Geflüchteter aus Syrien „Ein Studium ist die einzige Chance, mein Leben wieder aufzubauen“

Mohammad Alkhabour besuchte im Wintersemester 2015/16 als Gasthörer die ASH Berlin. Im Interview spricht er über Soziale Arbeit in Syrien, Integration und seine Pläne für die Zukunft

Mohammad Alkhabour in der Mensa der ASH Berlin
Barbara Halstenberg

alice online: Herr Alkhabour, bitte stellen Sie sich kurz vor.

Alkhabour: Ich bin 31 Jahre alt und komme aus Syrien. Meine Familie ist noch in meiner Heimatstadt, die vom IS kontrolliert wird. Seit November 2014 bin ich in Deutschland. Ich wohne zurzeit in einer eigenen Wohnung in Hoppegarten.

alice online: Wie sind Sie auf die ASH Berlin aufmerksam geworden?

Alkhabour: Eine Freundin von mir, die hier studiert, erzählte mir davon. Sie sagte, du kannst mich begleiten, es gibt Kurse auf Englisch, an einem Tag in der Woche. Ich dachte, warum nicht, es ist besser, als gar nichts zu tun. Ich wollte endlich wieder etwas für meinen Kopf tun, nachdem ich ein Jahr lang nichts gemacht hatte. Also habe ich Seminare zu „History and Theory of Social Work“ und „Racism and Integration“ besucht.

alice online: Hatten Sie schon vorher mit Sozialer Arbeit zu tun?

Alkhabour: Ehrlich gesagt, ich wusste nichts über Soziale Arbeit. Das gibt es bei uns in Syrien nicht. Soziale Arbeit machen wir in unserem sozialen Leben selbst. Wir haben keine Sozialarbeiter, wir beraten uns gegenseitig, wir unterstützen uns gegenseitig – das ist unsere Tradition.

 „Wir haben keine Sozialarbeiter, wir beraten uns gegenseitig."

alice online: Was haben Sie in Syrien gearbeitet?

Alkhabour: Meine Familie hat einen Buchladen, da habe ich schon ganz früh angefangen zu arbeiten. Dann habe ich als Buchhalter in einer Apotheke und in einer großen Drogerie gearbeitet. Ich habe einen Bachelor in Marketing abgeschlossen und einen Master in Qualitätsmanagement angefangen, den konnte ich aber wegen der Lage in Syrien nicht beenden. Jetzt möchte ich unbedingt Deutsch lernen, um hier studieren zu können.

alice online: Haben Sie schon einen Kurs gefunden?

Alkhabour: Ich habe erst seit letztem Montag einen Aufenthaltstitel, sodass ich erst jetzt endlich einen Deutschkurs machen kann. Vorher durfte ich nichts machen. Ich durfte nur essen, schlafen und sollte friedlich bleiben – für ein Jahr und drei Monate! In der Zeit habe ich versucht, Freunde zu finden, habe ein paar Aktivisten kennengelernt und mich ehrenamtlich engagiert. Im Haus der Generationen in Hoppegarten haben wir ein Team gegründet und veranstalten Aktivitäten, Partys und gemeinsame Essen, um die Geflüchteten mit den Deutschen in Kontakt zu bringen. Das hat gut geklappt. So hatte ich wenigstens etwas zu tun, wenn man es etwas nennen kann.

alice online: Haben Sie an der ASH Berlin neue Kontakte knüpfen können?

Alkhabour:Ich war immer nur einen Tag in der Woche für fünf Stunden an der ASH Berlin, da hatte ich keine Chance neue Leute treffen zu können. Außerdem sind die meisten fast zehn Jahre jünger als ich. Aber ich weiß jetzt, was Soziale Arbeit ist!

alice online: Was sind Ihre Pläne für die nächste Zeit?

Alkhabour:Ich muss mich auf ein Studium vorbereiten. Also Deutsch lernen und meine Dokumente übersetzen lassen, um beweisen zu können, dass ich in Syrien schon studiert habe. Ein Studium ist die einzige Chance für mich, um mein Leben wieder aufzubauen. Ich muss diese Chance jetzt nutzen, um dann später einen richtigen Job finden zu können, ansonsten bleibt für mich nichts.

alice online: Wissen Sie schon, was Sie studieren wollen?

Alkhabour: Soziale Arbeit, weil ich da mit Menschen arbeiten kann. Wenn ich in den Kursen der ASH Berlin saß, habe ich ständig überlegt, wie man Soziale Arbeit mit Marketing verbinden kann. Dass habe ich ja in Syrien studiert. Und ich will versuchen, hier an der ASH Berlin zu studieren.

„Die meisten Geflüchteten wissen nicht, wo sie anfangen sollen."

 alice online: Wie könnten die Universitäten Geflüchtete besser unterstützen?

Alkhabour: Wir brauchen eine Kontaktperson, die Geflüchtete über Universitäten, die Studienmöglichkeiten und ihre Voraussetzungen informiert. Die meisten Geflüchteten wissen nicht, wo sie anfangen sollen. Sie können die Sprache nicht, sie kennen das Universitätssystem nicht. Viele haben auch schon einen Abschluss und würden gerne hier in dem gleichen Fach weiterstudieren. Aber sie wissen nicht wie. Und für die ASH Berlin würde ich mir wünschen, dass es auch ein paar Bücher der Sozialen Arbeit auf Arabisch gibt. Manchmal ist es schon besser, wenn man auch etwas in seiner eigenen Sprache lesen kann.

alice online: Was kann Deutschland noch für Geflüchtete tun?

Alkhabour: Um ehrlich zu sein, die Deutschen haben uns mit allem versorgt. Ich habe Kleider, ich habe ein Dach über dem Kopf, ich habe etwas Geld zum Ausgeben. Jetzt muss ich nur noch selbst arbeiten. Ich habe schon oft mit meinen deutschen Freunden über Integration geredet. Was ist Integration? Muss ich mich wirklich ändern, um in die Gesellschaft zu passen? Oder akzeptiert mich die Gesellschaft so, wie ich bin? So wie sie von mir erwartet, sie zu akzeptieren. Feste oder kulturelle Aktivitäten können zur Integration beitragen. In Berlin klappt das leichter, aber in Brandenburg passiert fast nichts. Zum Beispiel in Hoppegarten, da sind einfach keine Menschen da, um Aktivitäten zu machen. Es ist da wie im Altenheim. Ich glaube, ich bin in Hoppegarten der Jüngste! Für Integration braucht es soziale Kontakte und es braucht seine Zeit und viele Leute, die mitmachen.

 

Das Interview führte Barbara Halstenberg auf Englisch. Übersetzt von Barbara Halstenberg.