Alumni „Auflegen hat etwas Sozialpädagogisches“

Alumna İpek İpekçioğlu wird als DJ Ipek international für ihren Musikstil „Eklektik Berlinistan“ gefeiert. Die politische Aktivist*in, Kurator*in, Producer*in erzählt im Interview über ihr Studium in den 90ern, was Soziale Arbeit mit Auflegen zu tun hat und wie es Musiker_innen während der Pandemie geht

Porträt von Ipek. Sie steht vor einer Graffiti-Wand und schaut seitlich nach oben, schwarzes T-Shirt
Uygar Önder Simsek

Wann hast Du an der ASH Berlin studiert?

Ipek: Ich habe von 1993-´97 Sozialpädagogik und Sozialarbeit in Schöneberg studiert. Die Schule war für mich nicht einfach. Ich bin ein Kofferkind, das zwischen Deutschland und der Türkei hin und her gereist ist. Als ich sechs wurde, zog meine Mutter mit uns für zwei Jahre in die Türkei, damit ich richtig Türkisch lerne. Über den zweiten Bildungsweg habe ich später mein Fachabi gemacht. Das erste Semester war ich an der Katholischen Fachhochschule, aber da wollte ich nicht bleiben, weil sie im Osten lag. ´93/´94 war der Rassismus ziemlich heftig. Wäre ich in der U-Bahn auf dem Weg zur Uni zusammengeschlagen worden, hätte sich niemand darum gekümmert. Deswegen wollte ich unbedingt an die ASH nach Schöneberg. Nicht nur wegen dem Feminismus, sondern einfach, um es zu überleben. Aber der Herr, der damals die Studentenzulassung machte, hatte Probleme mit Migranten. Über einen Studienplatzaustausch kam ich dann doch noch an die ASH.

 

Was erinnert dich noch besonders an deine Studienzeit?

Ipek: Damals war die ASH eine Hochburg von feministischen autonomen Veranstaltungen. Wir machten Boykottaufrufe gegen den Umzug der Hochschule in den Osten. Wir waren ziemlich aktiv, links, politisch, feministisch, generationsübergreifend. Aber wir hatten noch nicht die heutige Sprache.
„Cis*, PoC – wat isn dit? Ah ja, politisch schwarz, okey!“
Begriffe wie „People of Colour“ hat erst später Nivedita Prasad reingebracht. Wir waren damals nur einige wenige BIPoCs und haben dafür gekämpft, dass mehr an die Hochschule kommen. Es gab nicht mal 5 % Migranten an der ASH!
Birgit Rommelspacher brachte die Themen Vieldimensionalität der Machtverhältnisse, generationsübergreifende Schuld/ Unschuld in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in die ASH. Durch Dagmar Schulz, Iman Attia und Ika Hügel-Marshall waren auch die Auseinandersetzungen mit Gender Mainstreaming und der Feminismus der 90er-Jahre Themen. Andere aktive Student_innen sind mir stark in Erinnerung geblieben. Ich mochte die Stimmung damals. Es war eine sehr besondere Zeit.

 

Was war das Thema deiner Diplomarbeit?

Ipek: Ich habe in Europa die allererste Diplomarbeit zu dem Thema „Lesbisch und türkisch - ein Widerspruch?“ geschrieben. Damals war die Aufklärung zu den Themen Rassismus und Islamophobie usw. eine ganz andere. Frauen aus dem islamischen Kulturkreis haben eine eigene Sexualität? Die können homo sein? Migrantin und gar nicht asexuell?
Ich habe von meiner Zeit an der ASH sehr viel für mich mitnehmen können – auch als Mensch und nicht nur als Sozialpädagogin. Auch als politisierte Person fühlte ich mich dort sehr aufgehoben. Von Nivedita Prasad, die damals noch keine Dozentin an der ASH war, habe ich damals sehr viel gelernt. Sie war eine Pionierin in der antirassistischen, feministischen, generationsübergreifenden Mädchenarbeit. 

 

"Ich war damals die Einzige, die Musik aus dem Mittleren Osten, Türkei, Kurdistan, arabischsprachigen Ländern und auch teils Indien, Südostasien und dem Balkan aufgelegt hat."


Wie hast Du dein Studium finanziert?

Ipek: Ich hatte mehrere Jobs, habe in unterschiedlichen Bereichen wie Kinderbetreuung, Schwerstbehindertenbetreuung oder in Work-Camps in Palästina/ Israel und der Türkei gearbeitet. Irgendwann wurde ich im SO36 für einen DJ Job angesprochen. Sie suchten eine queere BIPoC und ich war damals schon sehr politisiert mit meinem „LGBTQI*-türkeistämmigen-Lesbianismus“. Ich habe Gladt (Gays & Lesbians aus der Türkei e.V.) mitgegründet und den Arbeitskreis Migranten unterschiedlicher sexueller Orientierung (Amuso). Ich war damals die Einzige, die Musik aus dem Mittleren Osten, Türkei, Kurdistan, arabischsprachigen Ländern und auch teils Indien, Südostasien und dem Balkan aufgelegt hat. Ich wurde Resident bei Gayhane – Berlins damals einziger Party für queere Migrant_innen aus der Türkei und arabischen Ländern und anderswo. Dort trafen sich LGBTQI*s aus dem Mittleren Osten und dachten: Hey, wir sind nicht vereinzelt, wir sind viele! Über diese Veranstaltung bekamen sie eine Identifikation und Empowerment.

