Das Lob des Ehrenamts und des zivilgesellschaftlichen Engagements hat schon seit geraumer Zeit Konjunktur. Nichts scheint im wahrsten Sinne des Wortes ‚ehrenwerter‘ und unanfechtbarer als freiwillig erbrachte soziale Aktivitäten. Seit die weitgehend von Ehrenamtlichen und Engagierten getragene „Willkommenskultur“ in Deutschland gefeiert wird, erhält das Thema gegenwärtig zudem eine neue Brisanz: Im Sommer 2015 war Helfen plötzlich das Gebot der Stunde – zumindest für alle jene, die nicht auf Pegida-Demos ihren häufig als Besorgnis verharmlosten Rassismus in die Welt trugen. Auch wem anlässlich der BILD-Kampagne „Wir helfen!“ mulmig ob der recht eigenwilligen Koalition von Helfenden geworden sein mag, kann kaum umhinkommen die breite Palette der Hilfe anzuerkennen: Von der Unterstützung bei Behördengängen, der Versorgung mit Lebensmitteln, dem Angebot von Deutschkursen, der Vermittlung von Wohnraum bis hin zu medizinischer Betreuung – in all diesen Feldern sorgen Engagierte für das Lebensnotwendige. Als praktische Hilfe ist dieses Engagement unter den gegebenen Bedingungen in humanitärer Hinsicht alternativlos, von seiner antirassistischen Symbolkraft ganz zu schweigen.
Zugleich legt das Engagement aber auch zentrale Probleme offen. Problematisch ist nicht die Unterstützung der vielen Freiwilligen; problematisch sind die gegebenen Bedingungen der akuten Alternativlosigkeit ihres Engagements: Es sind Bedingungen, die zur Folge haben, dass Helfende nicht nur punktuell unterstützen, sondern existenzsichernde Aufgaben übernehmen, die in Zeiten proklamierter knapper Staatskassen auf sie abgewälzt werden. Tatsächlich gehen Einschnitte in sozialstaatliche Sicherungssysteme sowie die zunehmende Unterfinanzierung der öffentlichen Verwaltung und Infrastruktur bereits seit den 1990er-Jahren mit einer periodischen (Wieder)Entdeckung der Zivilgesellschaft einher, die weit über die akute Bearbeitung der Flüchtlingssituation durch Ehrenamtliche hinausweist: Im Zentrum des wohlfahrtsstaatlichen Strukturwandels steht der partielle Übergang von der staatlichen Versorgung zur Selbstsorge sowie von der öffentlichen zur privaten Sicherheitsverantwortung. Im Zuge dieser Restrukturierung gewinnt die Ausbeutung des sorgenden Potenzials unbezahlter Arbeit an Bedeutung – und genau dies beobachten wir in der aktuellen Bearbeitung der sogenannten Flüchtlingskrise in Deutschland. Was aber heißt dies für die Engagierten, wenn ihr Engagement doch faktisch unverzichtbar ist? Und was ist, wenn das Engagement Gefahr läuft, durch seine Existenz die bestehenden Verhältnisse zu zementieren, die die bearbeiteten sozialen Problemlagen erst hervorbringen?
Mit diesen Fragen und einer umfassenden Analyse der „politischen Ökonomie des Helfens“ beschäftigen sich zwei aktuelle Publikationen:
Silke van Dyk, Emma Dowling & Tine Haubner (2016): Für ein rebellisches Engagement, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Jg. 61, H. 2, S. 37–40
Silke van Dyk & Elène Misbach (2016): Zur politischen Ökonomie des Helfens. Flüchtlingspolitik und Engagement im flexiblen Kapitalismus, in: Prokla 183 (Schwerpunktheft: Ökonomie der Flucht und Migration), i. E.
Silke van Dyk ist Professorin für Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena