Vertrauen aufbauen durch Vertraulichkeit – mit den renommierten Wissenschaftlerinnen Ruth Großmaß und Gudrun Piechotta-Henze als Ombudspersonen soll die Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der ASH Berlin gelingen. Im Interview stellen die beiden Professorinnen sich und vor allem ihre Tätigkeit, aber auch deren Grenzen, vor.
Können Sie sich kurz vorstellen – was ist Ihr beruflicher Hintergrund und was hat Ihnen im Rahmen Ihrer Arbeit als Professorinnen an der Hochschule besonders am Herzen gelegen?
Ruth Großmaß: Als ich (mit gerade 18 Jahren) ein Studium begann, wollte ich mich vor allem mit Themen beschäftigen, die mir helfen konnten, die Welt um mich herum besser zu verstehen. Ich habe Germanistik, Philosophie und Erziehungswissenschaften studiert und – da ich eine klare Berufsperspektive brauchte – ein Lehramtsstudium gewählt. Nach dem Studienabschluss haben mich dann aber andere Arbeitsfelder mehr interessiert als das Gymnasium. Ich habe mich in der Erwachsenenbildung umgeschaut, eine gruppendynamische Ausbildung gemacht und bin schließlich in der Zentralen Studienberatung der Universität Bielefeld als Beraterin tätig geworden – ein Berufsfeld, das mich sehr geprägt hat. Durch die praktische Arbeit, durch psychotherapeutische Weiterbildung und die kontinuierliche wissenschaftliche Beschäftigung mit professioneller Beratung ist so etwas wie eine berufliche Identität entstanden. Heute, im Rückblick denke ich, dass mein großes Engagement in diesem Berufsfeld auch damit zu tun hatte, dass ich selbst als Studentin die Universität als einen großen, anregenden Freiraum erlebt habe, als eine Herausforderung und Bereicherung. Beraterin sein, gab mir die Möglichkeit etwas zurückzugeben: Ich konnte in meinen Arbeitsschwerpunkten Studierende ohne akademischen Familienhintergrund, internationale Studierende und insbesondere Studentinnen dabei unterstützen, die Hochschule als akademischen, kulturellen und politischen Raum für sich produktiv zu nutzen.
Für die Weiterentwicklung meines eigenen Denkens war die Kooperation mit Kollegen aus der Philosophie, vor allem aber mit der Kollegin Christiane Schmerl im Feld der feministischen Theorie sehr wichtig. Dass ich dann mit einer sozialphilosophischen Analyse von Beratung promoviert wurde, hat die beiden Stränge meiner beruflichen Arbeit zusammengeführt und zugleich die Voraussetzung dafür geschaffen, mich für eine Professur in Ethik und Sozialphilosophie an der Alice Salomon Hochschule zu bewerben. Auch als Professorin war es mir dann wichtig, nicht nur in der Lehre, sondern auch durch individuelle Förderung und Begleitung einzelne Studierende bei der Entwicklung ihres beruflichen und persönlichen Profils zu unterstützen. Um die Hochschule zu einem guten Ort zu machen, scheinen mir zudem Antidiskriminierungsarbeit sowie der Blick auf die Bedingungen „guter wissenschaftlicher Praxis“ wichtig zu sein.
Gudrun Piechotta-Henze: Nach der Schule habe ich zunächst eine Ausbildung zur Krankenschwester absolviert und mehr als zehn Jahre in dem Beruf gearbeitet. Das Abitur habe ich während dieser Zeit an einem Abendgymnasium nachgeholt. Dann folgte ein Soziologiestudium an der Universität in Göttingen und eine Promotion an der Bremer Uni, verbunden mit einer Stelle als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Studiengang Lehramt Pflegewissenschaft. 2001 folgte der Ruf an die ASH Berlin. Hier durfte ich über zwei Jahrzehnte im Pflege- und Gesundheitsbereich als Professorin für Pflegewissenschaft tätig sein, Studiengänge entsprechend der jeweils aktuellen Herausforderungen in der gesundheitsbezogenen Versorgung mit verändern und neue Studiengänge mit entwickeln. Dank der wirklich guten Zusammenarbeit mit den Kolleg_innen und den Verwaltungsmitarbeitenden haben mir diese vielfältigen Arbeiten großen Spaß gemacht. Sehr viel Freude hat mir die Arbeit mit Studierenden bereitet, in den Seminaren ihr Interesse zu wecken, mit ihnen zu diskutieren und sie bei Prüfungsleistungen und Abschlussarbeiten zu begleiten. Zudem war es außerordentlich spannend, ihre Karrierewege zu beobachten, zu sehen, wie sie sich weiterentwickeln und in welche Arbeitsfelder sie nach dem Studium gehen.
Was macht eine Ombudsperson genau – und warum ist diese Funktion an einer Hochschule wichtig?
Gudrun Piechotta-Henze: Zur Beantwortung dieser Frage können wir die 2023 verabschiedete „Satzung zur Sicherung wissenschaftlicher Praxis der ASH Berlin“ bemühen, die unter anderem auf dem Kodex der Deutschen Forschungsgemeinschaft („Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis“) beruht. Hier ist in § 8 festgehalten, dass die Ombudsperson eine „unabhängige Vertrauensperson“ ist, „an die sich die Mitglieder der ASH Berlin bei Fragen eines Verdachts von wissenschaftlichem Fehlverhalten wenden können“. Ganz wichtig hierbei ist, „Vertraulichkeit zu wahren“.
Ruth Großmaß: Wichtig ist eine solche Funktion auch deshalb, weil es im Alltagsgeschäft nicht immer ganz klar ist, ob es sich bei Regelverstößen, die einem auffallen, wirklich um ein Fehlverhalten im Sinne der „Leitlinien“ handelt, oder ob es um eine korrigierbare Nachlässigkeit geht oder eigene Unsicherheiten eine Rolle spielen. Die Ombudstätigkeit steht für die Möglichkeit einer kommunikativen Klärung.
Welche Anliegen oder Probleme können Studierende, Lehrende oder Mitarbeitende an Sie herantragen?
Ruth Großmaß: Wissenschaftliches Arbeiten findet in (publizierten) Diskursen statt, die über die eigene Institution hinausgreifen. Der Erkenntnisgewinn eines Beitrages ist deshalb nur erkennbar, wenn eine kritische Auseinandersetzung klar adressierbar ist. D.h. jeder Beitrag muss an den Forschungsstand der scientific community anschließen, die angewendeten Methoden müssen erläutert und die verwendeten Quellen und Hilfsmittel präzise angegeben werden. Wissenschaftlicher Erkenntnisfortschritt lebt von Kritik, der Kritik an Thesen, Methoden, Argumentationen und Forschungsergebnissen. Erkenntnisfortschritt benötigt keine Kritik an Personen, die Entwertung und Demütigung von am Forschungsprozess Beteiligten schadet, nicht nur den Personen, sondern auch den Forschungsvorhaben. Wenn wir den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis folgen, schaffen wir transparente und faire Arbeitsbeziehungen – auch wenn der unterschiedliche Status der Beteiligten ein Machtgefälle einschließt. Das beinhaltet, dass die Leistung der Einzelnen sichtbar gemacht wird und nicht eine Seite die volle Autor_innenschaft für sich in Anspruch nimmt. Jede Unsicherheit, jede Irritation hinsichtlich dieser Bedingungen des akademischen Arbeitens kann zum Anliegen eines Gespräches werden.
Gibt es Themen, mit denen man nicht zu Ihnen kommen sollte?
Ruth Großmaß: Um gut forschen und arbeiten zu können, braucht es Zeit und Ressourcen, die nicht immer angemessen zur Verfügung stehen. Manchmal fehlen Arbeitsmittel, Recherche-Instrumente und Handicap-Ausgleich. Bei solchen materiellen Mängeln können wir leider genauso wenig weiterhelfen, wie bei Konflikten, die entstehen, wenn Arbeitsverträge nicht angemessen umgesetzt werden.
Viele Menschen zögern, sich mit Problemen an offizielle Stellen zu wenden. Was möchten Sie diesen Personen sagen?
Gudrun Piechotta-Henze: Trauen Sie sich! Sie haben das RECHT, sich an eine Ombudsperson zu wenden. Vertrauen Sie den Menschen, die Sie gerne unterstützen. Jedes Gespräch ist vertraulich und Sie entscheiden, wie es nach dem Gespräch für Sie weitergehen soll.
Wir gehen davon aus, dass jede Beschwerde ihre Berechtigung hat, wissen aber aus unseren bisherigen Erfahrungen, dass sich oft Lösungen diesseits formeller Verfahren finden lassen. Dabei unterstützen wir Sie. Wenn Sie ein wissenschaftliches Fehlverhalten einer anderen Person anzeigen (§ 7 der oben zitierten Satzung), können Sie sich darauf verlassen, dass wir das Vorprüfungsverfahren (§11) regelkonform und sensibel umsetzen.
