Das Forschungsprojekt „GLEPA“ (Gleichgeschlechtliche Lebensweisen und Pflege im Alter) hat in einer über 25 Monate laufenden Studie (1. Juli 2015 bis 31. September 2017) die Situation von pflege- und betreuungsbedürftigen Lesben, Schwulen, Bisexuellen und trans* und intergeschlechtlichen Senior_innen (LSBT*I) untersucht. Das Projekt wurde vom Institut für angewandte Forschung (IFAF Berlin) gefördert und von Prof. Dr. Maria do Mar Castro Varela, Prof. Dr. Ingrid Kollak (beide Alice Salomon Hochschule Berlin) und Prof. Dr. Claudia Gather (Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin) geleitet. GLEPA wurde in Kooperation mit der Schwulenberatung Berlin, dem Pflegedienst CuraDomo, dem Pflegeheimträger Frankfurter Verband für Alten- und Behindertenhilfe e.V. und Vitanas GmbH & Co. KGaA – mit Sitz in Berlin – umgesetzt.
Die Studie umfasst acht biografisch-narrative Interviews mit pflege- oder hilfebedürftigen LSBT*I-Senior_innen im Alter von 61 bis 92 Jahren, sieben Expert_inneninterviews mit Heim- und Wohnbereichsleiter_innen der Kooperationspartner und eine Gruppendiskussion. Das umfangreiche Datenmaterial wird zurzeit noch bearbeitet. Die Ergebnisse werden in Kürze veröffentlicht. Ein Artikel wird im International Journal of Health Professions noch in diesem Jahr erscheinen.
Vor allem die biografisch-narrativen Interviews, die mit LSBT*I-Pflegebedürftigen im ganzen Bundesgebiet durchgeführt wurden, illustrieren die Diversität der Lebenswelten, die die Regeldienste der Altenhilfe nur unzureichend berücksichtigt. Die Sichtbarkeit von LSBT*I-Senior_innen, die Kenntnisse ihrer Lebenswelt, die Besonderheiten in Hinsicht auf die jeweiligen sozialen Netzwerke sind stets wiederkehrende Herausforderungen pflegerischer Versorgung. Bei allen Pflegebedürftigen wurde ein – zum Teil erhebliches – Unbehagen sichtbar, das insbesondere die Weiterführung des bisherigen Lebensstils, die Selbstbestimmung in Abhängigkeit von Drittpersonen oder den Umgang mit nicht-normativen Körpern betraf. Insbesondere mangelnde Erfahrung und Sensibilisierung im Umgang mit inter- und transgeschlechtlichen Senior_innen können zu Pflegefehlern, Re-Traumatisierungen und zum Unmöglichmachen von Teilhabe der Patient_innen führen.
Die befragten Expert_innen verdeutlichten die Relevanz einer Diversität auf der Personalebene und die sehr unterschiedlichen Verhaltensweisen des Pflegepersonals bei dem Thema. Maßnahmen und Aktivitäten eines Diversity-Managements in den Unternehmen sind zum Thema sexuelle Vielfalt bislang ausgesprochen selten. Auch heteronormative Aufnahmebögen und Praxen im Pflegealltag wurden problematisiert. Pflegekräfte, die für die besondere Situation von LGBT*I sensibilisiert sind oder gar selbst z. B. lesbisch oder schwul sind, müssen als eine wichtige Ressource für die Förderung einer biografiesensiblen Pflege im Pflegealltag und den Möglichkeiten sozialer Teilhabe in der Altenhilfe betrachtet werden.
Basierend auf den GLEPA-Erkenntnissen empfiehlt das Forschungsteam gezielte, kontextbezogene und praxisnahe Schulungen des Pflegepersonals in Hinsicht auf die Bedarfe von LSBT*I-Pflegebedürftigen und eine Verankerung der Themen geschlechtlicher und sexueller Vielfalt in den Lehrplänen der Altenpflege. Insbesondere die vielfältigen Lebenswelten und Besonderheiten sozialer Netzwerke müssen hierbei Berücksichtigung finden. Die Behandlung dieser Themen sollte verpflichtend erfolgen und mit den Erkenntnissen der kultursensiblen Altenpflege verknüpft werden. Ein Wissen über die Konsequenzen früher Diskriminierungen im Lebensverlauf, eine Sensibilität für Bezeichnungen und Begrifflichkeiten und Strategien im Umgang mit den eigenen Ängsten und LSBT*I-spezifischen Vorbehalten und Bedürfnissen sollten die Regel und nicht die Ausnahme sein. GLEPA veranschaulicht am Beispiel von pflegebedürftigen LSBT*I-Senior_innen die Relevanz Sozialer Arbeit und einer professionalisierten Biografiearbeit für eine diversitäts-sensible Pflege in Regeldiensten der Altenhilfe. Ferner wird auf mittlerweile auf dem Markt befindliche LSBT-*Auditverfahren für die PFlege verwiesen (wie das aus den Niederlanden stammende Zertifikat „Pink Passkey“), um nicht nur in Metropolregionen, sondern flächendeckend eine diversitätssensible Altenpflege in den jeweiligen Einrichtungen in den Blick zu nehmen.
Aufgrund des Fachkräftemangels in der Pflege wird in den Daten stets ein Spannungsverhältnis zwischen einer individualitätsorientierten Pflege und dem Pflegealltag in der Regelversorgung durch die Biografien und Bedarfe von LSBT*I-Pflegebedürftigen erkennbar. Die Gewährleistung einer guten Pflege- und Lebensqualität von LSBT*I-Pflegebedürftigen fordert ambulante wie stationäre Versorgung in besonderer Weise heraus, ist aber für die Entwicklung einer diversitäts-sensiblen Pflege unerlässlich.
(Dieser Beitrag erschien in dieser Version erstmals in der alice 34 im Wintersemester 2017/18.)