Mit Fairfaktur hat die Alice Salomon Hochschule Berlin bewusst Neuland betreten – und ihre etabliertes SAGE-Profil (Soziale Arbeit, Gesundheit, Erziehung und Bildung) aus einer neuen Perspektive interpretiert. Fairfaktur verbindet soziale, ökologische und kulturelle Fragestellungen in einem internationalen Kontext und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur kritischen Reflexion von Konsum, Verantwortung und globaler Solidarität – zentrale Themen, die auch in der sozialwissenschaftlichen Ausbildung künftig noch stärker berücksichtigt werden sollten. Das Projekt zeigt eindrucksvoll, dass soziale Gerechtigkeit nicht an nationalen Grenzen oder klassischen Disziplinen endet. Vielmehr erfordert sie einen globalen Blick, auch auf Produktionsketten und Arbeitsbedingungen im sogenannten Globalen Süden. Für ein solidarisches Miteinander in der Gesellschaft sind neben Strukturen im Sozialwesen, im Gesundheitswesen und in der Bildung auch ökonomische Strukturen relevant, wie die Herkunft unserer Kleidung oder unserer Lebensmittel – aber auch die Beschaffenheit unserer Energie- und digitalen Infrastruktur.
Ausblick: Mit Fairfaktur über den Tellerrand von SAGE hinaus
Es braucht eine Soziale Ökonomie – eine Wirtschaftsweise, die sich an Gemeinwohl, Nachhaltigkeit und Fairness orientiert. Mit diesen Fragen setzt sich auch das Gründer*innenzentrum der ASH Berlin (hier mehr dazu) auseinander. Es unterstützt Studierende und Absolvent_innen dabei, sozialunternehmerische Ideen zu entwickeln und umzusetzen, die gesellschaftliche Herausforderungen innovativ angehen.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit als Schlüssel zum Erfolg
Zwischen Oktober 2022 und Dezember 2024 arbeiteten Wissenschaftler_innen der Alice Salomon Hochschule Berlin (ASH Berlin) und der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW Berlin) gemeinsam mit internationalen Fair-Trade-Akteur_innen an zukunftsweisenden Ideen für eine gerechtere Modebranche. Gefördert wurde das Projekt vom Institut für angewandte Forschung Berlin (IFAF). Zu den Praxispartnern zählten die World Fair Trade Organization, Folkdays, El Puente, das Forum Fairer Handel sowie das Designstudio MM04.
Das Projektteam wurde geleitet von Prof. Dr. Uwe Bettig (ASH Berlin) und Prof. Johanna Michel (HTW Berlin), die wissenschaftliche Mitarbeit übernahmen Phillys Sawall, Lina Pfeifer und Dr. Philipp Kenel, unterstützt durch die studentischen Mitarbeitenden Lena Boderke, Carlotta Woyk und Marie Schorn.
Ein zentrales Merkmal von Fairfaktur war die enge interdisziplinäre Zusammenarbeit. Wissenschaftler_innen aus den Bereichen Management, Modedesign, Nachhaltigkeit und Sozialwissenschaften arbeiteten gemeinsam an Lösungen für die Herausforderungen der Fair-Trade-Modebranche. Diese Vielfalt an Perspektiven ermöglichte es, komplexe Fragestellungen ganzheitlich zu betrachten und innovative Ansätze zu entwickeln.
➔ Weiterlesen: Mehr dazu im Beitrag “Viele kreative Ideen und Ansätze” bei Brain City Berlin.
Praxisnahe Forschung und vielfältige Methoden
Das Projekt setzte auf einen praxisorientierten Forschungsansatz, der verschiedene Methoden kombinierte:
- Design-Prototypen: Studierende des Studiengangs Modedesign entwickelten in Zusammenarbeit mit Fair-Trade-Unternehmen Prototypen für Kleidung und Accessoires, die sowohl ästhetisch ansprechend als auch marktfähig sind.
➔ Weiterlesen: Bei Campus Stories, dem Online-Magazin der HTW Berlin, Gisela Hüttingers Beitrag „Neue Zielgruppen für Fair-Trade-Produkte"… - Seminare mit Praxisbezug: In einem Seminar „Vertiefung Sozialökonomie und Sozialmanagement“ unterstützten Studierende einen Berliner Weltladen bei der Entwicklung neuer Verkaufsstrategien und sammelten dabei wertvolle Praxiserfahrungen.
