Der Bezug auf Menschenrechte bietet neben einer rechtlichen auch eine ethisch-normative Grundlage für Diversity-Zugänge. Es geht um Anerkennung von Vielfalt und Würde jedes Einzelnen, um Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung, um Nichtdiskriminierung und Prävention von Gewalt. Bildung kommt die Aufgabe zu, Menschenrechte zu fördern und lebendig werden zu lassen, z. B. das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Zweifelsohne mag die Kenntnis der Yogyakarta-Prinzipien, in denen 2007 eine internationale Gruppe von Rechtsexpert_innen die Menschenrechte in Bezug auf Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans*-Personen ausbuchstabiert hat, förderlich wirken für eine anerkennende Haltung gegenüber gelebter Vielfalt.
Praxisforschungsprojekt VieL*Bar
Im IFAF-geförderten Praxisforschungsprojekt VieL*Bar beschäftigen wir uns mit Bildungsarbeit, die dem Ziel folgt, vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen zum selbstverständlichen Horizont der Lebensgestaltung werden zu lassen. Nicht zuletzt aufgrund einiger Beobachtungen im Forschungsfeld fragen wir uns, inwiefern es dabei sinnvoll ist, einen dezidiert menschenrechtsorientierten Ansatz als primären Zugang zu wählen. Inwiefern lernen Kinder und Jugendliche vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen dann nicht von Anfang an als über potenzielle Diskriminierung gekennzeichnet kennen? Und inwiefern laufen solche Zugänge weiter Gefahr, die der vorherrschenden Ordnung heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit zugrunde liegenden Differenzen und Logiken – wie die binären Unterscheidungen in Frau–Mann, homo–hetero, cis und trans*, Norm(alität) und Abweichung – eher bestätigend aufzurufen statt sie auf altersangemessene Weise machtkritisch zu reflektieren?
Vielfältige Lebensweisen
Themen werden über Zugänge konstituiert. Wie kann der in den Menschenrechten eingelassene Sinn sexueller Selbstbestimmung nicht nur im Verhältnis der Menschen zueinander – Freiheit von: Diskriminierung –, sondern gerade auch im Verhältnis der Einzelnen zu sich selbst – Freiheit zu: vielfältigen Lebensweisen – lebendig gemacht werden, ohne dieser von vornherein die vorherrschende Struktur von Norm und Abweichung zu unterlegen?
Herausforderungen eines menschenrechtsorientierten Zugangs werden in der konkreten Bildungsarbeit auch dort sichtbar, wo Jugendliche Menschenrechte nicht als einen gemeinsamen Nenner gelten lassen, z. B. vor dem Hintergrund eines eigenen prekären (Aufenthalts)Status, dem Erleben von Krieg und Flucht oder einer identitäre Sicherheit versprechenden Orientierung auf Cisgeschlechtlichkeit und Heterosexualität. Die Gefahr ist groß, als Pädagog_in dann eine Erzählung zu wiederholen, die den Umgang mit Menschenrechten zu einem Indikator von Fortschrittlichkeit und Liberalität erhebt – und damit Jugendlichen ihre (Herkunfts)Kontexte als rückständig und aufholbedürftig vorführt.
Ein anderer Zugang kann demgegenüber darin liegen, die Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt auch als widersprüchlichen Teil nationalstaatlicher Identitätskonstruktionen des globalen Nordens zu begreifen. Zu diesen gehört, Homo- und Transfeindlichkeit auf (Migrations)andere zu projizieren und damit bestimmte Selbst- und Fremdidentitäten zu schaffen. So betrachtet lösen die beschriebenen Abwehrreaktionen weniger Verwunderung aus. Auch sind wir herausgefordert alternative Thematisierungsweisen von Vielfalt zu entwickeln, die solche Produktionsweisen von aufeinander verweisenden Identitäten, aber auch die darin eingelassenen Ambivalenzen (z. B. gleichzeitig von beidem etwas zu sein) und Möglichkeiten (z. B. strategisch mal das eine, mal das andere zu sein) aufzeigen. Darüber hinaus können gemeinsam Widersprüche und Auslassungen der Menschenrechte aufgespürt und dabei deren (hetero)normative und (post)koloniale Grundlagen kritisiert und verschoben werden.
Projekttitel: Vielfältige geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen in der Bildungsarbeit - Didaktische Potenziale und Herausforderungen museumspädagogischer Zugänge (VieL*Bar)
Projektlaufzeit: 01.04.2016 - 31.03.2018
Projektleitung: Prof. Dr. Jutta Hartmann (ASH Berlin), Prof. Dr. Tobias Nettke (HTW Berlin) Projektmitarbeiter_innen: Mart Busche (ASH Berlin), Uli Streib-Brzič (HTW Berlin)
Kooperationspartner_innnen:
Jugend Museum
Institut für genderreflektierte Gewaltprävention (ifgg)
Bildungsinitiative Queerformat
Schwules Museum*
Mittelgeber_in: Institut für angewandte Forschung (IFAF Berlin)
Kontakt: Mart Busche, viel_bar@ ash-berlin.eu