Gastbeitrag Gedanken zum Miteinander im Durcheinander

Die Alice Salomon Hochschule und die Stadt Berlin. Ein Gastbeitrag von Ingrid Stahmer

Portraitaufnahme von Ingrid Stahmer, die vor einer orangenen und grünen Kartons bestückten Pinnwand steht.
Ingrid Stahmer bei einem Workshop im Rahmen der Karriereplanung der ASH Berlin 2010 Susanne Hecht

 

Als Sozialarbeiterin und Honorarprofessorin an der Alice Salomon Hochschule Berlin ist eine meiner Verbindungen zur ASH Berlin das Hochschulmagazin. So fand ich in der letzten alice mindestens sechs Projekte, die das Engagement der Hochschule in der nahen Flüchtlingsunterkunft Maxie-Wander-Straße belegen. Die Erweiterung und Vertiefung in der Fokuswoche und die Kooperation mit weiteren Hochschulen, um gemeinsam in die Zukunft zu schauen, ist von besonderem Wert. Ich konnte mich auch schon durch Hilfe bei Kontakten mit den Aufsichtsbehörden in Qualitätskonflikten beteiligen.

Berliner Beirat für Zusammenhalt zur Flüchtlingspolitik

Für den Berliner Beirat für Zusammenhalt zur Flüchtlingspolitik, dem ich als frühere Sozialstadträtin (1981 bis 1989) und Senatorin für Soziales, Gesundheit, Schule, Jugend und Sport (jeweils in Legislaturperioden zwischen 1989 und 1999 zu verschiedenen Bereichen) für die SPD angehöre, sind Vermittlungen zu einer wichtigen Aufgabe geworden. Zusammen mit dem früheren Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU), dem Justizsenator a. D. Wolfgang Wieland (Bündnis 90/Die Grünen) und der früheren Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Die Linke) bilden wir ein gutes überparteiliches Team und haben bei unserer Beratung des Sozialsenators und des Senats immer wieder hervorgehoben, dass auch im derzeitigen großen Rennen nach Unterkünften für Geflüchtete die Zukunft und Integration in der Stadt von Anfang an mitgedacht werden muss.

Das von der Presse fortlaufend getreulich berichtete Hin und Her und Gegeneinander in Senat, Abgeordnetenhaus und mit den Bezirken ist Gift für den Zusammenhalt in der Stadt und Futter für die extremistischen Kräfte mit ihren einfach klingenden und doch mörderischen Thesen, die wir nicht nur in der Presse gelesen, sondern auch selbst in Anwohnerversammlungen gehört haben.

Es ist sehr zu begrüßen, dass Lehrende und Studierende – insbesondere an der ASH Berlin und den anderen Hochschulen mit sozialem Schwerpunkt – hier auch trotz der Unterbringungsdramatik über den Tellerrand hinaus beharrlich auf die Bedingungen und die Integrations-Notwendigkeiten in den Gemeinschaftsunterkünften, den Notunterkünften und den Erstaufnahme-Einrichtungen hinweisen und sich bei den Trägern tapfer unbeliebt machen. Zum Beispiel weisen sie zu Recht darauf hin, dass es eine EU-Aufnahmerichtlinie gibt, in der unter anderem Vorgaben für die besonders schutzbedürftigen Geflüchteten wie Kinder, Frauen und alleinstehende Jugendliche formuliert werden: „Übergriffe und geschlechtsbezogene Gewalt – einschließlich sexueller Übergriffe und Belästigung – müssen zuverlässig verhindert werden.“ Das gilt auch schon – und gerade – für Erstaufnahme-Einrichtungen, in denen die Grundstimmung gesetzt wird, mit der die Geflüchteten aufgenommen werden.

Beauftragte für das bürgerschaftliche Engagement

Der hoch anzuerkennende Hilfewille von Ehrenamtlichen kann nicht staatlich notwendiges Handeln aus einem Guss und mit einem positiven Willen gegenüber den Geflüchteten und den Ehrenamtlichen ersetzen. Es gibt seit dem Vorjahr einige Bemühungen in den für diese Aufgaben verstärkten Stadtteilzentren und eine Anlaufstelle in der Senatskanzlei bei der Staatssekretärin Hella Dunger-Löper als Beauftragte für das bürgerschaftliche Engagement und dort ein Landesportal unter www.berlin.de/senatskanzlei/buergeraktiv.

Nachdem ohnehin die Art der Unterkünfte durch die Menge der Hinzukommenden durcheinandergeraten ist, und die Aufenthaltsdauer wesentlich länger wird, als in den sogenannten „Standards“ zugrunde gelegt, bedarf es nicht nur der baulichen Flexibilität, sondern vor allem der personellen Verstärkung und Qualifizierung.

Das Wachpersonal

Bei zwei von den beruflichen Voraussetzungen weit auseinander liegenden Personalgruppen sehe ich besondere Probleme: Das Wachpersonal wird nicht nach menschlichen und sozialen Fähigkeiten ausgesucht oder vor dem Einsatz darin handlungsrelevant geschult. Es kann nicht nur um fixe Kurse zur Deeskalierung bei Konflikten gehen, die ja offenbar auch oft keine Wirkung entfalten. Das Wachpersonal muss die Fähigkeit zu Wertschätzung, Beziehungsaufbau und Kommunikation auf gleicher Augenhöhe haben oder spätestens beim Einsatz erwerben. Es gibt zwar Einrichtungen, in denen Teamgeist und Gemeinsamkeit zwischen allen Funktionen entstanden sind. Das sind aber meist kleinere Einrichtungen mit besonders begabtem Personal.

Mitarbeitende oder Leitende aus der professionellen Sozialarbeit oder Sozialpädagogik

In den fatalerweise zurzeit weiter erforderlichen Großunterkünften müssen vom Land und vom Träger verstärkt für diesen Bereich Hilfen gegeben werden, zum Beispiel durch gemeinsame Supervision – eine Einrichtungsleitung kann das nicht mit „Bordmitteln“ erreichen. Bei den Mitarbeitenden oder Leitenden aus der professionellen Sozialarbeit oder Sozialpädagogik ist es genau anders herum. Sie verfügen über zahlreiche erforderliche Qualitäten, die aber wegen der unzulänglichen Bemessungsschlüssel nicht zur Wirkung kommen können. Hinzu kommt die schon lange bekannte Tendenz, Sozialarbeiter/-innen als Hilfspersonen in allen Notfällen für zuständig zu erklären und sie damit herunterzuqualifizieren. Von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern wird die ganze Skala vom Management der Einrichtung und des Personals über das Trösten und Stärken der Bewohner/-innen bis zur Trauma-Behandlung erwartet. Hier wird Kompetenz missbraucht – womöglich noch zu Niedrigstpreisen! Besonders auffällig ist das in Einrichtungen für schutzbedürftige Kinder, Jugendliche und Frauen, wenn sie dann endlich einen Platz in einer solchen Einrichtung bekommen, und nicht mehr als Minderheiten in einer von Männern dominierten Gemeinschaft leben müssen.

Das hochschulpolitische Engagement kann in einer Umgebung, in der immer wieder erfolglos auf die Minimalstandards hingewiesen werden muss, nicht gedeihen. Ich hoffe, dass die ASH Berlin trotzdem ihr Engagement tapfer weiterentwickelt und bin gern bereit, dabei zu helfen, wo es nützlich sein kann.