Am 31.01.2019 wurde im FHXB-Friedrichshain-Kreuzberg Museum die Ausstellung „Schule zieht Grenzen – wir ziehen nicht mit!“ eröffnet. Sie ist das Ergebnis des Praxisforschungsprojektes „Passkontrolle! Leben ohne Papiere in Geschichte und Gegenwart“ und konnte bis Anfang Mai besichtigt werden.
Ausgangspunkt des zweijährigen Praxisforschungsprojekts war die Frage, welche Ein- und Ausschlussmechanismen mit der Erteilung, dem Entzug und der Verweigerung von Papieren in verschiedenen historischen Epochen einhergingen und aktuell einhergehen. Wir wollten wissen, wie dadurch verschiedene Rassismen aufrechterhalten werden und welche Formen des Widerstands es im Laufe der Geschichte gegeben hat, um ohne Papiere oder mit prekärem Status zu (über)leben. Zusammen mit verschiedenen diasporischen Communities forschten wir prozessorientiert und kollaborativ: Wir entwickelten gemeinsam das Feinkonzept, führten Interviews und Gespräche mit Zeitzeug*innen und Expert*innen, recherchierten in Archiven und Bibliotheken und werteten bewegungsgeschichtliche Dokumente aus.
Die Ergebnisse sollen empowern
Es war uns auch wichtig, Praktiken des Sammelns, Kategorisierens und Ausstellens aus der Perspektive rassismuskritischen Kuratierens zu hinterfragen und Formen der Vermittlung zu finden, die nicht exotisieren und objektivieren. Einig waren wir uns auch, dass keine Rassismen wiederholt und möglichst keine rassistischen Verletzungen aktualisiert werden sollen, sondern die Ergebnisse aus einer widerständigen Perspektive empowern sollen.
Wir entschieden uns dafür, die Institution Schule in den Mittelpunkt zu stellen. Schließlich betraf uns das alle irgendwann, sei es, dass wir die Schule eine Zeit lang gar nicht oder nur eine bestimmte Schule besuchen durften, dass wir in gesonderten Klassen unterrichtet wurden oder über Umwege unsere Ziele erreichen mussten. Die Kriterien und die Begründung für schulische Segregation, für Ein- und Ausschlussmechanismen entlang rassisierter Nicht-/Zugehörigkeit änderten sich zwar im Laufe der Zeit, weisen aber auch eine gewisse Kontinuität auf.
Anna Boros, Otto Rosenberg, Rudolph Douala Manga Bell
Am Beispiel Berlins zeigt die Ausstellung, wie Kinder, Jugendliche und auch Lehrkräfte an gleichberechtigter schulischer Teilhabe gehindert werden, welche geschichtlichen und rechtlichen Zusammenhänge bestehen und wie die betroffenen Schüler*innen, ihre Eltern, Lehrer*innen und Communities damit umgehen. In der Ausstellung werden Schlaglichter geworfen auf unterschiedliche Epochen (Deutsche Kolonien, Nationalsozialismus, DDR und heute, Arbeits- und Fluchtmigration), die historische Einbettung kann in einer Zeitleiste nachgelesen werden. Zur Konkretisierung werden exemplarisch vorgestellt: drei Biografien (Anna Boros, Otto Rosenberg, Rudolph Douala Manga Bell), spezifische Schulformen (Mädchenbildung in deutschen Kolonien, Deutsche Auslandsschulen, DDR-Kinder aus Namibia) und einige Proteste im Zusammenhang mit Segregation seit den 1970er-Jahren (Proteste gegen: Willkommensklassen, Abschiebung von Schüler*innen, Erschwerung von Familienzusammenführung und gegen Berufsverbote) sowie Interviews mit ehemaligen Schüler*innen, Aktivist*innen und Pädagog*innen, die in einer Audiostation gehört werden können. Die Frage nach Handlungsstrategien im Umgang mit den jeweiligen Mechanismen von Ausschluss und Segregation im Kontext Schule stehen bei allen thematischen Clustern im Mittelpunkt.
Ein umfangreiches Begleitprogramm auf der „Bühne des Widerstands“ mit Workshops, einer Performance- und Theateraufführung und einer Buchvorstellung ergänzt die Ausstellung. Das Programm wurde gemeinsam mit den beteiligten Partner*innen und weiteren Migrant*innenselbstorganisationen entwickelt und von diesen durchgeführt.
Ab dem 05. Mai 2019 geht die Ausstellung in den Besitz des feministischen Romnja* Archivs RomaniPhen über und kann dort ausgeliehen werden. Das Projekt-Team freut sich, dass bereits kurz nach der Eröffnung Anfragen zur Entleihung eingegangen sind.
Am 20. März fand die Abschlussveranstaltung des Forschungsprojekts in der Akademie des Jüdischen Museums statt: Projektvorstellung, Vorträge und Podiumsdiskussionen kreisten um zentrale Fragestellungen des kollaborativen Forschens und Ausstellens an der Schnittstelle von Aktivismus und Wissenschaft zum Thema schulische Segregation.
Kurzinformation
Projekttitel: „Passkontrolle! Leben ohne Papiere in Geschichte und Gegenwart"
Projektlaufzeit: 1.4.2017 bis 31.3.2019
Projektleitung: Prof. Dr. Iman Attia (ASH Berlin), Prof. Dr. Susan Kamel (HTW Berlin)
Kooperationspartner:
Jüdisches Museum Berlin
Verband für interkulturelle Arbeit – VIA-Regionalverband Berlin/Brandenburg e.V.
RomaniPhen Archiv
FHXB-Friedrichshain-Kreuzberg Museum
Fachliche Unterstützung: IniRromnja, Jugendliche ohne Grenzen, International Womens Space
Förderer: IFAF Berlin
Kontakt: Prof. Dr. Iman Attia, Professorin im Arbeitsbereich, „Rassismus und Migration“, Raum 206, T +49 30 992 45 454, attia@ ash-berlin.eu
Programm Abschlusstagung: www.jmberlin.de/tagung-zugangsbarrieren-schule-und-ausstellungspraxis-rassismuskritisch-hinterfragt