Bitte stellen Sie uns kurz Ihren beruflichen Hintergrund vor?
Liedholz: Ich habe an der ASH Berlin den Studiengang Soziale Arbeit im Wintersemester 2015/2016 abgeschlossen und bin seither als Lehrbeauftragter hier tätig. In der Lehre biete ich vor allem im Studiengang Soziale Arbeit Projekt- und Wahlseminare zu den Themen Nachhaltigkeit, Klimawandel, Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) und Erlebnispädagogik an. So führe ich zum Beispiel derzeit mit Prof. Johannes Kniffki ein Projektseminar mit dem Titel „Klimagerechtigkeit im Kontext globaler Machtverhältnisse“ durch. Darüber hinaus engagiere ich mich in der AG Nachhaltigkeit des Akademischen Senats.
Abseits der ASH Berlin bin ich als Sozialarbeiter in der Praxis tätig und bringe dabei das Thema Nachhaltigkeit ein. So gestaltete ich zum Beispiel für einen früheren Arbeitgeber, den Mittelhof e.V., die Fachbroschüre „Klimawandel begreifen“, die mittlerweile in den verschiedenen Einrichtungen genutzt wird. Vor diesem beruflichen Hintergrund reifte auch die Idee für mein Buch.
Kürzlich ist Ihr Buch „Berührungspunkte von Sozialer Arbeit und Klimawandel“, eine erste umfassende Bestandsaufnahme zu dem Thema, im Barbara Budrich Verlag erschienen. Welche Berührungspunkte gibt es denn da?
Liedholz: Wie Sie richtig sagen, will ich mit meinem Buch eine erste umfassendere Bestandsaufnahme zur Sozialen Arbeit und zum Klimawandel anbieten. Mir ist jedoch bewusst, dass dies nur ein erster Versuch sein kann. Ich betone das an dieser Stelle, weil ich glaube, dass ein anderer Mensch mit einem anderen Blick auf die Themen „Soziale Arbeit“ und „Klimawandel“ auch andere Berührungspunkte hätte finden können.
Bei meinem Vorgehen konzentrierte ich mich auf acht verschiedene Arbeits- und Forschungsfelder der Sozialen Arbeit und setzte diese in Verbindung mit Aspekten aus dem Klimadiskurs. So berührt meiner Meinung nach der Diskurs um Klimaflucht und Klimamigration die Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen. Postkoloniale Fragen, die sich hinsichtlich der Entstehung und der Bearbeitung des Klimawandels aufdrängen, berühren die Postkolonialen Theorien innerhalb der Sozialen Arbeit. Menschenrechtsverletzungen im Kontext des Klimawandels sind für die Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession relevant. Dazu kommen Gesundheits- und Geschlechterfragen, die im Zuge des Klimawandels verhandelt werden und zugleich einen Kernbereich der Sozialen Arbeit darstellen. Die Liste ließe sich noch weiter fortsetzen und ausbuchstabieren. Genau das mache ich im ersten Hauptteil meines Buches.
„Wer sich fragt, wie der Postkolonialismus und der Klimawandel zusammenhängen oder wie der Begriff „Klimarassismus“ verstanden werden kann, der_die wird in meinem Buch fündig.“
An wen richtet sich das Buch?
Liedholz: Zunächst einmal richtet sich mein Buch an die Studierenden, Lehrenden und Forschenden innerhalb der Sozialen Arbeit im deutschsprachigen Kontext. Wer sich aus der Sozialen Arbeit heraus wissenschaftlich mit dem Klimawandel beschäftigen möchte, findet in meinem Buch vielleicht einige Anregungen. Darüber hinaus ist es meine Hoffnung, dass sich auch manche Sozialarbeiter_innen, die in der Praxis tätig sind, von den Inhalten angesprochen fühlen. Dazu ist es vielleicht für all jene interessant, die sich grundlegend mit der sozialen Dimension des Klimawandels befassen möchten. Wer sich fragt, wie der Postkolonialismus und der Klimawandel zusammenhängen oder wie der Begriff „Klimarassismus“ verstanden werden kann, der_die wird in meinem Buch fündig.
Welche sozialarbeiterische Sicht gibt es auf den Klimawandel?
