Yannick Liedholz hat an der ASH Berlin Soziale Arbeit studiert, war von 2016 bis 2023 Lehrbeauftragter und ist seit September 2023 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Klimagerechtigkeit, Nachhaltigkeit und BNE an unserer Hochschule tätig. Wir haben ihm einige Fragen zu seiner konkreten Aufgabe und den dahinterstehenden Konzepten gestellt.
1. Was macht aus Ihrer Sicht eine nachhaltige Hochschule aus?
Eine nachhaltige Hochschule bedeutet für mich, dass sie Nachhaltigkeit als ein gelebtes Prinzip verkörpert. Das heißt: Alle ihre Prozesse – Betrieb, Lehre, Forschung, Alltagskultur und Transfer – sind von einem Nachhaltigkeitsdenken und –handeln durchzogen. Eine nachhaltige Hochschule besitzt ein Gebäude, das durch großflächige Begrünungen und Biotopverflechtungen ein partnerschaftliches Mensch-Natur-Verhältnis zum Ausdruck bringt. Sie bietet ihren Studierenden eine Lehre an, die sich konsequent an Fragen sozialer, ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit orientiert. Und eine nachhaltige Hochschule hat eine Alltagskultur, die in ihren Praktiken, Routinen und Entscheidungsstrukturen (starke) Nachhaltigkeit als Normalität manifestiert
2. Wie können die SAGE-Professionen zu mehr Klimagerechtigkeit beitragen?
Klimagerechtigkeit stellt aus meiner Sicht eine Alternative zu technologisch orientierten Konzepten des Klimaschutzes und der Klimaneutralität dar. Klimagerechtigkeit beschäftigt sich mit den sozialen Strukturen hinter dem Klimawandel. Es geht um die unterschiedlichen Verantwortlichkeiten, Betroffenheiten, Schutz- und Partizipationsmöglichkeiten.
Mit diesen Aspekten sind die SAGE-Professionen direkt angesprochen. Die Soziale Arbeit hatte schon immer einen Blick für strukturelle Ursachen gesellschaftlicher Probleme. Den Klimawandel kann sie als ein Resultat einer imperialen Lebensweise im Globalen Norden analysieren, die auf Kosten anderer Menschen und der Natur stattfindet. Für die Gesundheitsprofessionen ist zum Beispiel leicht zu erkennen, dass von den häufigeren Hitzewellen vulnerable Bevölkerungsgruppen besonders betroffen sind. Erziehung und Bildung können ein notwendiges Bewusstsein für Klimagerechtigkeit schaffen und Menschen in transformativen Lernsettings dazu befähigen, an der Bewältigung des Klimawandels zu partizipieren. Ich sehe in den SAGE-Professionen ein großes Potenzial, um Klimagerechtigkeit voranzubringen. Bisher haben sie dieses aber nur ansatzweise ausgeschöpft.
3. Seit Januar 2023 besteht zwischen der ASH Berlin und dem Land Berlin eine Klimaschutzvereinbarung. Damit ist die Hochschule die Verpflichtung eingegangen, die mit dem Energieverbrauch verbundenen CO2-Emissionen bis 2032 um 20% zu senken und 2045 komplett klimaneutral zu sein. Können wir diese Ziele erreichen?
Ich denke, es ist vorweg wichtig zu benennen, dass die ASH Berlin im Referenzjahr 2019 allein durch ihren Energieverbrauch 374 Tonnen an CO2-Emissionen verursacht hat. Würden wir die Emissionen etwa aus den Bereichen Anschaffungen und Mobilität hinzunehmen, dann läge dieser Wert deutlich höher. Und der Neubau ist da noch nicht enthalten. Als ASH Berlin tragen wir also zum Klimawandel bei und stehen damit in der Verantwortung, unseren CO2-Fußabdruck weitmöglich zu verkleinern.
Mit der Klimaschutzvereinbarung gibt es nun eine offizielle Verpflichtung gegenüber dem Land Berlin. Das Ziel, unsere energiebezogenen CO2-Emissionen bis 2032 um 20 Prozent zu verringern, halte ich für erreichbar, wenn wir die anvisierten Vorhaben konsequent umsetzen. Eine Absenkung auf Nullemissionen bis 2045 kann bilanziell vielleicht gelingen, wenn wir mit allen möglichen baulichen und verhaltensbedingten Maßnahmen unseren Energieverbrauch drastisch reduzieren und zeitgleich in Zusammenarbeit mit dem Land Berlin unsere Strom- und Wärmeversorgung vollständig auf erneuerbare Energien umstellen. Ich sage an dieser Stelle bewusst ,bilanziell‘, weil bei genauerem Hinsehen auch die erneuerbaren Energien in ihrem Produktlebenszyklus CO2-Emissionen verursachen. Hinzu kommt, das selbst nach all diesen Maßnahmen noch sogenannte ,unvermeidbare Emissionen‘ verbleiben werden. Und letztlich bildet eine Bilanz nur das ab, was in sie einberechnet wird oder nicht.
