Forschung Mit geflüchteten Frauen forschen

Gesundheitliche Versorgung geflüchteter Frauen rund um Schwangerschaft und Geburt

Zoom-Kacheln mit Menschen
Das Proref-Team bei einer Online-Besprechung

In welcher Forschungsphase befinden Sie sich aktuell?

Borde: Seit Beginn unseres Projektes im November 2019 ist trotz der widrigen Umstände durch die Covid-19-Pandemie aufgrund des großartigen Engagements des PROREF-Teams viel passiert. Wir sind jetzt in der Phase der Datenerhebung. Es war nicht so einfach, das vorgesehene Studiendesign mit den umfänglichen mündlichen Befragungen wie geplant durchzuführen. Dennoch konnten im quantitativen an der Charité angesiedelten Studienteil in drei Berliner Geburtskliniken inzwischen mehr als 2200 Mütter zu ihren Erfahrungen mit der Versorgungssituation befragt und in den Kliniken dokumentierte Prozess- und Ergebnisdaten erfasst werden. In der Stichprobe sind sowohl Frauen mit Fluchtstatus, immigrierte Frauen als auch Frauen ohne Migrationserfahrung.
Im qualitativen Studienteil, der vertiefte Interviews mit geflüchteten Müttern von Neugeborenen sowie mit Gesundheitspersonal in Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen umfasst, ist die auf Telekommunikation umgestellte Befragung des Gesundheitspersonals fast abgeschlossen. Alle Interviews und die Fokusgruppendiskussionen mit geflüchteten Müttern finden bewusst in realen Treffen statt, um kontextuelle Faktoren der Lebenssituation besser zu verstehen. Qualifizierte Sprachmittler_innen unterstützen die Kommunikation und werden an der Moderation der Fokusgruppen beteiligt.

Wie wird denn die Kooperation zwischen den beiden Studienteilen gestaltet?

Borde: Interdisziplinäre Kooperation ist eine sehr wichtige Säule für den Erfolg unseres Public Health-Projektes, das in einem mixed-methods Studiendesign angelegt ist und gemeinsame Fragestellungen verfolgt. Darüber hinaus ist PROREF ein Teilprojekt der DFG-geförderten Forschungsgruppe „Fluchtmigration nach Deutschland: ein Vergrößerungsglas für umfassendere Herausforderungen in Public Health (PH-LENS)“. Während Projektmitarbeiterin Louise Teschemacher an der Charité v. a. von Medizinstudentinnen unterstützt wird, arbeitet Martha Engelhardt, die Doktorandin im qualitativen Forschungsteam mit den ASH-Studentinnen Mathilde Gaudion und Jasmin Kamhiye zusammen. Wir freuen uns sehr über die Verstärkung durch Razan Al Munjid, deren weitere Doktorandinnenstelle nun durch die DFG für geflüchtete Wissenschaftler_innen finanziert ist.


Razan Al Munjid, Sie sind seit August Teil des Projektteams. Was ist Ihre Aufgabe?

Al Munjid: Ich beforsche im Rahmen von PROREF die psychische Gesundheit von arabischsprachigen geflüchteten Frauen in Schwangerschaft und nach der Geburt und mögliche Unterstützungsbedarfe. Dazu ist bisher wenig bekannt in Deutschland. Mein Promotionsvorhaben knüpft an meine Masterarbeit in Public Health zum Zugang zu psychiatrischer und psychologischer Versorgung in Berlin aus der Perspektive von syrischen Asylbewerber_innen und Geflüchteten an.


Was haben Sie vor dem Master gemacht?

Al Munjid: Ich bin seit 7 Jahren in Deutschland. Vor dem Masterstudiengang an der Berlin School of Public Health (BSPH) habe ich die deutsche Sprache gelernt. Danach war ich im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes in der Anlaufstelle „open.med – Gesundheit ein Menschenrecht“ tätig, die medizinische Versorgung für Menschen ohne Krankenversicherung anbietet. Dort habe ich für Arabisch sprechende Patient_innen während der medizinischen Sprechstunde übersetzt und die Informationsveranstaltungen „Der Weg ins deutsche Gesundheitssystem“ auf Arabisch durchgeführt. Meine Erfahrungen bei open.med waren ein wesentlicher Grund, warum ich den Master in Public Health studieren wollte.


In Ihrem Promotionsvorhaben legen Sie den Schwerpunkt auf die psychische Gesundheit der Frauen. Vor welchen Herausforderungen stehen sie?