Liedholz: Da dieses Thema in der Sozialen Arbeit noch in den Kinderschuhen steckt, lässt sich diese Frage derzeit sicher nicht umfassend beantworten. Was ich mit meinem Buch vorschlage: Die Soziale Arbeit sollte den Klimawandel über Konzepte von Klimagerechtigkeit angehen und nicht über das dominante Konzept von Klimaschutz. Klimaschutz versucht in erster Linie über technische Maßnahmen den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern – mit mäßigem Erfolg. Konzepte von Klimagerechtigkeit bearbeiten hingegen die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten, Betroffenheiten und Partizipationsmöglichkeiten im Kontext des Klimawandels und fordern eine Reduktion der Treibhausgasemissionen durch die Abkehr von der fossilen, wachstumszentrierten und imperialen Lebens- und Wirtschaftsweise insbesondere im Globalen Norden. Daraus ergeben sich etliche Impulse für die Soziale Arbeit.
Damit verbunden ist ein weiterer Aspekt, den ich für eine sozialarbeiterische Sicht auf den Klimawandel für wichtig halte. Und zwar geht es um eine kritische Auseinandersetzung mit der modernen Technik, ihren Logiken und ihren Dynamiken. Der Klimaschutzdiskurs ist stark technisch geprägt. Man versucht mit noch besseren, noch tiefgreifenderen Technikvarianten den Klimawandel zu bearbeiten. Dabei wird oft übersehen, dass der Klimawandel wesentlich durch die Anwendung von Technik und dem damit verbundenen Verbrauch von fossilen Energieträgern entstanden ist. Die Soziale Arbeit sollte meines Erachtens diesen technologischen Pfad kritisch hinterfragen und sich stärker mit kulturellen und sozialen Bewältigungsstrategien wie Postwachstumsansätzen beschäftigen.
„Die Soziale Arbeit könnte selbst Klimagerechtigkeitsprojekte hervorbringen, zum Beispiel über die Gemeinwesenarbeit, und stärker darauf achten, Nachhaltigkeitskriterien in ihren eigenen Einrichtungen umzusetzen.“
Welche Handlungsspielräume hat die Soziale Arbeit in Bezug auf den Klimawandel?
Liedholz: Die Soziale Arbeit, und damit beginnt der zweite Hauptteil meines Buches, könnte sich erstens auf nationaler sowie internationaler Ebene stärker für Klimagerechtigkeitsforderungen einsetzen. Sie könnte zudem selbst Klimagerechtigkeitsprojekte hervorbringen, zum Beispiel über die Gemeinwesenarbeit, und stärker darauf achten, Nachhaltigkeitskriterien in ihren eigenen Einrichtungen umzusetzen. Dies wäre zweitens auch im Kontext von Postwachstumsansätzen bedeutsam, in denen es unter anderem um den Aufbau alternativökonomischer Strukturen geht. In Anlehnung an Niko Paech schlage ich vor, dass sich die Akteur_innen der Sozialen Arbeit an Projekten zu „Regiogeld“ beteiligen könnten. Regiogeld zeichnet sich durch eine zinslose Umlaufsicherung aus und fördert lokale Wirtschaftsstrukturen. Die Träger der Sozialen Arbeit könnten, so eine Idee, einen kleinen Teil ihrer Gehälter als Regiogeld auszahlen. Darüber hinaus sehe ich weitere mögliche Handlungsspielräume beim Austragen von Klimawandelkonflikten, bei Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel und in den Bereichen der Bildung für nachhaltige Entwicklung und der Erlebnispädagogik.
Wie kann der Klimawandel ins Studium der Sozialen Arbeit integriert werden?
Liedholz: Potenziell gibt es da etliche Möglichkeiten, nicht zuletzt, weil der Klimawandel so viele Bereiche der Sozialen Arbeit berührt. Führt man sich den Musterstudienplan der ASH Berlin im Studiengang „Soziale Arbeit“ vor Augen, so ist erstmal festzustellen, dass die Themen „Nachhaltigkeit“ und „Klimawandel“ in keinem Modul einen festen Platz haben. Neben dem Projekt- und dem Wahlmodul, in denen ich schwerpunktmäßig tätig bin, könnte ich mir das Thema Klimawandel anteilig zum Beispiel gut in den Modulen „Arbeitsfelder, Zielgruppen und Organisationen Sozialer Arbeit“, „Internationale Soziale Arbeit“, „Ethische Grundlagen der Sozialen Arbeit“ und in den „Theorie-Praxis-Vertiefungen“ vorstellen. Ich glaube, es wäre nicht verkehrt, wenn Studierende der Sozialen Arbeit an der ASH Berlin zumindest in einem Semester thematisch intensiver mit dem Klimawandel und Nachhaltigkeit in Berührung kämen.
Buchinformation:
Berührungspunkte von Sozialer Arbeit und Klimawandel
Perspektiven und Handlungsspielräume
Verlag Barbara Budrich 2020
150 S., 24,95 Euro
ISBN 978-3-8474-2465-9