Forschung „IS’ NIE OK!“

Prävention von sexualisierter Gewalt gegen Jungen*

Erkenntnisse und Ergebnisse aus dem Praxisforschungsprojekt JupP*

 

Ein junger Mann sitzt an einem Tisch, neben ihm ein Monitor auf dem steht: Sexualisierte Gewalt gegen Jungs*
Verschiedene Formen sexualisierter Gewalt gegen Jungen* – ein Standbild aus dem JupP*-Erklärfilm „SEXUALISIERTE GEWALT GEGEN JUNGEN* GIBT ́S! IS ́ NIE OK! IS ́ SO!“

„Heute geht’s um ein Thema, dass voll wichtig ist. Über das die Leute aber nicht so gerne reden. Deshalb ist es wichtig, dass WIR drüber reden. Also: Thema ist heute sexualisierte Gewalt. Gegen Jungs*.“ So eröffnet der Jugendliche Isso den Erklärfilm „SEXUALISIERTE GEWALT GEGEN JUNGEN* GIBT’S! IS’ NIE OK! IS’ SO!“. Dieser ist ein Ergebnis des BMBF-Forschungsprojekts „Jungen*pädagogik und Prävention von sexualisierter Gewalt – Potenziale und Herausforderungen männlichkeitsbezogener Jugendarbeit, Sexualpädagogik, Prävention sexualisierter Gewalt sowie queerer Bildung“ (JupP*). Der Film sensibilisiert für unterschiedliche Formen, wie Jungen* von sexualisierter Gewalt betroffen sein können, und zeigt Handlungsmöglichkeiten auf.

Im Mittelpunkt des Praxisforschungsprojekts JupP* stand das spezifische Wissen zu sexualisierter Gewalt an männlichen* Kindern und Jugendlichen in den verschiedenen Praxisfeldern. Über teilnehmende Beobachtung bei pädagogischen Veranstaltungen, leitfadengestützte Einzelinterviews mit Pädagog_innen und Gruppeninterviews mit pädagogischen Teams ging es darum, Anhaltspunkte für eine vertiefte Professionalisierung hinsichtlich der Prävention sexualisierter Gewalt an männlich* identifizierten Kindern und Jugendlichen zu erhalten. Die gewonnenen Erkenntnisse wurden gemeinsam mit den Praxispartner_innen diskutiert und von diesen für die Weiterentwicklung ihrer pädagogischen Konzepte genutzt. Dabei haben sich die Praxisfelder untereinander wechselseitig sensibilisiert und angeregt. Der Fokus des Teilprojekts an der ASH Berlin lag auf den Praxisfeldern Sexualpädagogik und queere Bildung. Zentrale Erkenntnisse zur Professionalisierung sind z.B.:

Implizite und explizite Prävention unterscheiden:
Prävention kann in der jeweiligen Praxis an ganz unterschiedlichen Punkten beginnen und Verschiedenes bedeuten. Pädagogik kann auch dann präventiv wirken, wenn sie keine explizite Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt in inhaltlichen Einheiten durchführt. Auch implizite Prävention ist hilfreich, die bspw. Wissen zur Einordnung von bestimmten Erfahrungen als sexualisierte Gewalt und für Offenlegungen derselben vermittelt. In der Sexualpädagogik kann dies eine differenzierte Sprache über Sexuelles, körperliche Empfindungen und Körperteile sein. Queere Bildung entfaltet ein implizites präventives Potenzial in der Thematisierung von Konsens, der Vermittlung von normkritischem Wissen und einer Sprache für geschlechtliche und sexuelle Lebensweisen.