Wie kann man Sie am besten erreichen – und was passiert, wenn man sich an Sie wendet?
Gudrun Piechotta-Henze: Sie können uns jederzeit per Mail erreichen. Eine von uns wird umgehend reagieren. Wir vereinbaren dann – auf Wunsch und nach Absprache – ein Telefonat, ein Treffen per Zoom oder auch persönlich. Wir entscheiden dann mit Ihnen gemeinsam, ob eine von uns involviert ist oder ob ein Gespräch mit uns beiden gewünscht wird. Selbstverständlich entscheiden die Anfragenden auch, ob sie das Klärungsgespräch allein oder beispielsweise zusammen mit Kolleg_innen führen möchten. Werden weitere Gespräche gewünscht, ist das selbstverständlich möglich.
Mittlerweile haben wir erste Klärungs- bzw. Beratungsgespräche geführt und wir haben von allen eine positive Rückmeldung bekommen, im Sinne von: Das Gespräch war hilfreich und notwendig, der Austausch hat zu mehr Klarheit geführt, problematische Situationen oder Umstände konnten gemeinsam konstruktiv beleuchtet und praktikable Möglichkeiten bzw. Lösungswege erarbeitet werden.
Welche Rolle spielt das Leitbild der ASH Berlin für Ihre Tätigkeit als Ombudsperson(en)?
Gudrun Piechotta-Henze: Das Leitbild der ASH Berlin, das 2009 nach einem, intensiven, partizipativen Prozess verabschiedet wurde und in der Formulierung von Werteprinzipien mündete, die wiederum in einem weiteren Prozess von Januar 2024 bis Januar 2025 in Handlungsweisen überführt wurden, sind eine wichtige Grundlage für die Ombudschaft.
An zwei Beispielen veranschaulicht:
Vielfalt und Gemeinsamkeit -
Kommunikation und ZusammenarbeitAlle Hochschulmitglieder_innen gehen respektvoll, offen, fair und verlässlich miteinander um. Die Zusammenarbeit ist von Kompetenz, Leistungsbereitschaft und gegenseitiger Unterstützung gekennzeichnet. (…)
Im Dialog mit der Praxis forschen -
Forschungsaktive HochschuleForschung ist integraler Bestandteil der Entwicklung der Hochschule. Die ASH Berlin fördert die Forschungsaktivitäten der Hochschullehrer_innen und wissenschaftlichen Mitarbeiter_innen und unterstützt die Einwerbung von Drittmitteln für Forschungsprojekte und internationale Forschungskooperationen. Studierende werden an Forschungsprojekten beteiligt und zu eigenständiger Forschung (bis zur Promotion) befähigt. (…)
Vor allem diese beiden Werteprinzipien sind für uns wichtig, d.h. wir gehen mit allen Hochschulmitgliedern, die sich an uns wenden, „respektvoll, offen, fair und verlässlich“ um und wir verstehen uns als unterstützend – in keinem Fall als bevormundend!
Die ASH Berlin ist eine sehr forschungsintensive Hochschule. Für uns als Ombudsperson bzw. stellvertretende Ombudsperson zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, liegt es auf der Hand, dass wir dabei unterstützen, wissenschaftlich korrekt arbeiten zu können. Wir wissen alle, dass das keine Selbstverständlichkeit ist – die Entdeckungen von Plagiaten in Doktorarbeiten, die etwa dazu geführt haben, das Politiker_innen ihren Hut nehmen mussten, haben viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen und sind in Erinnerung geblieben. Und – mit den Möglichkeiten der KI-Nutzung – sind die Unsicherheiten genauso gewachsen wie die Verführung es sich leicht zu machen.
Wie gehen Sie mit sensiblen oder konfliktbeladenen Themen um?
Ruth Großmaß: Wenn es um Fragen guter wissenschaftlicher Praxis geht bzw. um deren In-Frage-Stellung, spielt meist wissenschaftliche Konkurrenz eine Rolle und häufig kommt es zu persönlichen Verletzungen. Die Anliegen sind daher in der Regel konfliktbeladen und bedürfen des sensiblen Umgangs. Wir versuchen den damit verbundenen Anforderungen zu begegnen, indem wir einen geschützten Kommunikationsrahmen herstellen, damit sich der Sachverhalt beschreiben und die Beschwerde auch in ihren emotionalen Anteilen formulieren lässt. Die Vertraulichkeit des Gesprächs ist zugesichert.
