten Kolleg_innen kennen sich seit vielen Jahren, sind zusammen aufgewachsen und Teil der Community. Mit ihnen zusammen zu arbeiten, half mir sehr dabei zu erkennen, wie wichtig die Gemeinschaft an diesem Ort ist.
Zirkus im Dschungel
Meine Tätigkeiten als Praktikant waren vielfältig und spannend. Zu meinen Hauptaufgaben zählte die Planung und Durchführung der Englischstunden. Diese sollten vor allem Spaß machen und kreativ gestaltet werden. Ich arbeitete viel mit Bewegungsspielen, Liedern und digitalen Medien. Besonders Spaß machte uns das Projekt: Wir machen Zirkus! Bunte Bälle, Tücher und Diabolos flogen durch die Luft. Die Kinder drehten Hula-Hoop-Reifen bis ihnen schwindelig wurde, sie schwenkten Springseile und balancierten Teller auf Stäben. Die Materialien hatte ich in meinem Reiserucksack mitgebracht. Das Leuchten in den Augen der Kinder, als ich ihnen das erste Mal die Geräte vorführte, werde ich wohl nie vergessen. Unsere Aufführung nach zehn Wochen Vorbereitung auf einer großen Bühne war definitiv eines der Höhepunkte meines Praktikums.
Kein Tag wie der andere
Jeden Morgen starteten wir als Team mit einem gemeinsamen Frühstück in den Tag. Im Anschluss betreute ich die "Playgroup". Eine Gruppe von Kindern zwischen 2 und 4 Jahren. Diese dürfen ins Projekt kommen, um zu spielen, zu singen und erste Erfahrungen mit englischer Sprache zu sammeln. Im Anschluss bereitete ich die Englischstunden und die Nachmittagsprojekte vor. Besonders spannend fand ich die Recyclingprojekte. Beispielsweise bastelten wir Sitzsäcke gefüllt mit Plastikresten und nutzen gefüllte Plastikflaschen zum Bau von Mülleimern. An vielen Tagen fanden auch Außenaktivitäten statt. Besonders schön waren die Besuche auf Ernas ECO Farm, die Erna Wati seit vielen Jahren mit ihrer Familie betreibt. Ihr Ziel ist es, nachfolgenden Generationen Wissen rund um Naturschutz und Permakultur zu vermitteln. Mein Alltag war immer sehr abwechslungsreich und voller neuer Erfahrungen. Das Arbeiten auf einer Farm und die Ausflüge in den Dschungel waren für mich sehr intensive und prägende Erlebnisse.
Und in der Freizeit?
An vielen Nachmittagen fuhren wir als Team an den Fluss zum Baden. Mit Blick auf den Dschungel wurde gekocht und entspannt. Oft verabredete ich mich zum Fußball und Badminton spielen. Auf ausgedehnten Motorradtouren fuhr ich zu umliegenden Dörfern, Wasserfällen und Vulkanen.
Auch über die Orang-Utan Schutzprojekte und Ernas Farm erfuhr ich in meiner Freizeit mehr. Ich unternahm mehrtägige Touren in den Regenwald. Es beeindruckte mich die Orang-Utans in ihrer natürlichen Umgebung zu sichten. Gleichzeitig macht es mich traurig, dass ihr Lebensraum zunehmend gefährdet ist.
Kollektive Verantwortung
Das Praktikum in Indonesien brachte mich durch den fremd-kulturellen Kontext auch mit einem befremdlichen Teil meiner eigenen Persönlichkeit in Berührung. Besonders mein eigenes Weiß sein, meine Rolle als Europäer im globalen Süden und die damit verbundenen Privilegien spielten dabei eine Schlüsselrolle. Ich kann mir einen Aufenthalt in der Ferne leisten, den wenigsten Menschen im Dorf Bukit Lawang wird diese Chance je gewährt. So sehr ich versuchte, Augenhöhe herzustellen, so sehr blieb ich in kolonialen Kontinuitäten gefangen und die Frage bleibt offen, wer am Ende von meinem Aufenthalt profitiert!? Ich traf auf viele inspirierende Menschen, die im interkulturellen Austausch eine große Chance sehen. Ich bin sehr dankbar für die Möglichkeit und sehe es als meine Aufgabe, nachhaltig in Verbindung zu bleiben und die Vision am Leben zu halten. Auch in Bezug auf die zerstörerischen Folgen einer globalisierten Welt, welche in Bukit Lawang spürbar sind, habe ich für mich erkannt, dass es dabei nicht um individuelle Schuld, vor allem aber um eine kollektive Verantwortung geht! Besonders beeindruckend empfand ich dabei, wie viel Hoffnung und auch Vertrauen den Kindern geschenkt wird. Neben aller strukturellen Schwierigkeiten sind es rückblickend vor allem die kostenlosen, ganzheitlichen Angebote, welche die Kinder zum Lachen und Wachsen bringen, die dieses Projekt zu etwas Besonderem machen. Indonesien ist für mich ein Land der Vielfältigkeit, Naturwunder und Kontroversen.
Auslandspraktikum – das Format ist wichtig!
Ich kann jeder/jedem empfehlen, ein Praxissemester im Ausland zu absolvieren. Es ermöglicht neue Perspektiven und Haltungen. Sehr wichtig ist dabei jedoch, genau auszuwählen bei was für einem Projektformat man sich bewirbt. Die lokalen Akteur_innen sowie die Community sollten eingebunden sind.
Im Projektseminar „Glück und das gute Leben als Referenzpunkt klinischer Sozialarbeit“ beschäftigten wir uns, gemeinsam mit den Dozentinnen Prof. Dr. Theda Borde und Dr. Ingar Abels, mit Glückstheorien und Voraussetzungen für ein gutes Leben. Als besonders hilfreich empfand ich es, die Inhalte dieses Seminars in die Praxiserfahrung einzubetten: Wie kann eine Lebens- und Wirtschaftsweise aussehen, die nicht auf Kosten der Natur und anderer Menschen in Gegenwart und Zukunft geht? In Bukit Lawang versucht man gemeinsam Antworten zu finden und Alternativen zu schaffen. Zusätzlich möchte ich auf den Kurs „Vor- und Nachbereitung des Auslandsaufenthaltes“ mit Prof. Kniffki hinweisen, der für eine reflexive Auseinandersetzung mit der eigenen Praxiserfahrung sehr hilfreich war. Ein frühzeitiger Kontakt zum International Office ermöglicht zudem eine entspannte Vorbereitung und eine intensive Unterstützung.
Weitere Informationen zum Projekt: www.bukitlawangtrust.org