Hilfe bei Trauma Unterstützung für minderjährige Geflüchtete

Traumatisierte minderjährige Geflüchtete sollen mithilfe eines Internetportals und psychosozialer Diagnostik adäquate Unterstützung finden

Zwei Hände auf einer Laptop Tastatur
Tranmautritram from Pexels

Asyse kommt mit ihrer Mutter und ihrem kleinen Bruder aus Syrien nach Deutschland. Sie hat durch Krieg und Flucht viele seelische und soziale Verletzungen erfahren. Angekommen in Deutschland ist sie zwar zunächst sicher, fühlt sich aber seltsamerweise nicht sicher: Sie merkt zunehmend, dass sie sich nicht mehr konzentrieren kann, Alpträume hat, häufig ganz unvorhersehbar zusammenzuckt. Besonders wenn sie ein lautes Knallen hört, steigt Panik in ihr auf – sie hat das Gefühl, wieder mitten im Krieg zu sein. Dazu ist sie mit vielen Aufgaben in Deutschland konfrontiert: Sie vermisst ihre Heimat, Freunde und zu vielen ihrer Familienangehörigen hat sie keinen Kontakt. Sie möchte eine neue Sprache lernen, sich die neue Umgebung erschließen. Rechtliche Fragen stellen sich, ihre Mutter ist krank, sie kümmert sich daher um ihren kleinen Bruder, sie würde gerne auch Anschluss an Freunde finden u.v.m.

Die Frage nach einer adäquaten Unterstützung stellt sich, die Asyses Sprache im doppelten Sinne spricht. Aber selbst für Fachkräfte ist schwer herauszufinden, wo genau Hilfe wie geleistet wird. Für Asyse, für die die Sprache, aber auch Gesetze und Art des Umgangs mit Gesundheit in Deutschland fremd sind, ist es daher schwierig bis unmöglich, passende Unterstützung zu finden und über ihre Gefühle und Gedanken, die sie verunsichern, zu sprechen. Ziel des Forschungsprojekts „Traumatisierte minderjährige Geflüchtete verstehen und unterstützen“ (TraM) ist daher ein möglichst niedrigschwelliger Zugang zu einem Traumaerkennungs- und Unterstützungsportal in Form einer Webseite und in weiterer Folge zu einer passfähigen psychosozialen Beratung.

"Über ein virtuelles Spiel können Geflüchtete Hinweise erhalten, ob es sich bei ihren Gefühlen und Gedanken um Symptome einer traumatisch geprägten Belastung handelt."


In dem Portal soll die Möglichkeit bestehen, über ein virtuelles Spiel Hinweise zu erhalten, ob es sich bei Asyses Gefühlen und Gedanken um Symptome einer traumatisch geprägten Belastung handelt. Neben dem Screening soll es auf der Internetseite einen Peer-Chat geben, in dem Asyse die Möglichkeit hat, sich an jemanden zu wenden, welcher/welche ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Hier kann Asyse sich mit anderen Geflüchteten in ihrer Muttersprache über ihre Situation austauschen und Informationen, aber auch Anerkennung und emotionalen Halt erfahren. Auf dem Portal soll es zudem Informationen zu Unterstützung verschiedenster Art (z. B. Anträge und Hilfeformen) geben.

Für das Suchen und Finden passfähiger psychosozialer Beratungsangebote wird ein psychosoziales Diagnostikmodell (mit Biografie- und Lebensweltdiagnostik) entwickelt, welches in Beratungsstellen angeboten werden kann. Sollte Asyse also in eine psychosoziale Beratungsstelle gehen (bspw. das Jugendamt), soll das Diagnostikmodell dort bekannt sein. Gemeinsam mit den Fachkräften kann sie dort ein umfassendes Bild über Stressoren und Ressourcen erarbeiten. Dabei spielen frühere (seelische) Verletzungen, aktuelle Belastungen, aber auch unterstützende Aspekte (Interessen, Freunde, Familie) eine Rolle. Diese sind die Grundlage dafür, passende (weitere) Hilfsangebote zu vermitteln bzw. zu installieren.