- Umfragen und Interviews: Durch qualitative Interviews mit Produzent_innen und eine Konsument_innenumfrage wurden Bedürfnisse, Herausforderungen und Potenziale im Fair-Trade-Sektor identifiziert.
Entwicklung eines praxisorientierten Toolkits
Ein zentrales Ergebnis von Fairfaktur ist ein umfassendes Toolkit, das Fair-Trade-Unternehmen dabei unterstützt, ihre Produkte und Marketingstrategien an die Bedürfnisse neuer Zielgruppen anzupassen. Das Toolkit bietet praxisnahe Handlungsempfehlungen für die Produktgestaltung, Marktzugang und Kommunikation. Es wurde in Zusammenarbeit mit den Praxispartner_innen entwickelt und ist öffentlich zugänglich, um möglichst vielen Unternehmen im Fair-Trade-Sektor zugute zu kommen.
Weitere Ergebnisse sowie das Toolkit sind (hier online) abrufbar.
➔ Weiterlesen: Für weitere Einblicke in das Projekt und die Perspektiven der Beteiligten empfehlen wir das Interview „3 Fragen an Prof. Dr. Uwe Bettig”.
Förderung kultureller Nachhaltigkeit: Internationale Publikation
„Fair Fashion? Interdisciplinary Perspectives in the Context of Social, Ecological, Economic and Cultural Sustainability“
Neben ökologischen und ökonomischen Aspekten legte Fairfaktur besonderen Wert auf die oft vernachlässigte Dimension der kulturellen Nachhaltigkeit. Das Projekt legte hohen Stellenwert darauf, wie traditionelle Handwerkskunst und kulturelle Identitäten in die Produktgestaltung und Vermarktung integriert werden können, ohne dabei in kulturelle Aneignung zu verfallen.
Die Ergebnisse von Fairfaktur fanden ebenfalls Einzug in eine interdisziplinäre wissenschaftliche Publikation, die Fair Trade im Kontext von Nachhaltigkeitsdiskursen und alternativen Wirtschaftsmodellen beleuchtet. Sie vereint Beiträge internationaler Praktiker_innen und Wissenschaftler_innen von renommierten Hochschulen wie der New School in New York, der Goldsmiths, University of London, oder der ETH Zürich und ist Open Access beim Transcript Verlag einsehbar.
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Das IFAF Berlin: Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis
Das Institut für angewandte Forschung Berlin (IFAF Berlin) ist ein Zusammenschluss der vier staatlichen Berliner Hochschulen für angewandte Wissenschaften: der Alice Salomon Hochschule Berlin (ASH Berlin), der Berliner Hochschule für Technik (BHT), der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW Berlin) und der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin). Seit seiner Gründung im Jahr 2009 fördert das IFAF Berlin praxisnahe und interdisziplinäre Forschungsprojekte, die in Kooperation mit regionalen Unternehmen, gemeinnützigen Organisationen und gesellschaftlichen Institutionen durchgeführt werden. Ziel ist es, durch die enge Verzahnung von Wissenschaft und Praxis innovative Lösungen für aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen zu entwickeln und den Wissens- und Technologietransfer in die Region zu stärken.
Ein einzigartiges Fördermodell mit Zukunftsperspektive
Das IFAF Berlin zeichnet sich durch seine strukturierte Förderarchitektur aus, die systematisch aufeinander aufbauende Programme umfasst: IFAF EXPLORATIV für erste Forschungsansätze und Netzwerkbildung, IFAF VERBUND zur Unterstützung interdisziplinärer Projekte mit Praxispartnern und IFAF TRANSFER für die Umsetzung von Forschungsergebnissen in konkrete Anwendungen. Ein besonderes Merkmal ist die verbindliche Einbindung von Praxispartnern in jedes geförderte Projekt, was den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis intensiviert und nachhaltige Ergebnisse fördert.
Trotz seiner Erfolge steht das IFAF Berlin vor Herausforderungen: Geplante Haushaltskürzungen des Landes Berlin könnten die Fortführung neuer Projektförderungen ab 2026 gefährden. Vertreter_innen aus Wissenschaft und Wirtschaft haben sich daher öffentlich für den Erhalt dieser einzigartigen Transferstruktur ausgesprochen, die als Modell für die Zusammenarbeit von Hochschulen und Praxispartnern gilt.
➔ Weiterlesen: Die vertiefenden Interviews mit Gesine Bär „Gemeinsam für nachhaltige Lösungen“ (auf der IFAF-Homepage) und „Haushaltskürzung bedeutet für uns Vollbremsung“ (bei Inforadio) geben weitere Einblicke.