Forschung Selbsthilfe Aktiv

Unterstützung von Angehörige von pflegebedürftigen Menschen mit Migrationshintergrund mittels Instant-Messenger-Diensten

Grafik: ein Handy aus dem oben Sprechblasen mit Köpfen rausschweben
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Die Zahl älterer Menschen mit Migrationshintergrund steigt im Zuge des demografischen Wandels an, sodass chronische Erkrankungen und Pflegebedürftigkeit in dieser Bevölkerungsgruppe häufiger zu erwarten sind. Die Pflegesituation bei Menschen mit und ohne Migrationshintergrund ist in vielen Aspekten ähnlich (Tezcan-Güntekin & Razum 2017). 75 Prozent der Menschen ohne, bzw. 66 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund wünschen sich, zu Hause und durch Angehörige gepflegt zu werden. Unterschiede bestehen darin, dass die Pflege in Familien mit Migrationshintergrund häufiger tatsächlich zu Hause durch Angehörige erfolgt – hier als Beispiel türkeistämmige Menschen, die zu 98 Prozent durch Angehörige gepflegt werden (Okken et al. 2008). Dies kann zu einer Überlastung der pflegenden Angehörigen führen. Selbsthilfe kann eine Form der Entlastung sein, diese wird bislang von Menschen mit Migrationshintergrund jedoch nur selten in Anspruch genommen. Der Austausch über Gefühle oder Probleme innerhalb einer Gruppe ist mit Scham besetzt oder es fehlen für den verbalen Austausch notwendige Sprachkenntnisse (vgl. Kohler & Kofahl 2012). Menschen mit Migrationshintergrund sind eher skeptisch und verhältnismäßig wenig bereit sich zu öffnen, wenn keine Professionellen anwesend sind, die solch einen Austausch leiten oder als Ansprechpartner fungieren. Gleichzeitig ist die Selbstmanagementkompetenz wenig ausgeprägt (Tezcan-Güntekin/Razum 2018). Damit sind sie dem Risiko ausgesetzt, durch die chronische Überforderung zu „Co-Erkrankten“ zu werden (Piechotta & Matter, 2008). Entlastung durch den Austausch mit anderen Betroffenen kann zu einer Erhöhung der Dementia Literacy, aber auch einer Enttabuisierung der eigenen Situation als pflegende Angehörige einer demenzerkrankten Person führen.

 

Im Projekt „Selbsthilfe Aktiv – (Inter-)Aktive Selbsthilfe für pflegende Angehörige türkeistämmiger Menschen mit Demenz“ wurden die Bedürfnisse der Angehörigen vor dem Beginn der Intervention mit einem qualitativen Forschungsansatz (Mayring 2015) analysiert. Anschließend startete im November 2018 in Bielefeld eine muttersprachliche, begleitete Selbsthilfegruppe. Die Teilnehmenden treffen sich hierfür in Räumlichkeiten, die in Kooperation mit der Alzheimer Gesellschaft Bielefeld e. V. vom Tageshaus Bielefeld zur Verfügung gestellt werden. Die Angehörigen vereinbaren die Treffen durch einen Instant-Messenger-Dienst. Beim ersten Treffen haben die Teilnehmenden die Bedingungen der Nutzung gemeinsam festgelegt und sich darauf geeinigt, dass über dieses Kommunikationsmedium keine konkreten Gesundheitsinformationen über die Angehörigen und keine religiösen oder politischen Inhalte transportiert werden sollen und die Online-Gruppe primär zur Terminfindung und zum Zu- bzw. Absagen der Teilnahme genutzt wird. Seit neun Monaten werden die monatlichen Selbsthilfetreffen kontinuierlich fortgesetzt. Das Ziel des Projektes, die Angehörigen immer in aktive Settings wie Spaziergänge, gemeinsame Frühstückstreffen u. a. einzubeziehen, wurde – nach gemeinsamer Entscheidungsfindung der Teilnehmenden – in den ersten Monaten kaum umgesetzt und erst in den Sommermonaten erprobt. Derzeit steht die Evaluations-Fokusgruppe an, aus der hervorgehen wird, inwiefern die Angehörigen die Selbsthilfegruppe als entlastend wahrgenommen haben. Ein Effekt, der sich bereits während der Intervention deutlich gezeigt hat war, dass die Gruppenförmigkeit in dem Instant-Messenger-Dienst dazu führte, dass auch bei Abwesenheit der Person durch die zeitnahe Absage und zumeist Begründung dieser eine Verbindung zu den anderen Teilnehmenden gehalten und eine Verbindlichkeit aufgebaut wurde.

Als Zwischenresultat lässt sich zusammenfassen, dass durch die innovative Kommunikationsform des Instant-Messenger-Dienstes eine Kontinuität der Selbsthilfegruppe erreicht wurde, die bislang kaum zu erreichen war.

 

 

 

Kurzinformation
Projektlaufzeit:
01.10.2017 –  30.09.2019
Projektleitung: Prof. Dr. Hürrem Tezcan-Güntekin
Projektmitarbeiter_innen: Ilknur Özer-Erdogdu
Kooperationspartner_innen:
Sufi Pflegedienst Bielefeld, Alzheimer Gesellschaft Bielefeld e. V.
Förderer: Deutsche Alzheimer Gesellschaft e. V.
Kontakt: Hürrem Tezcan-Güntekin, tezcan@ ash-berlin.eu
Web: www.ash-berlin.eu/forschung/forschungsprojekte-a-z/selbsthilfe-aktiv/