Claudia Winkelmann: Liebe Lena, mit Deinen Texten transportierst Du Authentizität, Hartnäckigkeit und Haltung. Das könnten Ausschnitte aus dem Leitbild der Hochschule sein. Hast Du Dich deshalb für ein Studium in Hellersdorf entschieden?
Lena Stoehr(faktor): Nein, eigentlich nicht, ich hatte nur eine begrenzte Auswahl an Möglichkeiten. Ich hatte ein Fachabi in Sozialwesen und drei Hochschulen in Berlin zur Wahl (katholische, evangelische und die ASH Berlin). Ich habe mich dann umgehört und viele Leute haben mir erzählt, dass es an der ASH Berlin viele progressive Dozent_innen und Studierende gibt. Es haben dort auch ein paar Leute studiert, die ich schon kannte. Meine Wahl lag wohl auch darin begründet, dass ich wusste, mit wem ich dann eine Raucherpause machen könnte :)
Was hast Du an der ASH Berlin studiert?
Ich habe Soziale Arbeit im Bachelor und Praxisforschung der Sozialen Arbeit im Master studiert. Nach ca. zwei Semestern habe ich ein Stipendium der Rosa-Luxemburg-Stiftung erhalten. Das hat mir sehr geholfen und den Druck rausgenommen. Ich glaube, das hat mich gerettet, da ich sonst aufgrund meiner Langsamkeit schnell Panik bekommen hätte bezüglich des BAföG.
Was erinnert Dich nach den Jahren noch besonders an Deine Studienzeit?
Ich erinnere mich noch sehr gut an manche Dozent_innen, zum Beispiel an das Gramsci-Seminar mit Maria Castro Varela und Janek Niggemann und an viele, die bei mir einige Denkanstöße angeschmissen haben: Herr Schneider, Frau Attia, Frau Walter, Frau Musfeld, Frau Beyer, zwei Gender-Dozent_innen, Julian und Sandra. Und Wolfgang Huber. Bestimmt waren es noch ein paar mehr. Das waren schöne Seminare.
Frau Musfeld hat einmal meine Überforderung in der Hochschulorganisation bemerkt und mir angeboten, einen Kaffee mit ihr zu trinken. Aus Überforderung habe ich das nicht gemacht. Aber habe das Angebot nie vergessen, weil ich das so korrekt fand.
Schlimm fand ich immer den Weg nach Hellersdorf, die Schwierigkeit, sich zu orientieren und die Hausarbeiten. Quantitative Forschungsmethoden waren auch hart. Das Thema meiner Abschlussarbeit war „Postkoloniale Theorien auf Urlaubsreisen in ehemaligen Kolonien“. Mich hatte das Thema sehr interessiert, aber ich habe bei der Bachelorarbeit gemerkt, dass wissenschaftliches Arbeiten nicht mein Ding ist. Noch positiv anzumerken waren manche Leute, mit denen ich bis heute Kontakt habe, zum Beispiel mein Kumpel Philip. Auch mein Besuch letztens beim Hochschultag war top. Die Leute waren sehr nett.
Wie ging es bis heute nach dem Studium weiter?
Ich war jahrelang Sozialarbeiterin im Mädchenstadtteilladen „ReachIna“ in Berlin Neukölln. Danach habe ich im queeren Jugendzentrum „Q*ube“, auch in Neukölln, gearbeitet. Zwischendurch war ich selbstständig als Rapperin. Seit Corona ist das vorbei, die Kulturbranche ist kaputt gemacht worden für kleinere Künstler_innen. Ich habe oft mit Sexismus zu kämpfen. Doch ein großer unterschätzter Ausschlussfaktor ist wohl Lookism und das falsche Zeitalter für Kantigkeit und Eigenartigkeit. Es gibt einen hohen Anpassungsdruck. Habe aber trotzdem viele stabile Supporter_innen.
Als Musikerin willst Du „den Dreck sichtbar machen“. Welche Verbindungen siehst Du bzw. beeinflusst die Soziale Arbeit Deine Musik und umgekehrt?
Die Soziale Arbeit lässt mich in die Realität reinschnuppern. Leider habe ich zu viel geschnuppert und einen extremen Burnout bekommen. Die Bezahlung ist ein Witz für die emotionale Belastung. Ich halte nichts vom Kapitalismus und in der Sozialen Arbeit wirst du ja ständig mit dessen Auswirkungen konfrontiert. Es ist auf persönlicher Ebene teilweise sinnvoll und macht auch Spaß. Ich mag die Klientel, aber nicht die Verhältnisse, die die Menschen klein machen. Ich möchte mich ab jetzt nicht mehr mit Problemen beschäftigen, denn ich habe zu viele eigene ;-)
Woraus schöpfst Du Deine Kreativität und Kraft als Künstlerin?
Ich höre gerne Rap und bin oft wütend. Außerdem fühle ich alles sehr intensiv. Daraus schöpfe ich Kraft. Dann gehe ich ans Mic und nehme offiziell „Rache“ :-)
Beim Hochschultag im November 2023 durfte ich Dich live erleben. Nicht nur für die Studierenden warst Du mit Deinen Texten ein Höhepunkt des gesamten Programms. Was kannst Du unseren Studierenden mit auf den Weg geben?
Danke, das ist sehr nett, mir hat es auch Spaß gemacht. Ich möchte den Studierenden mit auf den Weg geben, einen eigenen Weg zu gehen und alles zu hinterfragen. Gut finde ich immer, den Menschen zu sehen und radikal und herzlich zu sein. Nicht zu hart sein mit bemühten Menschen und nicht zu soft mit Arschlöchern. Und schult irgendwann um auf Informatik oder so, wenn ihr euch eure Miete nicht mehr leisten könnt :-) Zumindest solange der Kapitalismus nicht abgeschafft wurde.
Ganz herzlichen Dank für das Interview und alle guten Wünsche!
Danke für die Fragen. Wünsch Dir ’ne gute Zeit!
Mehr von Lena – vor allem für die Ohren – hier: https://www.lenastoehrfaktor.de/