Aus den Daten der Gesundheitsberichterstattung wissen wir, dass die Mehrheit der Kinder in Deutschland im Wohlergehen aufwächst. Dennoch sehen wir bereits in frühen Lebensjahren ein erhebliches Maß an sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit. In den Schuleingangsuntersuchungen werden Unterschiede zwischen Kindern je nach sozialer Lage ihrer Familie besonders deutlich. Woran liegt das und was können Kommunen zur Verbesserung von Chancengleichheit tun?
Kitas gelten dabei als ein Schlüsselsetting für die Stärkung gesundheitlicher Chancengleichheit, denn pädagogische Arbeit und eine höhere Besuchsdauer in der frühen Kindheit vermag hier einen Beitrag zu leisten. Das belegen auch die Evaluationsergebnisse für Berliner Kitas. Dennoch legen Studien aus dem Bundesgebiet nahe, dass nicht alle Kinder gleichermaßen von der Kita-Betreuung profitieren. Gibt es Möglichkeiten in Kitas und Kommunen noch mehr zu tun? Diese Frage liegt dem ElfE-Projekt zugrunde.
Als einen Knackpunkt für die Verbesserung von Chancengleichheit in der Kita-Zeit haben die in der ersten Förderphase mitforschenden Eltern die Schnittstelle zwischen Eltern und den Kita-Fachkräften benannt. Dabei zeigten sich unterschiedliche Vorstellungen über die Inhalte, Formen und Erwartungen an die Zusammenarbeit. Drei Jahre wurde das im Forschungsverbund PartKommPlus angesiedelte Projekt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung in der ersten Förderphase finanziert. Insgesamt hatten sich 19 Eltern aus dem Bezirk Marzahn-Hellersdorf von Berlin sowie der Kommune Lauchhammer in Brandenburg als Forschende engagiert.
Die Besonderheit des Projektes lag in der Umsetzung von Partizipation im Forschungsprozess im Sinne „geteilter Entscheidungsmacht“ (siehe Abbildung). Alle Schritte des Forschungsprozesses wurden mit den Eltern gemeinsam durchgeführt: von der Definition der Forschungsfrage über die Auswertung bis zum Ergebnistransfer.
Zum Abschluss des Forschungsprozesses wurden die Ergebnisse und Erfahrungen aus der Peerforschung der ersten Phase im Dialog mit Fachkräften und den Steuerungsrunden aufbereitet und in die folgenden Produkte für unterschiedliche Adressat_innen überführt.
Ergebnisse aus der Peerforschung
"Den Beziehungsalltag zwischen Eltern und Erzieher_innen in gegenseitigem Respekt und Vertrauen leben" lautet die von den Eltern aus den Interviews abgeleitete Kernkategorie. Im Alltag ist dies nicht immer gelebte Praxis, insbesondere nicht in herausfordernden Lebenssituationen.
· Was können Eltern tun, um die Zusammenarbeit mit Erzieher_innen zu verbessern? Aussagen zu dieser Frage wurden in einem Film von Eltern für Eltern aufbereitet.
· Was können Kita-Fachkräfte tun, um die Zusammenarbeit mit Eltern zu verbessern? Beispiele unterschiedlicher Gesprächssituationen wurden zur Unterstützung der Reflexion des Kita-Alltags in Form eines Kartensets entwickelt. Dies kann bereits in der Zeit der Qualifizierung aber auch im laufenden Betrieb wichtige Anregungen zur Beziehungsgestaltung liefern.
Erfahrungen mit der Peerforschung
Um Veränderungen zu ermöglichen, wurde die Peerforschung in eine Struktur der Gemeinschaftsforschung mit verschiedenen kommunalen Akteur_innen eingebettet (vgl. Grafik sowie alice 31, SoSe 2016, S. 74).
· Für die kommunale Fachsteuerung wurden Empfehlungen u. a. für die Gestaltung der Zusammenarbeit und den Aufbau einer angemessenen Steuerungsstruktur erarbeitet.
Die Methoden der partizipativen und qualitativen Sozialforschung (u. a. Peerforschung, Forschungswerkstätten sowie Leitfadeninterviews, Grounded Theory) wurden in sehr unterschiedlichen kommunalen Settings zum Einsatz gebracht und angepasst.
· Für Wissenschaftler_innen sowie Fachkräfte wurden Empfehlungen u. a. für Beteiligungsformate und die Anwendung der Methoden in der partizipativen (Forschungs-)Arbeit formuliert.
Seit Februar dieses Jahres hat nun die zweite Förderphase begonnen. In „ElfE² – Vom Modellprojekt zum Transfer in die Fläche“ gibt es eine weiterentwickelte Zielsetzung: Durch kompakte Workshop-Formate soll eine routinemäßige Verankerung von Elternbeteiligung in bezirklichen Planungsprozessen ermöglicht werden. Die Ergebnisse und Empfehlungen von ElfE² sind verfügbar unter www.partkommplus.de/teilprojekte/elfe2. Außerdem sollen die Forschungsergebnisse der ersten Förderphase in den Bezirk getragen werden und Wirkung entfalten.
