alice Online: Herr Kim, erzählen Sie doch kurz von Ihrem Hintergrund.
Kim: Ich bin in Südkorea aufgewachsen und habe dort Tuschemalerei studiert und auch Ausstellungen gehabt. Anders als jetzt in Deutschland habe ich dort eine künstlerische Identität gehabt! Später beschloss ich, in Deutschland zu studieren, weil ich eine andere Welt erleben wollte und ich mich für das Land interessierte.
alice Online: Wie ist Ihre akademische Laufbahn bisher verlaufen?
Ich habe an der TU Dortmund Rehabilitationswissenschaften studiert und anschließend 2013 zur Gesundheitspsychologie promoviert. Seit Anfang 2014 bin ich in Berlin ansässig und arbeite seit dem Wintersemester 2014/15 an der ASH Berlin. Als asiatischer Migrant und zugewanderter Vater einer in Deutschland geborenen Tochter hat mich der Themenbereich Migration und psychische Gesundheit fachlich wie persönlich sehr interessiert. Nach der Promotion habe ich noch viel mehr Forschungsbedarf und weitere Anhaltspunkte in Bezug auf diesen Themenbereich gesehen. Das hat mich motiviert, mich mit dem Themenbereich weiter in Deutschland zu beschäftigen.
alice Online: Woran forschen Sie zurzeit?
Kim: Mein aktueller Forschungsschwerpunkt ist „Psychische Gesundheit von Migrantinnen und Migranten sowie Migrantenfamilien“. Insbesondere sind Migrantinnen und Migranten aus (süd-)ostasiatischen Ländern von besonderem Interesse, über die bisher in Deutschland noch sehr wenige Erkenntnisse vorhanden sind. Mein größtes Ziel wäre, ein Forschungszentrum für (süd-)ostasiatische Migrantinnen und Migranten aufzubauen.
„Ich möchte einen wissenschaftlichen aktuellen gesellschaftlichen Wandel in Südkorea leisten."
alice Online: Wie ist die Lage zur Zeit in Südkorea?
Kim: Die Zahl der Migrantinnen und Migranten aus südost- und ostasiatischen Ländern sowie nordkoreanischer Flüchtlinge hat sich in Südkorea in den letzten Jahren dramatisch erhöht und scheint sich auch zukünftig noch zu erhöhen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Wiedervereinigung zwischen Nord- und Südkorea in näherer Zukunft möglicherweise zustande kommen könnte und dadurch eine rasche psychosoziale Veränderung in der Gesellschaft ausgelöst werden würde. Jedoch befinden sich die wissenschaftlichen Grundlagen sowie die Erfahrungen in der Wissenschaft und Praxis bezüglich dieser Themenbereiche in Südkorea meiner Meinung nach in der Anfangsphase. Darum möchte ich mich für die internationale Zusammenarbeit insbesondere mit südkoreanischen Universitäten und Forschungsinstitutionen engagieren. Ich gehe davon aus, dass die internationale Zusammenarbeit nicht nur zur Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Grundlagen in Südkorea, sondern auch zur Stärkung der internationalen Arbeit der ASH Berlin beitragen kann. Ich möchte einen wissenschaftlichen aktuellen gesellschaftlichen Wandel in Südkorea leisten.
alice Online: Was müsste in Deutschland mehr für das Wissenschaftliche Personal getan werden?
Kim: Für mich war es schwer, eine Orientierung nach der Promotion zu finden. Die Übergangsphase nach der Promotion müsste meines Erachtens noch stärker berücksichtigt werden. Damals habe ich mich so gefühlt, als wenn ich wie ein Tier aus dem Zoo ins Freie entlassen worden wäre. Dieses Problem betrifft nicht nur ausländische Absolventinnen und Absolventen deutscher Hochschulen, sondern auch deutsche Absolventeinnen und Absolventen.
alice Online: Haben Sie aufgrund Ihres Migrationshintergrundes besondere Schwierigkeiten in Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn erlebt? Wenn ja, welche und wie könnte in Deutschland besser für solche Menschen gesorgt werden?
Kim: Die ausländischen Absolventinnen und Absolventen deutscher Hochschulen benötigen nach dem Verlassen der Universität einen Arbeitsvertrag, um den Zweck des Aufenthaltstitels vom Studium bzw. der Promotion zur Erwerbstätigkeit wechseln zu können. Nach dem Wechsel des Aufenthaltstitels muss dieser dem Arbeitsvertrag entsprechend bei der zuständigen Ausländerbehörde regelmäßig verlängert werden, bis man einen unbefristeten Aufenthaltstitel bekommt. Das bedeutet, wessen Arbeitsvertrag nicht verlängert wird, der muss damit rechnen, dass sein Aufenthaltstitel entfällt und er in sein Heimatland zurückkehren muss. Das geht mit radikalen Veränderungen in allen Lebensbereichen einher, insbesondere wenn man hier Familie hat. Diese Probleme ausländischer Absolventinnen und Absolventen werden nicht selten durch Unwissenheit der Ausländerbehörde über das System der Universitäten weiter erschwert.
„Ich habe Glück gehabt."
alice Online: Ging es Ihnen auch so?
Kim: Ich glaube, ich habe insofern Glück gehabt, als ich eine Chance bekommen habe, in der Lehre arbeiten zu können und meine Forschungsvorhaben zu realisieren. Ich kenne aber schon viele ausländische Absolventinnen und Absolventen, die geplant hatten, in Deutschland ihr Forschungsvorhaben durchzuführen, aber in die Heimat zurückkehren mussten, bevor sie überhaupt eine Chance wahrnehmen konnten. Meiner Erfahrung nach sind solche zurückkehrenden Absolventinnen und Absolventen in sozialwissenschaftlichen Bereichen mehr zu beobachten als in naturwissenschaftlichen.
alice Online: Wie erleben Sie die Situation speziell an der ASH Berlin?
Kim: Ich habe den Eindruck, dass sich sowohl die Professorinnen und Professoren als auch die Studierenden in verschiedenen Bereichen engagieren, sodass die ASH Berlin sehr lebendig wirkt. Das ist ihre Stärke. Und ich erlebe auch, dass Mitarbeiter/-innen überdurchschnittlich hilfsbereit sind. Sie haben mir in der Orientierungsphase an der ASH Berlin wirklich sehr geholfen.