 

Wie ging es nach dem Studium weiter?

Ipek: Ich bekam vom Roten Kreuz eine Leitungsfunktion vom Kreisverband Wedding Berlin angeboten, denn es gab nicht allzu viele türkischsprachige Frauen in der Sozialen Arbeit. Ich war bei Wildwasser aktiv und habe eine Mediationsausbildung und eine Ausbildung zum Eventmanagement im sozialen Bereich gemacht. Als ich immer mehr internationale Angebote für das Auflegen bekam, beschloss ich, mir zwei Jahre nur Zeit fürs DJing zu nehmen. Und es lief dann auch gut. Ich wurde immer bekannter.

 

Wirkt sich dein sozialarbeiterischer Hintergrund auf deine Musik aus?

Ipek: Auflegen hat etwas Sozialpädagogisches! Die Leute kommen zu mir ans DJ-Pult – auch aus der Feministinnen-Szene – und sagen: „Weißt du denn, was die singen, das könnte sexistisch oder homophob sein!“ Weil alle aus dem Mittleren Osten natürlich homophob und sexistisch sind, aber die Deutschen ja natürlich nicht!
Also antworte ich: „Come on, da müsste ich ja nur Helene Fischer spielen, damit auch alle alles verstehen.“
Oder es kommt einer und sagt: „Wenn du diesen besonderen Song nochmal in diesem Club spielst, dann geb ich bei dem xy-Verein eine Beschwerde über dich auf. Du spielst etwas Religiöses für uns und dazu macht man Belly Dance!“
Ich frag ihn: „Ok Baby, bist du schwul?“
„Ja!“
„Bist du ein angehöriger dieses XY-Vereins?“
„Ja!“
„Und bist du offen in deinem XY- Verein als Schwuler?“
„Nö.“
„Solange du nicht offen bist, spiele ich das Lied, geh und mach eine Beschwerde, ich habe keine Angst!“
Also das ist auch eine sozialpädagogische Art.
Oder jemand sagt: „Weißt du, die aus dem Mittleren Osten und Islam sind ja alle so frauenfeindlich und so sexuell missbraucht. Solche Musik will ich nicht hören!“
Ich denke: Ok! Eurozentrismus! Und sage: „Erklär mir mal, warum hier jedes vierte Kind sexuell missbraucht wird und warum die Frauenhäuser so voll mit weißdeutsch, christlich sozialisierten Frauen sind.“
Es ist Göttin sei Dank über die Jahre mit diesen Diskussionen weniger geworden. Aber ich lasse mich immer noch darauf ein, weil ich den Menschen die Musik erklären will, damit sie verstehen. Zum Beispiel kommt jemand zu mir ans Pult und sagt: „Spiel mal kurdisch!“
Ich sage: „Tue ich doch gerade.“
Er kommt aus Syrien und versteht nicht diesen kurdischen Dialekt aus dem Irak. Oder manche bringen diesen Musikstil nicht mit Arabisch, Türkisch oder Kurdisch in Zusammenhang, weil es zu elektronisch ist.

"Wenn die Leute nicht wissen, wie sie zu diesem Rhythmus tanzen sollen, dann gehe ich irgendwann hin und sage: „Komm, ich zeigs dir!“


Wie läuft es mit dem Auflegen während der Pandemie?

Ipek: Ich finde Livestreams wichtig. Aber es ist schwer. Im Club kann ich viel besser auf die Leute reagieren – ich bekomme die Emotionen mit. Vor allem wenn die Leute ihre Videos ausmachen, weiß ich erst recht nicht: Hören sie dich, bohren sie in der Nase, weil es total langweilig ist? Oder flippen sie gerade aus? Wenn einer im Club vor dem DJ Pult mit verschränkten Armen steht, dann geh ich zu ihm hin: „Hey Bruder, Sister, was ist los, warum tanzt du nicht? Du guckst so ernst. Womit kann ich dich zum Tanzen bringen?“
Und der Typ: „Ne, eigentlich genieße ich das total, nur habe ich gerade Rückenschmerzen.“
Oder manche sagen: „Oh, könntest du nicht Moombahton oder Trap spielen?“
Dann sage ich: „Ok, ist zwar keine Moombahton oder Trap Party aber ich gucke, ob ich eine Oriental- oder Balkan-Version dabeihabe.“
Und wenn die Leute nicht wissen, wie sie zu diesem Rhythmus tanzen sollen, dann gehe ich irgendwann hin und sage: „Komm, ich zeigs dir!“
Das geht online alles nicht. Letzte Woche habe ich für einen LGBTQI* Verein in der Türkei einen Livestream gemacht. Dabei habe ich die türkische Watch Party Mentalität kennengelernt: Die takeln sich wirklich auf als ob sie zu einer Party gehen würden. Ziehen unterschiedliche Kostüme an, schminken sich, bereiten schon ihre Getränke vor. Die spielen wirklich mit.