Nachgefragt: Stimmen von den Kooperationspartnern des ElfE-Projekts am Standort Marzahn-Hellersdorf
Das Forschungsprojekt verbindet die Hochschule seit 2015 mit Eltern, Elternbeiräten, Fachkräften in Familienzentren und Kitas, Gesundheits- und Jugendverwaltung. Damit ist ElfE ein Beispiel für die Campus-Gemeinwesen-Arbeit der ASH Berlin. Die Wirkungen des Projektes werden im Laufe der nächsten beiden Jahre noch genauer analysiert. Aber in den Augen der beteiligten Akteur_innen zeigen sich schon verschiedene positive Effekte, wie sich auf Nachfragen der alice-Redaktion bei den Praxispartner_innen herausgestellt hat.
Von Bezirksseite berichten Kerstin Moncorps (Koordination für Gesundheitsförderung) und Petra Fiebig (Koordination Tagesbetreuung von Kindern):
Wie erleben Sie die Zusammenarbeit im ElfE-Projekt?
„ElfE ist für Marzahn-Hellersdorf eine Chance und Möglichkeit, Eltern in bezirkliche Prozesse einzubinden. Die wissenschaftliche Begleitung der ASH Berlin, ihre koordinierende und moderierende Rolle sichern und ermöglichen den in die Forschung integrierten partizipativen Prozess auf kommunaler Ebene sowie die Verständigung zwischen den Ressorts und Beteiligten. Dabei können alle voneinander lernen. Insbesondere der bezirkliche Schwerpunkt „gesundes Aufwachsen von Kindern“ hat durch die Einbindung von Eltern im Rahmen der Marzahn-Hellersdorfer Integrierten Kommunalen Strategie, kurz IKS „Gesundheit leben“ weiteren Aufwind erfahren. Die Vernetzung innerhalb des Forschungsverbundes für gesunde Kommunen – PartKommPlus, der in sechs Bundesländern angesiedelt ist, hat uns außerdem den Blick über den eigenen Tellerrand ermöglicht: Neben den Ergebnissen zu den entwickelten Forschungsfragen, mit denen im Bezirk gearbeitet wird, steht für die strukturelle Einbindung ein methodischer Ansatz zur Verfügung. Hier gilt es, Rahmenbedingungen abzustimmen, die zukünftig Beteiligung sichern und anderen Akteur_innen den Zugriff auf die Methode ermöglichen.“
Aus Elternsicht berichten Kristina Menz und Robin Adler (vgl. Video: https://www.ash-berlin.eu/forschung/forschungsprojekte-a-z/partnet-lernvideos-pilotstudie/):
Wie war für Sie die Erfahrung, am ElfE-Projekt teilzunehmen?
Kristina Menz: „Besonders schwierig war es für mich, Emotionen und ungute Gefühle gegenüber den Fachkräften oder gegenüber den Behörden zu äußern. Ich habe festgestellt, da wenig Sprache zu haben und fühlte mich unwohl. Innerhalb des Projektes hatte ich unter anderem in den Gruppendiskussionen aber dann erlernt, wie man nachfragen kann und für meine Emotionen Wertschätzung erfahren. Und durch die Reflexion ist es uns gelungen, Dinge klarer zu bekommen – und diese auch zu äußern.“
Was ist für Sie an den Forschungswerkstätten von Eltern im ElfE-Projekt wichtig gewesen?
Robin Adler: „Die Atmosphäre und die wertschätzende Haltung untereinander waren essenziell, um miteinander ins Gespräch zu kommen und zu diskutieren. In den Gesprächsrunden konnten wir Verständnisfragen stellen und nachhaken. Wichtig war auch, dass jeder offen seine Meinung äußern durfte und diese nicht angezweifelt, sondern konstruktiv damit umgegangen wurde.
In dem Projekt haben wir Eltern mit Fachkräften aus dem Bezirk zum Thema Ressourceneinbindung um einen Tisch gesessen. Auch hier spielte die wertschätzende Haltung uns Eltern gegenüber eine wesentliche Rolle. Es war gut, dass beide Seiten dabei waren, dass alle offen und ehrlich ihre Meinung sagen konnten. So konnte man sich austauschen und gemeinsam nach Lösungen suchen.“
Julia Friedrich ist Vorsitzende des Bezirkselternausschusses Kita Marzahn-Hellersdorf (BEAK):
Wie nehmen Sie die Wirkung von ElfE wahr?
„Das ElfE-Projekt stärkt nachhaltig die Partnerschaften im Netzwerk des BEAK durch die gute kooperative Zusammenarbeit der verschiedenen bezirklichen Fachbereiche, der Eltern und der ASH Berlin. Es hebt die Wichtigkeit der Elternarbeit in den Kitas und auf bezirklicher Ebene hervor. Durch die Ergebnisse der forschenden Eltern wurde deutlich, welche Unterstützungsmöglichkeiten Elternvertreter_innen anderen Eltern bieten können und dass diese auch genutzt werden sollten. Eltern haben einen hohen Mitbestimmungs- und Wirkungsgrad, der zum Teil sehr unterschiedlich wahrgenommen wird. Das spiegelt auch das freiwillige elterliche Engagement in der Praxis wider.“
(Dieser Beitrag erschien erstmals in der alice 36 im Wintersemester 2018/19.)