Wie gewährleisten Sie Vertraulichkeit in Ihrer Arbeit?
Gudrun Piechotta-Henze: Wie schon angemerkt und auch in der Satzung festgehalten: Ombudspersonen sind unabhängige Vertrauenspersonen. Sollte eine von uns als befangen gelten oder eine gerade krank oder verreist sein, steht die andere zur Verfügung.
Wir nehmen unsere Aufgabe sehr ernst, sehen deren Notwendigkeit und werben um Vertrauen. Dieses Vertrauen ist selbstverständlich nur gewährleistet, wenn wir uns selbst verpflichten, Anfragen vertraulich zu behandeln. Was wir im Rahmen eines Beratungsgespräches erfahren, werden wir nur nach Absprache und mit Einwilligung der Beteiligten weitergeben. Jede Vorprüfung eines angezeigten Regelverstoßes (§ 11 der oben genannten Satzung) erfolgt im Rahmen der vorgesehenen Regularien – ohne das Gebot der Vertraulichkeit zu verletzen.
Was passiert, wenn Sie ein Anliegen nicht selbst lösen können?
Ruth Großmaß: Bei einem Verdacht auf gravierende Regelverstöße, der sich im Rahmen der Vorprüfung nicht zufriedenstellend bearbeiten lässt, wird die dafür zuständige Untersuchungskommission informiert (§ 12 der Satzung) – unter Wahrung des Vertrauensschutzes für die Beschwerde führende Person.
Bei Anliegen, die nicht im Aufgabenbereich der Ombudspersonen liegen – Unterstützungsbedarf bei Recherchemethoden oder dem Umgang mit KI z.B. – versuchen wir Kontakt zu den hierfür zuständigen Einrichtungen herzustellen bzw. zu Personen mit den entsprechenden Kompetenzen.
Wie möchten Sie die Ombudstätigkeit an der ASH weiterentwickeln oder sichtbar machen?
Gudrun Piechotta-Henze: Dieses Interview ist ein Schritt, die Ombudschaft an der ASH Berlin bekannter zu machen. Mittlerweile gibt es auch eine informativere Webseite.
Die nächsten Schritte sind in Vorbereitung: Wir wollen uns vor allem bei Promovend_innen und Studierenden bekannter machen. Da haben wir die entsprechenden Kolleg_innen bereits angesprochen. Sie planen uns nun für Informationsveranstaltungen ein. Es ist uns wichtig, über die Aufgaben von Ombudspersonen zu berichten, aber vor allem auch „Gesicht zu zeigen“ und die Gelegenheit zu geben, uns persönlich kennenzulernen. Damit dürften wir soziale und emotionale Hürden abbauen und die Chance erhöhen, uns vertrauensvoll anzusprechen.
Ruth Großmaß: Die Ombudstätigkeit ist ja nicht nur an der ASH Berlin relativ neu, sondern auch an den anderen Hochschulen und Universitäten in Berlin. Im vergangenen Jahr haben Ombudspersonen von 14 Hochschulen/Universitäten das Konzept für eine gemeinsame Ombudsstelle ausgearbeitet, die in Zukunft, die Erfahrungen der beteiligten Einrichtungen zusammenführen und auswerten wird. Ziel ist es, die Ombudsarbeit auch auf Landesebene weiterzuentwickeln und sich wechselseitig zu unterstützen. Der zugehörige Vertrag ist im April dieses Jahres zum Abschluss gekommen. Wir werden uns auch auf dieser Ebene für „gute wissenschaftliche Praxis“ einsetzen.
Die Fragen stellte Denis Demmerle.
Prof.in Dr.in (i.R.) Ruth Großmaß ist Ombudsperson der ASH Berlin
Mail:
grossmass@ ash-berlin.eu
Prof.in Dr.in (i.R.) Gudrun Piechotta-Henze ist stellvertretende Ombudsperson
Mail:
piechotta@ ash-berlin.eu
Beide erreichen Sie unter:
ombudspersongwp@ ash-berlin.eu
Informationen zu den Ombuspersonen finden sich auf dieser Website und hier die Satzung zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis („GWP Satzung“) der ASH Berlin.