Die erste Stufe auf der Webseite ist ein Erkennungs-Test für das etwaige Vorliegen traumatischer Belastungen mithilfe künstlicher Intelligenz (KI). Dabei bekommen die Teilnehmer_innen visuelle Reize (z. B. ein Wimmelbild) und Aufgaben (z. B. etwas finden). Während die Teilnehmer_innen die Aufgaben lösen, werden Veränderungen in der Mimik und Stimme aufgenommen und mittels selbstlernendem Logarithmus analysiert. Bei Verdacht auf traumaspezifische Belastungen soll dann auf Unterstützungsangebote (z. B. den Peer-Chat und Therapiezentren) hingewiesen werden. Die Erstellung der späteren psychosozialen Diagnose erfolgt nur durch Fachkräfte. Das Screening auf dem Portal ist lediglich als VORtest zu betrachten. Das Wichtige und Neue an dem Portal ist die Niedrigschwelligkeit des Zugangs und über dieses Hinweise zu bekommen, welche das Suchen nach Unterstützungsangeboten ggfs. erst ermöglichen. Die entstehenden Daten werden entlang der Empfehlung von Datenschutzbehörden geschützt.
Die zweite Stufe, der Peer-Chat, dient dazu, mit Menschen, welche ähnliche Erfahrungen gemacht haben, zu sprechen, sich zu öffnen und angenommen zu fühlen. Das ist besonders in der Zeit der Neuorientierung in einem fremden Land und den hinzukommenden gesundheitlichen Beschwerden, eine wichtige Möglichkeit, erste Ansprechpartner_innen zu finden.
Die dritte Stufe – psychosoziale Diagnostik – soll wie beschrieben in den psychosozialen Beratungs- und Behandlungsangeboten erfolgen. Durch die Komponenten kategoriale Diagnostik, Biografieanalyse und Lebensweltdiagnostik werden dort umfassend individuelle und lebensweltbezogene Faktoren (unterstützende und stärkende und belastende) mit den Klient_innen erarbeitet und als Grundlage für eine Hilfeplanung (was braucht es hier für spezifische Angebote?) genutzt.

"Die ASH Berlin wird im Projekt durch Integrationslotsinnen und -lotsen (zugewanderte Menschen, welche bei sozialen Fragen und Sprachmittlung helfen) in Berlin unterstützt."


Für die Entwicklung der Stufen und die Erhebung der Daten konzentriert sich das Projekt TraM zunächst auf den Raum Berlin. Dabei wird die ASH Berlin durch Integrationslotsinnen und -lotsen (zugewanderte Menschen, welche bei sozialen Fragen und Sprachmittlung helfen) in Berlin unterstützt. Für den Test des Portals wird es wahrscheinlich eine Fokussierung auf Berlin geben, geplant ist jedoch, dass unabhängig vom Ankunftsort in Deutschland die Nutzung des internetbasierten Angebots ermöglicht werden soll. Für die Entwicklung des psychosozialen Diagnostikmodells werden im ersten Schritt Interviews mit geflüchteten Menschen (18–21 Jahre) geführt und mit Gruppendiskussionen von Fachkräften verknüpft. Hierzu kooperiert die ASH Berlin mit vier Praxiseinrichtungen im Fluchtbereich. Das Modell wird nach einer praxisnahen Entwicklung implementiert und formativ evaluiert.

Die ASH Berlin hat bei der Entwicklung des Portals zwei Aufgaben, die jeweils von einer Professorin geleitet werden – Koordination des Gesamtprojektes und Entwicklung des psychosozialen Diagnostikmodells (Stufe 3).

Die Entwicklung des psychosozialen Diagnostikmodells wird von Frau Prof. Dr. Gahleitner geleitet. Lisa Große, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, erarbeitet die jeweils anstehenden Schritte und Aufgaben: Interviewleitfäden, wissenschaftlicher Theoriebestand, Interviewauswertung sowie organisatorische Aufgaben. Bereichert wird die Zusammenarbeit mit den Praxiseinrichtungen durch die wertvolle Unterstützung vier studentischer Tutor_innen, welche das Projekt begleiten.

Die Gesamtkoordination des Verbundes sowie die inhaltliche Evaluation steht unter der Leitung von Frau Prof. Dr. Luzi Beyer. Die Aufgaben der Wissenschaftlichen Mitarbeiterin Annina Fischer bestehen vor allem in der Koordination der beteiligten Hochschulen und deren Mitarbeiter_innen. Ein wichtiger Aspekt für das Projekt ist die ethische Reflektion in der Erarbeitung der Stufen mit Unterstützung einer vulnerablen Personengruppe. Annina Fischer übernimmt daher auch die Organisation von ELSI (Ethical, Legal and Social Aspects) -Workshops und unterstützt bei der Durchführung der Anforderungsanalyse der ELSI-Aspekte.

 

Kurzinformation
Projektname:
Traumatisierte minderjährige Geflüchtete verstehen und unterstützen: Entwicklung eines niedrigschwelligen Screening- und Unterstützungs-Portals als Grundlage eines umfassenden psychosozialen Diagnostikmodells
Projektlaufzeit:
01.09.2019 bis 31.08.2022
Projektleitung:
Prof. Dr. Luzi Beyer, Prof. Dr. Silke Gahleitner (Teilprojekt ASH Berlin)
Projektmitarbeiter_innen:
Annina Fischer, Lisa Große
Kooperationspartner_innen:
Rheinische Fachhochschule, Hochschule Niederrhein, Hochschule für Medien Kommunikation und Wirtschaft
Mittelgeber_in:
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Forschung an Fachhochschulen
Kontakt:
luzi.beyer@ ash-berlin.eu, sb@ gahleitner.net
Projektwebseite: www.ash-berlin.eu/forschung/forschungsprojekte-a-z/tram/