Genderpädagogische Paradoxien reflektieren und kontextualisierte Entscheidungen treffen:
Queere Perspektiven fordern die in einigen Praxisfeldern übliche Strategie heraus, in Mädchen- und Jungengruppen aufzuteilen, da diese Zweigeschlechtlichkeit reproduziert. Muss diese Strategie daher über Bord geworfen werden? Gehen dann aber nicht Sprechräume verloren, die einen gewissen Schutz bieten? Professionell in diesem Spannungsfeld zu handeln bedeutet, sich zu vergegenwärtigen, dass nicht immer alle Ziele zur gleichen Zeit erreicht werden können – etwa Dekonstruktion von Zweigeschlechtlichkeit und Empowerment der von sexualisierter Gewalt betroffenen Mädchen* und/oder Jungen*. Es gilt abwägende Entscheidungen zu treffen, bei denen normative Beurteilungen wie "richtig" und "falsch" keine Bezugspunkte darstellen. Die Erkenntnisse aus JupP* weisen darauf hin, dass verschiedene Ziele zu unterschiedlichen Zeitpunkten anvisiert werden können. Eine Aufteilung in Mädchen*- und Jungen*gruppen bleibt zwar mit einem Zurückstellen des Anliegens Zweigeschlechtlichkeit zu dekonstruieren verbunden, doch besteht die Möglichkeit innerhalb der Gruppen inhaltlich dekonstruktiv zu wirken und binäre Geschlechterordnungen zu hinterfragen. Dass dies gelingen kann, berichtete eine Fachkraft aus der Zeit, als in der queeren Bildung noch geschlechtergetrennt gearbeitet wurde: ‚Ihr hättet uns dann ja eigentlich nicht in Mädchen- und Jungengruppen trennen dürfen‘ – so die just gewonnene und direkt angewandte Erkenntnis der Teilnehmenden.

Gewaltprävention heteronormativitäts- und männlichkeitskritisch gestalten:
Fehlt ein heteronormativitätskritischer Ansatz in der Gewaltprävention und bleiben traditionelle Männlichkeitskonstruktionen, die Männlichkeit mit Aktivität und Heterosexualität verknüpfen, aufrechterhalten, erschweren diese Normen vielen männlich* und/oder lgbtiq+ identifizierten Betroffenen die Auseinandersetzung mit ihren Gewaltwiderfahrnissen. Wie aber gestalten sich pädagogische Settings, damit sich potenziell von sexualisierter Gewalt Betroffene gesehen und berücksichtigt fühlen? In JupP* wurden in halbtägigen Seminaren der sexuellen Bildung verschiedene Ansätze gefunden: Grenzen wahrende Regeln der Interaktion, differenziertes, vielfaltsorientiertes Sprechen über Sexuelles, diskriminierungssensible und intersektionale Ansätze sowie heteronormativitätskritische und geschlechterreflektierende Zugänge. Konkret in der Praxis kann dies so aussehen: Eine pädagogische Fachkraft erklärt die Anwendung eines Kondoms in einer Jungen*gruppe und spezifiziert, worauf zu achten ist, „für diejenigen, die eine Vorhaut haben“. Damit weist sie beiläufig auf die mögliche (Nicht-)Existenz einer Vorhaut (und implizit eines Penisses) hin und adressiert auf selbstverständliche Weise eine körperliche Vielfalt unter als Jungen* identifizierten Teilnehmenden. Dies eröffnet einen Raum, sich über damit verbundene Empfindungen auszutauschen. Gleichzeitig wird die Fachkraft als ansprechbar für weitere Fragen erfahren.

 

Kurzinformation
Projektname: Jungen*pädagogik und Prävention von sexualisierter Gewalt – Potenziale und Herausforderungen männlichkeitsbezogener Jugendarbeit, Sexualpädagogik, Prävention sexualisierter Gewalt sowie queerer Bildung (JupP*)
Projektlaufzeit: 01.04.2018 bis 31.03.2021
Projektleitung: Prof. Dr. Jutta Hartmann
Projektmitarbeiter_in: Mart Busche
Kooperationspartner_innen: Dissens – Institut für Bildung und Forschung e.V.
Praxisparter_innen: Familienplanungszentrum Balance, Pro familia Landesverband Brandenburg e.V., ABqueer e.V., Schlau Köln e.V.
Mittelgeber_in: Bundesministerium für Bildung und Forschung
Webseite: www.ash-berlin.eu/forschung/forschungsprojekte-a-z/jupp/
www.jungenpaedagogik-und-praevention.de/