Al Munjid: Die psychische Gesundheit ist genauso wichtig wie die körperliche Gesundheit. Laut WHO ist Gesundheit „ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheiten oder Gebrechen“. Mein Schwerpunkt liegt auf der psychischen Gesundheit von Frauen im Kontext Schwangerschaft und Flucht. Allein die Fluchterfahrung stellt eine große psychische Herausforderung dar. Dazu kommen die Schwangerschaft, die Geburt und das Leben mit dem neugeborenen Kind als zusätzliche Herausforderungen. Studien zeigen, dass psychisch belastende Faktoren vor, während und nach der Flucht in aufnehmenden Ländern zur Entstehung psychischer Störungen wie Posttraumatische Belastungsstörungen oder Depressionen bei Geflüchteten führen können. Zur psychischen Gesundheit geflüchteter Frauen im Kontext von Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft liegen allerdings aus Deutschland und auch international kaum Studien vor. Es soll daher untersucht werden, wie Frauen mit Fluchterfahrung ihre psychische Gesundheit in dieser Lebensphase erleben und welchen Einfluss die Lebensbedingungen auf psychosoziale Belastungen und Ressourcen haben. Schließlich möchte ich auf der Basis der Analyse Empfehlungen für bedarfsgerechte Angebote zur Förderung der psychischen Gesundheit geflüchteter Frauen rund um Schwangerschaft und Geburt entwickeln.


Was sagen Fachkräfte zur Versorgung von geflüchteten Frauen?

Borde: Wir haben noch keine Ergebnisse, die alle drei Untersuchungsregionen und die verschiedenen Berufsgruppen einbeziehen. Allerdings geben zwei im Rahmen unseres Forschungsprojektes abgeschlossene Masterarbeiten im M.Sc. Public Health der BSPH einige Aufschlüsse dazu. Anhand einer Befragung von in Berliner Kliniken tätigen Hebammen zeigte Anne Krautstengel, dass ungelöste Sprachbarrieren aber auch eine personell unterbesetzte Kreissaalsituation die Versorgung geflüchteter Frauen deutlich beeinträchtigen. Lisa Patzelts Studie bestätigt, dass auch Berliner Familienhebammen Versorgungslücken bei geflüchteten Familien identifizieren, die durch einen Mangel an qualifizierten Sprachmittler_innen bedingt sind sowie durch Diskontinuitäten, wenn geflüchtete Familien in andere Stadtbezirke wechseln. Die Fachkräfte sind zwar sehr bemüht, können aber bei der Versorgung geflüchteter Frauen ihren eigenen hohen Ansprüchen aufgrund unzureichender Strukturen nicht gerecht werden.


Welche nächsten Schritte sind im Projekt geplant?
Borde: Nach der Datenerhebungsphase folgen die quantitative und die qualitative Auswertung. Mit dem ASH-Team werden wir dann in Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen partizipativ angelegte Fokusgruppendiskussionen mit geflüchteten Müttern organisieren, die inhaltlichen Schwerpunkte der Frauen in den Mittelpunkt stellen und die Ergebnisse gemeinsam mit ihnen zur Diskussion stellen, auswerten und interpretieren.

Al Munjid: Derzeit bin ich dabei, den Interviewleitfaden für die Befragung geflüchteter Frauen mit dem Fokus auf psychische Gesundheit zu entwickeln, um dann sowohl individuelle Interviews als auch Fokusgruppendiskussion mit geflüchteten arabischsprachigen schwangeren Frauen und Müttern in den drei Bundesländern durchzuführen. Wichtig ist dabei, dass im Forschungsprojekt nicht „über“ Geflüchtete, sondern „mit“ Geflüchteten geforscht wird. Durch partizipative methodische Ansätze werden das Wissen und die Perspektiven von geflüchteten Frauen rund um Schwangerschaft und Geburt einbezogen. Dass ich als Forscherin die gleiche Sprache, Kultur und Fluchterfahrung teile, kann dazu beitragen, Vertrauen aufzubauen und Raum zu schaffen, ein tieferes Verständnis der bio-psycho-sozialen Versorgungsbedarfe geflüchteter Frauen zu gewinnen. Schließlich könnten die Ergebnisse dazu beitragen, das Gesundheitssystem so zu gestalten, dass es den Anforderungen der sozialen Vielfalt entgegenkommt. 

 

Kurzinformation

Projektname: Analyse kontextueller Faktoren und Faktoren des Gesundheitssystems auf die Versorgung geflüchteter Frauen in Schwangerschaft und Geburt
(Contextual and health service factors in pregnancy and obstetric care for refugees (PROREF)
Projektlaufzeit: PROREF 01.11.2019 bis 31.10.2022, PROREF Mental Health 01.08.2021 bis 31.05.2023
Projektleitung: Prof. Dr. Theda Borde (ASH Berlin) und Prof. Dr. Matthias David (Charité)
Projektmitarbeiterinnen: Martha Engelhardt und Razan Al Munjid (ASH Berlin), Louise Teschemacher (Charité)
Mittelgeber_in: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)
Kontakt: engelhardt@ash-berlin.eu; almunjid@ avoid-unrequested-mailsash-berlin.eu, borde@ avoid-unrequested-mailsash-berlin.de