Wenn wir als ASH Berlin nicht nur auf dem Papier Nullemissionen erreichen wollen, sondern tatsächlich, dann müssten wir meines Erachtens alle Hochschulprozesse unter einen Klimavorbehalt stellen. Damit wären grundlegende Strukturfragen aufgeworfen. Zuerst die Frage nach Postwachstum. Das heißt: Wir würden als Hochschule nicht der Vorstellung eines linearen oder gar exponentiellen Wachstums folgen, sondern versuchen, uns auf einem ökologisch, sozial und ökonomisch verträglichen Niveau einzupendeln. Angesichts der aktuellen Wachstumsprozesse der ASH Berlin ist das brisant. Anders dürften Nullemissionen ehrlicherweise aber nicht zu haben sein.
4. Eine Maßnahme, die in der Klimaschutzvereinbarung festgehalten wurde, ist die Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie. Wie gehen Sie das konkret an?
Einen genauen Fahrplan habe ich noch nicht, ich sehe aber in der Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie eine große Chance. Erstens, weil es damit gelingen kann, eine Engführung auf die CO2-Bilanz der ASH Berlin zu verhindern. Unter dem Dach von (starker) Nachhaltigkeit werden weitere ökologische Kriterien relevant, zum Beispiel der Ressourcen- und Wasserverbrauch der ASH Berlin sowie ihr Beitrag zur Förderung der Biodiversität. Zweitens – und das ist eine konkrete Idee – könnten wir unsere Nachhaltigkeitsstrategie entlang der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen formulieren. Damit wären wir nachhaltigkeitskommunikativ breit anschlussfähig. Zudem enthalten die 17 Nachhaltigkeitsziele etliche Bezüge zum SAGE-Profil. Als ASH Berlin könnten wir auf diesem Weg unsere Schwerpunktthemen Bildung, Diversity, Gender, Gesundheit und Soziale Arbeit profilieren und zukunftsorientiert miteinander verbinden.
5. Welches Problem würden Sie gerne in den nächsten fünf Jahren gelöst haben?
Für mich ist es wichtig, dass eine nachhaltige Hochschulentwicklung nicht auf der Theorieebene stehen bleibt, sondern sich in konkreten Veränderungen realisiert. Eine Veränderung, die ich in den nächsten fünf Jahren bewirkt haben will, ist eine nachhaltige Umgestaltung des Innenhofs. Schon als ich selbst Student an der ASH Berlin war, wurde darüber gesprochen, dass der Innenhof verschönert werden sollte. Seither ist wenig passiert. Den Innenhof, als Zentrum des Altbaus, in einen nachhaltigen und attraktiven Ort zu verwandeln, das erscheint mir als eine lohnenswerte Aufgabe.
6. Möchten Sie den Menschen an der ASH Berlin zu Ihrem Start noch etwas sagen?
Ja, gern. An den ersten Tagen in meiner neuen Funktion habe ich einige Gespräche geführt. Dabei ist mir aufgefallen, wie vielen Menschen an der ASH Berlin das Thema Nachhaltigkeit am Herzen liegt und wie viele Ideen bereits bestehen. Für mich sind solche Gespräche hilfreich, weil ich einen Überblick erhalte, was schon läuft und wo Baustellen sind. Von daher möchte ich die Menschen an der ASH Berlin bitten, weiterhin mit ihren Nachhaltigkeitsideen auf mich zuzukommen. Sie finden mich in meinem Büro im Raum 304 oder können mir gern eine E-Mail schreiben an: nachhaltigkeit@ ash-berlin.eu
Insgesamt möchte ich alle Menschen an der ASH Berlin einladen, an einer nachhaltigen Hochschulentwicklung mitzuwirken. Eine nachhaltige Hochschulentwicklung ist keine One-Man-Show, sondern eine Kollektivleistung.
Das Interview führte Susann Richert.