 

Wie geht es den Menschen, die sich jetzt nicht mehr in den Clubs treffen können?

Ipek: Marginalisierte Menschen sind jetzt noch isolierter. LGBTQI*s und BIPoCs hatten bei Gayhane und anderen vergleichbaren Partys einen Save Space, wo sie ihresgleichen treffen konnten. Das gibt es gerade nicht mehr. Das bedeutet noch mehr Isolation, bedeutet Vereinsamung, bedeutet Depression. Ich glaube die Zahl der Suizidgefährdeten und die Zahl der höchst depressiven Personen, die auch aufgrund von Home-Office isoliert sind, nimmt stark zu. Und was passiert mit denen? Ist Corona ein Traumata? Kann es auch eine Posttraumatische Belastungsstörung hervorrufen? Alles was sozial ist, ist gerade gefährlich. Und wie sozial werden wir danach sein? Werden wir überhaupt noch sozial sein können. Die nonverbale Kommunikation wird sich verändern und auch das Verhalten – gemeinsam aus einem Drink trinken, gemeinsam einen Joint rauchen. Das sind soziale Kontakte, bei denen es mittlerweile heißt: Oh, es könnte tödlich sein! Solche Gedanken mache ich mir. Ich merke, dass ich kontaktscheuer geworden bin. Wir sind es nicht mehr gewohnt uns mit Menschen normal zu begrüßen, zu umarmen. Du verlernst es, Small Talk zu machen. Wenn ich mal wieder in einen vollen Raum kommen sollte, werde ich klaustrophobische Anfälle bekommen. Zu viele Menschen! Aber ich kann mir gut vorstellen, dass die ganze Stadt irgendwann sagt: Ok, wir machen jetzt alle Party zusammen!

 

Wie läuft es sonst für dich als Musiker*in während er Pandemie?

Ipek: Schlecht. Ich habe mittlerweile 30-40 Gigs verloren. Hätte nach Tansania gehen können, nach Korea, Pakistan, Mexiko. Ich habe kaum Anfragen. Ich will aber kein Hartz 4 beantragen. Also muss ich mein Erspartes, meine Rente nehmen. Die November- und Dezemberhilfen sind alle an Fixkosten gekoppelt. Das heißt, eigentlich darfst du deine Wohnungsmiete und dein Essen nicht daraus zahlen. Also musst du verhungern, wenn du kein Hartz 4 beantragst.

 

"Was ich mitgeben kann? Zu Ende studieren! Nicht aufgeben und gucken, dass du dich selbst verwirklichst!"

 

Du bist auch neben dem Auflegen sehr aktiv.

Ipek: Ich gebe weltweit DJ Workshops primär für Non-Binarys, Female Identifizierende und Frauen, das letzte Mal für Sisters* - Verein für rassismuskritische Mädchenarbeit in Sachsen. Ich gebe auch hybride Identitäten Workshops, halte Vorträge zu lesbischen Migrantinnen und transkultureller Clubkultur. Ich bin bei der Clubcommission im erweiterten Vorstand und bei „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ Schirmherrin und bei Gladt e.V. im Ehrenvorstand. Und ich produziere natürlich viel eigene Musik. Ich organisiere auch meine eigene Bühne auf dem Myfest in Kreuzberg und kuratiere Festivals wie z.B. #disPlaced #rePlaced und arbeite mit anderen Musiker_innen zusammen für Opern-, Theater- und Filmprojekte.

 

Welchen Tipp gibst du unseren Studierenden mit?

Ipek: Ich mag die vielfältigen Arbeitsbereiche in der Sozialen Arbeit. Und ich finde es gut, dass du im Studium lernst, mit dem Wissen, das du hast, andere daran teilhaben zu lassen und sie in der Gestaltung ihres Lebens zu unterstützen. Als ein Kanakenkind war es für mich sehr wichtig ein Diplom zu haben. Welche Option hätte ich sonst in der Gesellschaft gehabt, als fast ausschließlich in schlecht bezahlten Jobs arbeiten? Was ich mitgeben kann? Zu Ende studieren! Nicht aufgeben und gucken, dass du dich selbst verwirklichst! Der Abschluss gab mir Selbstbewusstsein und das Gefühl, dass ich etwas zu Ende gebracht habe und gut darin war. Danach konnte ich mir die Freiheit nehmen, etwas anderes zu machen. Birgit Rommelspacher meinte einmal zu mir: „Ipek, mach mal einen Doktor. Wir werden irgendwann alt und es gibt nicht so viele BIPoC-Professor_innen.“ Vielleicht mache ich das in 10 Jahren. Es steht mir offen.

 

Weitere Informationen:
Webseite von DJ Ipek
Digitale Semesterabschlussparty der ASH Berlin:
DJ Ipek wird am 20.02.21 von 19-21 Uhr auflegen