International studieren Auslandssemester online

Die Schweizer Studentin Ladina Niggli erzählt im Interview wie es ist, gleichzeitig an zwei Orten online zu studieren und wie die ASH Berlin ihr Aktivismus-Herz neu entflammt hat

Streetartbild auf einem Haus
Streetartbild auf einem Berliner Haus

Wie kam es zu Ihrer Entscheidung, während der Pandemie ein Auslandssemester zu absolvieren? 

Niggli: Schon lange habe ich davon geträumt, einmal ein Auslandssemester machen zu können. Bereits im Bachelorstudium für Soziale Arbeit habe ich Studieninhalte anderer europäischen Hochschulen angeschaut. Dazumal hatte ich leider nicht die Möglichkeit ein Auslandssemester zu machen, weil meine Lebensumstände dies nicht zuliessen. Nun befinde ich mich am Ende meines Masterstudiums und es war für mich die letzte Gelegenheit ein Auslandssemester zu machen. Meine Lebenssituation hat sich so verändert, dass ich mir ein viermonatiges Auslandssemester einrichten konnte. Trotz Pandemiesituation wollte ich noch diese Erfahrung machen und in den internationalen Austausch mit anderen Studierenden der Sozialen Arbeit kommen – auch wenn nur online.

Was studieren Sie in der Schweiz? 

Niggli: In der Schweiz absolviere ich den Master in Sozialer Arbeit, der als Kooperationsmaster an drei verschiedenen Fachhochschulen angeboten wird. Konkret bedeutet dies, dass ich Module an der Fachhochschule in Bern, Luzern und St. Gallen besuchen kann. Ich bin begeistert von dieser Studienform, weil ich dadurch die unterschiedlichen Schwerpunkte in der Lehre und Forschung der jeweiligen Hochschulen kennenlerne und in den Austausch mit diversen Dozierenden und Studierenden komme. Die Vernetzung und der Austausch mit anderen Studierenden in der Sozialen Arbeit erachte ich als zentral, weil es je nach Ort grosse Unterschiede in der Lehr- und Praxislandschaft gibt. 

 

Sie haben in Berlin und in der Schweiz gleichzeitig studiert? 

Niggli: Ja, während dem Auslandssemester habe ich parallel ein weiteres Online-Modul in Luzern besucht. Neben den vielen Nachteilen (z.B. kein direkter Kontakt mit anderen Studierenden), welche das Online-Studium mit sich bringt, sehe ich auch einige Vorteile: Der Weg fällt weg und durch die digitale Lehre muss man nicht physisch an einem Lernort sein. Dies lässt zu, dass man verschiedene Module am gleichen Tag und sogar an unterschiedlichen (internationalen) Hochschulstandorten besuchen kann. Weiter bietet es eine grössere Flexibilität für alle, die gerne ein Auslandssemester machen wollen, aber nicht können aufgrund eingeschränkter Mobilität oder Lebensumstände (z.B. Care Arbeit, Erwerbsarbeit). Durch die digitale Lehre können nun auch benachteiligte Studierende ein Auslandssemester besuchen. Dies hat meiner Meinung nach einen inklusiven Charakter für all diejenigen Studierenden, welche nicht das Privileg haben, vor Ort im Ausland studieren zu können. Ich wünsche mir für Studierende, die ein Auslandssemester machen wollen aber nicht können, dass die Hochschulen das Online-Format in irgendeiner Form (auch nach der Pandemie) weiterführen und die Zeiten der Digitalisierung innovativ für Inklusion nutzen.  

"Ich wurde an der ASH Berlin auf eine besondere Art und Weise für berufspolitische Themen inspiriert..."


Wie unterschied sich das Studium an der ASH Berlin zu Ihrem Studium in der Schweiz? 

Niggli: Ich habe die ASH Berlin als sehr flexibel kennengelernt und es gefiel mir, dass wir  Studierende Seminarinhalte mitgestalten konnten. Beispielsweise konnte ich eine Zeit lang in Seminare erstmal «reinschnuppern» und hatte einen Monat lang Zeit, um mich definitiv für oder gegen das Seminar zu entscheiden. Dies wird in der Schweiz anders gehandhabt: Wenn man sich für ein Modul eingeschrieben hat, braucht es triftige Gründe (z.B. Krankheit), um sich für Module nach deren Beginn wieder an- oder abzumelden. Zudem haben die Dozierenden der ASH Berlin die Interessen der Studierenden immer wieder berücksichtigt und Seminare partizipativ gestaltet. Weiter habe ich den Leistungsdruck für uns Studierende an der ASH Berlin als geringer empfunden und es gab mehr Raum für die eigene Kreativität und Ideen. Besonders interessant waren für mich die Gruppendiskussionen, die teilweise viel politisches hatten. Ich wurde an der ASH Berlin auf eine besondere Art und Weise für berufspolitische Themen inspiriert und bin noch während der Zeit des Auslandssemesters dem Berufsverband AvenirSocial in der Schweiz beigetreten. Ich arbeite in einem Arbeitsfeld in der Sozialen Arbeit, wo es immer wieder Ausfälle von Sozialarbeiter_Innen aufgrund Überlastung gibt und finde es wichtig, die Arbeitsbedingungen innerhalb der Sozialen Arbeit zu hinterfragen und zu verbessern.

