Alumni Karriere in den USA

Alumna Katja Schatte studierte nach ihrem Abschluss an der ASH Berlin in den USA weiter, schreibt dort aktuell an ihrer Dissertation und arbeitet als Lektorin in deutscher Sprache, Englisch-Spanisch-Dolmetscherin und Beraterin für Language Justice

Sie haben von April 2006 bis März 2010 an der ASH Berlin Soziale Arbeit studiert. Was erinnern Sie noch besonders eindrücklich aus dieser Zeit?

Schatte: Das Projektseminar „Normalisierung“ mit María do Mar Castro Varela und Leah Czollek. Dieses Seminar hat mich an das kritische Denken im akademischen Kontext herangeführt. Gleichzeitig hat es vermittelt, wie relevant geistes- und sozialwissenschaftliche Inhalte für unser alltägliches Erleben, die politische Arbeit und nicht zuletzt die Soziale Arbeit sind. Der Stoff war anspruchsvoll, und ich habe die akademische Herausforderung geliebt. Ohne die Ermunterung von María do Mar Castro Varela, hätte ich es mir nie zugetraut, mich zum weiterführenden Studium in den USA zu bewerben. Ein weiteres Highlight meines Studiums an der ASH Berlin war das Seminar „Berlin meets Haifa“, in dem wir uns zusammen mit Studierenden der Uni Haifa mit dem Thema Familiengedächtnis und Holocaust auseinandergesetzt haben. Diese sehr persönliche Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte finde ich noch heute unheimlich wichtig, doch leider kommt sie in Bildungskontexten immer noch selten vor. Generell habe ich meine Zeit an der ASH Berlin sehr genossen. Ich mochte es, dass ich zahlreiche Kurse in englischer Sprache belegen konnte, und dass die Atmosphäre generell offener und persönlicher war als an einer großen Uni, wo ich vorher zwei Semester studiert hatte. 

 

Wie ging es nach dem Studium für Sie weiter?

Schatte: Ich habe mich um verschiedene Stipendien beworben, um für ein Masterstudium in die USA zu gehen. Ich wusste, dass ich gerne eine Dissertation schreiben wollte, war mir aber nicht klar darüber, in welchem Fach. Ich habe dann an der University of Chicago mit einem DAAD-Stipendium den Masterstudiengang Lateinamerikastudien studiert. Das Studium war sehr interdisziplinär ausgerichtet, und ich habe mich während meiner Zeit im Masterstudiengang entschieden, mich für Dissertationsprogramme in Geschichte zu bewerben. Meine Masterarbeit in Chicago beschäftigte sich mit den Motivationen und Erwartungen von Menschen, die Kuba und die DDR in den 1970er-Jahren verließen. Auch in meiner Dissertation wollte ich mich mit ostdeutscher Geschichte beschäftigen. Nach meinem Studienabschluss in Chicago habe ich für ein Jahr als Sozialarbeiterin in einem Kinder- und Jugendzentrum gearbeitet, bevor ich 2012 an die University of Washington zum Geschichtsstudium gegangen bin. Das Programm sah vor, dass ich einen zweiten Masterabschluss erwerben musste, bevor ich mit meiner Dissertation beginnen konnte, was ich dann auch gemacht habe. Mein Studium habe ich mir als Teaching Assistant und Instructor finanziert. Das brachte auch einen Erlass der beträchtlichen Studiengebühren, wie es an den großen Universitäten in den USA üblich ist. Ich habe außerdem mit der NGO University Beyond Bars Geschichte in einem Männergefängnis unterrichtet, als Teil eines Programms, das es Gefangenen ermöglicht, einen Universitätsabschluss zu machen.  Während dieser Jahre habe ich festgestellt, dass mir das Unterrichten liegt und Spaß macht. Ich habe mich dann entschlossen, noch einen Abschluss als staatlich anerkannte Sonderpädagogin auf mein Sozialarbeitsstudium draufzusetzen, während ich bereits als Sonderschullehrerin arbeitete.

 

Wo arbeiten Sie zurzeit?

Schatte: Im Moment konzentriere ich mich wieder mehr auf meine Dissertation, die ich nächstes Jahr im Frühjahr fertigstellen möchte. Sie beschäftigt sich mit jüdischem Leben in Ost-Berlin vor und unmittelbar nach der Wiedervereinigung. Im Moment unterrichte ich nicht, sondern verdiene mein Geld als Lektorin in deutscher Sprache und als Englisch-Spanisch-Dolmetscherin und -Übersetzerin und Beraterin für Language Justice (sprachliche Gerechtigkeit). Letzteres ist ein Modell, das davon ausgeht, das jeder Mensch das Recht haben sollte, in der Sprache zu kommunizieren, zu verstehen und verstanden zu werden, in der er*sie sich am wohlsten fühlt. Ich lebe mit meinem Mann und unserem kleinen Sohn in Los Angeles.

"Über 30 Millionen Menschen in den USA leben ohne Krankenversicherung, ein weiterer Teil ist unterversichert."


Worin unterscheidet sich das Leben in den USA im Vergleich zu Deutschland ganz besonders?

Schatte: Darüber könnte ich tagelang schreiben. Da ist zunächst einmal die komplette Abwesenheit eines jeglichen sozialen Netzes, das den Namen verdient. Über 30 Millionen Menschen in den USA leben ohne Krankenversicherung, ein weiterer Teil ist unterversichert. Die USA sind neben Papua-Neuguinea eines von zwei Ländern, die keinen gesetzlich festgelegten Mutterschutz und keine Elternzeit haben. Finanzielle Unsicherheit und das ständige Leben auf Kredit sind Alltag für die meisten Menschen hier. Die politische Situation, insbesondere für Einwanderer/Einwanderinnen und People of Color, hat sich noch einmal drastisch verschärft, seit Donald Trump 2017 das Amt angetreten hat. Es sind primär die Arbeit im Social Justice Bereich und der Kreis an Menschen, die ich hier sehr lieb gewonnen habe, die mich hier im Moment die Hoffnung nicht ganz verlieren lassen.

 

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Schatte: Im Moment ist alles ein wenig in der Schwebe, eben wegen der derzeitigen politischen Situation hier. Wir spielen oft mit dem Gedanken, nach Berlin zurückzugehen. Aber mein Mann spricht kein Deutsch, und wir haben beide unsere Karrieren hier. Nach mittlerweile fast zehn Jahren in den USA, habe ich oft das Gefühl, dass ich mich weder hier noch dort richtig zuhause fühle. Wir werden sehen ...

 

Welchen Tipp geben Sie unseren Studierenden mit auf den Weg?

Schatte: Nutzt all die Angebote, die es an der ASH Berlin so gibt! Ich habe das Studium immer als wahnsinnig selbstbestimmt erlebt. Auf der einen Seite bedeutete das, dass man mit wenig Aufwand durchkommen konnte. Aber auf der anderen Seite hieß das auch, dass es eine Menge Möglichkeiten gab, Dinge zu lernen, die weit über den Standardlehrplan hinausgingen. Ich hatte die Möglichkeit, in Schweden zu studieren und ein Praktikum in Französisch-Guyana zu machen. Beides erforderte viel Eigeninitiative, wurde aber von Kerstin Miersch, die damals im Auslandsamt gearbeitet hat, voll unterstützt. Neben dem Projektseminar und dem Kooperationsprojekt mit der Uni Haifa, habe ich eine Vielzahl anderer Seminare belegt, in denen wir kontrovers diskutiert haben, einige dieser Momente sind mir noch heute in Erinnerung.

Das Interview wurde im März 2020 geführt.