Sie haben den primärqualifizierenden Studiengang Ergotherapie/Physiotherapie an der ASH Berlin studiert; wie sah Ihre berufliche Laufbahn nach dem Studium aus?
Ich bin erstmal ganz klassisch in eine Ergotherapie-Praxis gegangen und habe dann meine theoretische Arbeit aus meiner Bachelorarbeit in der Praxis fortgesetzt. Meine Bachelorarbeit „Let’s talk about Sex – Sexualität im Kontext der Ergotherapie“ befasste sich mit der Ursachenforschung für die Tabuisierung sexueller Themen innerhalb der Ergotherapie. Der Hauptgrund ist die Tabuisierung in der Gesellschaft, aber auch in den gesetzlichen Bestimmungen, die das Thema ausklammern. Entstanden ist am Ende ein Modulvorschlag für die ASH Berlin, um sexuelle Gesundheit ins Curriculum einzubeziehen.
Da dieser aus vielerlei Gründen jedoch so schnell nicht umgesetzt wird, habe ich daraus eine eigene Fortbildung, einen Podcast sowie Beratungen vor Ort in der Praxis entwickelt. In meinem Podcast „Coitoergosum – Für einen souveränen Umgang mit Sexualität“ spreche ich mit ganz verschiedenen Menschen über sexuelle Themen: mit Betroffenen, mit Dozent_innen oder auch mal mit inspirierenden Menschen, die sich für Female Empowerment oder sexuelle Selbstbestimmung einsetzen.
Inzwischen bin ich selbstständig als freie Dozentin für Sexualpädagogik an Hochschulen, Einrichtungen, Kliniken und Praxen und bringe anderen Therapeut_innen bei, sicher und souverän über Sexualität zu sprechen. Sowohl Ergotherapeut_innen als auch Physiotherapeut_innen, aber auch Mediziner_innen fühlen sich häufig unwohl, über sexuelle Themen zu sprechen. Im Rahmen meiner Fortbildungen erhalten sie den geschützen Raum, den es braucht, um sich eigener Schamgrenzen bewusst zu werden und zu lernen, wie man in der Therapie mit Klient_innen über Sexualität spricht.
Studien zeigen, dass sowohl Patien_innen als auch Praktizierende hier große Defizite empfinden. Wenn sexuelle Bildung schon im Rahmen der Ausbildung stattfindet, fühlen sich am Ende alle wohler damit, die Lebensqualität auf Patient_innenseite sowie die Arbeitszufriedenheit auf Behandler_innenseite steigt.
Außerdem behandele ich Klient_innen im Bereich Psychiatrie mit depressiven Störungen, Identitäts- und Anpassungsstörungen sowie Angststörungen. Zudem setze ich mich berufspolitisch dafür ein, dass das Thema Sexuelle Gesundheit und Kommunikation mehr Beachtung in der Lehre findet.
Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag bei Ihnen aus?
Den typischen Tag gibt es gar nicht, da ich einen sehr bunten Mix an Tätigkeitsfeldern habe. Ich erarbeite gemeinsam mit Einrichtungen sexualpädagogische Konzepte, gebe Fortbildungen und Workshops, meist zu Grundlagen der sexuellen Gesundheit in Kombination mit dem Einfluss von Krankheiten auf Sexualität, Abgrenzungs-Workshops oder auch Kommunikationsgrundlagen. Denn Sprache schafft Realitäten und spielt ganz besonders beim Thema Sexualität eine zentrale Rolle.
An manchen Tagen sitze ich nur vor dem Laptop und produziere Podcasts und an anderen Tagen behandele ich Klient_innen online oder vor Ort. Was ich tatsächlich fast jeden Tag mache: sexuelle Bildungsarbeit auf Social Media. (auf Instagram und Facebook unter: @coitoergosum.berlin.)
Was hilft Ihnen aus dem Studium bei Ihrer aktuellen Tätigkeit?
Genau diesen zuvor beschriebene bunten Mix an Tätigkeiten liebe ich an meiner Selbstständigkeit und so hab ich es auch mit aus dem Studium genommen: Es gibt manchmal heiße Projektphasen, wo man sich nur auf ein Thema konzentriert und wiederum andere Wochen, die sehr redundant ablaufen. Damals im Studium musste man sich sehr flexibel umstellen von rein wissenschaftlicher Arbeit auf rein theoretische und umgekehrt. Es gab Wochen, da hatten wir gefühlt nur Handwerksunterricht und wiederum andere, da wurde nur über wissenschaftlichen Texten gebrütet und es wurden Gruppenarbeiten gemacht.
Meine Professor_innen, die mich ermutigt haben, mich anderen zuzumuten und mit Pioniergeist ein Thema voranzutreiben, werden mich immer in meiner Haltung begleiten.
Was hat Ihnen besonders gut am Studium gefallen?
Die unheimlich kleine Kursgröße und der gute Mix an Theorie und Praxis.
Welchen Tipp geben Sie Studierenden der ASH Berlin mit auf den Weg?
Ich habe in meiner Studienzeit zu viel Wert auf Leistung und Noten gelegt. Würde ich nochmal studieren, würde ich es mit mehr Leichtigkeit versuchen und möchte andere ermuntern, sich eher ihrem Interesse und der Leidenschaft hinzugeben – da lohnt es sich, viel Energie reinzustecken. Und andere Sachen auch mal mit weniger Anspruch durchzuziehen.
Ich komme jedenfalls immer wieder gern an die ASH Berlin zurück und bin dankbar für die Zeit dort. Es ist ein toller Ort, um eigene Ideen zu entwickeln, in Sicherheit auszuprobieren und dann mit echt guten Skills raus in die Welt zu gehen und sich zu zeigen. Ich wünsche allen anderen Studierenden viel Erfolg dabei!