Weiter hatte ich den Eindruck, dass es sich in den Seminaren häufig um machtkritische Diskussionen und Texte handelte, bei denen vorherrschende diskriminierende Strukturen hinterfragt wurden. Rassismus, Klassismus, Kapitalismus und Sexismus waren häufig Diskussionsinhalt. Diese Diskussionen finde ich wichtig, gerade in Bezug auf die sozialpolitische Gestaltung der Lebensumfelder und dem Suchen nach Lösungen für strukturelle Probleme. Weiter nahm ich die ASH Berlin als selbstkritische Hochschule wahr, welche sich stark für Studierende einsetzt, die selber an der Hochschule Diskriminierungserfahrungen erleben. Es gibt beispielsweise an der ASH Berlin ein Berater_Innennetzwerk Antidiskrimminierung, was neu für mich war.

 

Wie war es für Sie, an den Online-Kursen teilzunehmen und gleichzeitig nicht in Berlin zu sein? 

Niggli: Natürlich hätte ich mir gewünscht vor Ort studieren zu können. Die ASH Berlin hat das Online-Format jedoch sehr abwechslungsreich gestaltet: Es gab Gruppenarbeiten, asynchrone und synchrone Teile und in den Breakout Rooms war ein tiefgehender Austausch möglich. Zu Beginn brauchte es ein wenig Mut, mich in den Online-Kursen zu äußern. Ich fühlte mich jedoch schnell wohl, dazu beigetragen hat die Kurs-Atmosphäre, die ich als offen und wertschätzend erlebt habe. Zudem hat das International Office für eine gute Begleitung während der Zeit des Online-Auslandssemesters an der ASH Berlin gesorgt. Die virtuellen Türen des International Offices standen mir bei Fragen immer offen.

 

Haben Sie sich mit Kommiliton_innen vernetzen können, wenn Sie nicht am gleichen Ort waren? 

Niggli: Dies war ein bisschen schwieriger auf Distanz. Durch die Gruppenarbeiten und interaktiven Seminare kam ich dennoch mit einzelnen Kommiliton_Innen enger in Kontakt. Über die Zoom-Chat Funktion konnte ich mich mit anderen Studierenden vernetzen und sie direkt anschreiben. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein Online-Auslandssemester mehr Eigeninitiative braucht, um mit anderen in den direkten Austausch zu kommen. Von der ASH Berlin gab es die Möglichkeit auf der Plattform Moodle sich miteinander über Inhalte weiter zu vertiefen, was jedoch weniger genutzt wurde. Bei diesem Austausch drehte sich alles rund um die Seminarinhalte, der persönliche Austausch und das Kennenlernen von Lebensrealitäten der Kommiliton_innen in Berlin blieb durch die Distanz weg. Erst gegen Ende des Semesters konnte ich noch für ein paar wenige Tage nach Berlin reisen (während diesen Tagen entstanden auch die beigefügten Fotos) und habe einige Kommiliton_innen getroffen. Das war sehr aufregend für mich, weil ich davor nur Online-Kontakt mit ihnen hatte. Ich wurde sehr herzlich willkommen geheißen und lernte Berlin durch sie neu kennen und lieben.


Was konnten Sie aus der Zeit an der ASH Berlin mitnehmen?

Niggli: Vieles, aber zum Glück kein Covid-19! Ich nehme einen Rucksack voller toller Erinnerungen und grosser Begeisterung für die Soziale Arbeit aus der Zeit an der ASH Berlin mit. Mein Aktivismus-Herz wurde neu entflammt und ich bin sehr motiviert, mich berufspolitisch zu engagieren. Das Wichtigste waren für mich die Begegnungen und der Austausch mit den Kommiliton_innen und Lehrenden, durch sie habe ich vielfältige Denkweisen kennenlernen dürfen, die mich geprägt haben.