Will ich wirklich mit Kindern in einem „klassischen Frauenberuf“ arbeiten? Vor einigen Jahren war für mich diese Frage noch aktuell. Das änderte sich jedoch während meines Praktikums im Deutsch-Türkischen Kinder-, Mädchen- und Jungentreff „DTK Wasserturm“. Hier konnte ich erste Erfahrungen im frühpädagogischen Bereich mit Kindern von vier bis elf Jahren sammeln. Die Zusammenarbeit mit dem Leiter der Einrichtung, Hakan Aslan, hat einen bleibenden und nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen. Ich war zuerst sehr überrascht von ihm. Durch seine auffällige Erscheinung, groß und muskulös, war ich davon ausgegangen, dass er streng und autoritär arbeitet. Wie er aber vor allem mit den jüngeren Kindern agierte und kommunizierte – empathisch und einfühlsam – beeindruckte mich sehr. Mein „Männerbild“ veränderte sich dadurch. Ich merkte damals zum ersten Mal, dass auch „coole“ Männer in diesem wichtigen Beruf arbeiten können und dafür eine hohe Akzeptanz und positive Rückmeldung bekommen. Hakan war für mich in vielerlei Hinsicht ein Vorbild. Durch ihn reflektierte ich meine Vorurteile gegenüber Kindern und Jugendlichen und ihren Familien, die einen türkischen Hintergrund haben. Diese Haltung – Offenheit gegenüber Diversität und die eigenen Meinungen und Vorurteile zu überprüfen und zu reflektieren – ist eines meiner Leitprinzipien in der pädagogischen und auch wissenschaftlichen Arbeit. Ich versuchte, diesen Schwerpunkt in meinen Seminaren, Hausarbeiten, Abschlussarbeiten und Praktika zu integrieren.
Die Erfahrungen im „DTK Wasserturm“ und der Kontakt zu Hakan Aslan waren dann auch ausschlaggebend, mich für den Studiengang Erziehung und Bildung im Kindesalter an der ASH Berlin zu bewerben.
Eine weitere wichtige Station in meinem Werdegang war mein Praktikum im Jahre 2006 in der Kindertageseinrichtung Dresdener Straße in Berlin Kreuzberg. Dort lernte ich mein erstes türkisches Wort „görüşürüz“, was soviel wie „bis bald“ bedeutet. Der Kontakt zu den Kindern mit der türkischen Ausgangssprache war die Initialzündung, die türkische Sprache zu erlernen. Während meines gesamten Studiums erhielt ich ein Stipendium von der Hans-Böckler-Stiftung, die mir auch auf meine Nachfrage hin einen Türkisch-Sprachkurs in Istanbul finanzierte. Der Grundstein für meine häufigen Aufenthalte in Istanbul war damit gelegt. 2007 reiste ich zum ersten Mal für einen einmonatigen Sprachkurs dorthin. Während meines Studiums absolvierte ich in Istanbul zwei Sprachkurse, ein Praktikum in einer Kindertageseinrichtung und einen Forschungsaufenthalt für meine Bachelorarbeit mit dem Thema „Bilinguale Erziehung in Kindergärten – ein Vergleich bilingualer Kindergärten in Istanbul und Berlin“. Studierenden würde ich immer empfehlen, sich einen Themenschwerpunkt auszuwählen, der sie im Studium als roter Faden begleitet.
Neben den beschriebenen Praktika war für mich auch die Zeit im Asta/Stupa sowie mein gewerkschaftspolitisches Engagement und mein gesellschaftspolitisches Engagement im Bereich Antifaschismus sehr wichtig. Dadurch wurde mir bewusst, dass man Dinge gemeinsam verändern kann und ein Ziel notfalls auch über Umwege erreichbar ist. Visionen und Ideen sind wichtig und können realisiert werden. Ich kann Studierenden nur raten, den Blick auch auf andere Bereiche jenseits des Studiums zu richten – sich beispielsweise politisch einzubringen – da man in diesen Prozessen viel lernt.
Viele Kontakte, die ich während der Praktika und der Studienzeit knüpfte, sind mir auch heute noch nützlich – es lohnt sich, diese zu pflegen, vieles läuft einfach über Vitamin B.
Nach Beendigung meines Studiums habe ich insgesamt sieben Monate in Istanbul gelebt, wo ich ein Praktikum am Goethe-Institut Istanbul absolvierte. Mein thematischer Schwerpunkt dort war die Mehrsprachigkeit im Elementarbereich in der Türkei. In den ersten drei Monaten habe ich in fast allen bilingualen Kindertageseinrichtungen in Istanbul für jeweils einen Tag hospitiert. Darauf aufbauend konzipierte ich Seminare für Erzieherinnen und Erzieher zum Thema Beobachtung und Dokumentation in Kindertageseinrichtungen und führte sie durch. Durch die Kontakte zu Kindertageseinrichtungen in Istanbul und Berlin entwickelte ich zudem ein Konzept für einen Fachkräfteaustausch für Erzieherinnen und Erzieher aus Berlin und Istanbul. Das Konzept beruht auch auf einer These in meiner Masterarbeit. In den dafür durchgeführten Gruppendiskussionen deutete sich nämlich an, dass positive Erfahrungen mit Zweisprachigkeit förderlich für die wichtige Einbeziehung der türkischen Sprache in die pädagogische Arbeit und für eine differenzierte Wahrnehmung der Kinder und Eltern sind.
Für das Projekt „Fachkräfteaustausch für Erzieherinnen und Erzieher aus Berlin und Istanbul“ konnte ich die Alice Salomon Hochschule Berlin und das Goethe-Institut Istanbul gewinnen. Unsere Anträge auf Finanzierung bei mehreren deutschen Stiftungen wurden aber leider abgelehnt. Momentan bin ich mit der Senatsverwaltung in Kontakt, um ein ähnliches Projekt zu organisieren.
Auch im Rahmen meines Dissertationsprojektes möchte ich mich mit Weiterbildungsseminaren zum Thema Sprachförderung tiefer beschäftigen. Gerade bewerbe ich mich auf ein Stipendium bei der Hans-Böckler-Stiftung.
Momentan arbeite ich in einem Kinderladen und begegne täglich neuen Herausforderungen, für die es keinen Masterplan gibt. Die wissenschaftliche Begleitung der Praktika sowie die kritische Auseinandersetzung mit theoretischem und didaktischem Wissen in den Seminaren während der Studienzeit helfen mir, diese Herausforderungen zu bewältigen. Durch mein Studium fühle ich mich auf diese Ungewissheiten einigermaßen vorbereitet, d. h. dass ich spontan und flexibel und mithilfe meines Fachwissens darauf reagieren kann. Trotzdem merke ich, dass es einen großen Unterschied zwischen den Inhalten und Themen des Studiums und der pädagogischen Wirklichkeit gibt. Ein Beispiel dafür ist z. B. die fehlende Vor- und Nachbereitungszeit für Projekte. Das Wechselspiel zwischen Theorie und Praxis (Masterarbeit – Kinderladen – Dissertationsprojekt) ist meiner Ansicht nach für mein späteres Dissertationsprojekt sehr hilfreich, da ich die Situation und die Rahmenbedingungen von frühpädagogischen Fachkräften dadurch besser einschätzen kann.