Was macht das Netzwerk Gesunde Kinder aus?
Seit 2006 besteht das Netzwerk Gesunde Kinder in Brandenburg. Das gesundheitsfördernde, primärpräventive Angebot für junge Familien verfolgt einen salutogenetischen Ansatz. Ziel ist es, Eltern in ihren Kompetenzen zu stärken und Kinder in ihrer gesunden Entwicklung zu fördern.
Zu diesem Zweck sollen die Zusammenarbeit von Einrichtungen und Berufsgruppen im Gesundheitswesen initiiert, Kooperationspartner_innen vernetzt und Ehrenamtsstrukturen zur Begleitung von Familien etabliert werden. Dafür sind ehrenamtliche Familienpat_innen des Netzwerks Gesunde Kinder ausgebildet. Sie begleiten die Familien auf Wunsch während der Schwangerschaft und bis zum vollendeten dritten Lebensjahr des Kindes durch mindestens zehn Besuche der Familien. Die Pat_innen fungieren dabei als Ansprechpartner_innen und Zuhörer_innen im Alltag der Familien. In vertrauter Umgebung geben sie Erfahrungen und Wissen zu gesundheits- und entwicklungsfördernden Themen weiter und informieren über regionale Angebote. Bei Bedarf vermitteln sie auch in das professionelle System, stellen den Kontakt zu Fachkräften her und helfen Hemmschwellen zu überwinden. Dieses kostenlose, niedrigschwellige Angebot wird von Elternbildungsangeboten, Krabbelgruppen, Frühstückstreffen u. Ä. flankiert. Dabei sieht sich das Netzwerk Gesunde Kinder nicht als Konkurrenz, sondern als Vorbereitung und Ergänzung zu gemeinnützigen, öffentlichen oder gewerblichen Angeboten.
Das Brandenburger Netzwerk Gesunde Kinder bildet inzwischen ein flächendeckendes Angebot mit 20 Regionalnetzwerken, die sich auf 38 Standorte erstrecken. In den Regionalnetzwerken, die von hauptamtlichen Netzwerkkoordinator_innen geleitet werden, betreuen ca. 1.100 ehrenamtliche Pat–innen ca. 4.300 Netzwerkfamilien. Träger der Regionalnetzwerke sind z. B. Einrichtungen der Gesundheitsversorgung wie etwa Geburtskliniken, gemeinnützige Körperschaften oder Kommunen.
Qualitative Evaluationsperspektive
Bis 2015 ist das Netzwerk Gesunde Kinder regelmäßig extern evaluiert worden. Die Evaluationen waren vor allem quantitativ ausgerichtet und analysierten Prozess- und Strukturdaten. Parallel dazu werden seit 2012/2013 die Gesundheitsdaten von Netzwerkkindern und Nicht-Netzwerkkindern im Rahmen der Schuleingangsuntersuchungen sowie der in Brandenburg durchgeführten Untersuchungen aller Vierjährigen durch den Kinder- und Jugendgesundheitsdienst im Land Brandenburg ausgewertet. Dabei zeigte sich, dass Netzwerkkinder vollständiger durchimmunisiert waren und signifikant häufiger die U7a sowie Förderangebote wahrnahmen als die Nicht-Netzwerkkinder. In der Konsequenz wurden die Fördermittel des Landes Brandenburg deutlich erhöht, sodass Standorte, Personalstellen und die Angebote der Regionalnetzwerke ausgebaut werden konnten.
Nun hat das Land eine neuerliche Evaluation des Netzwerks Gesunde Kinder ausgeschrieben, um die Ergebnisse der ergriffenen Ausbaumaßnahmen zu untersuchen. Bei der Ausschreibung kam das Konzept zur wissenschaftlichen Begleitforschung von Prof. Dr. Bär und Prof. Dr. Geene zum Zuge, das einen qualitativen, nutzer_innenorientierten Ansatz verfolgt.
Im Fokus der Evaluation steht nun die Perspektive von Brandenburger Eltern innerhalb und außerhalb des Netzwerkes. Dabei wird berücksichtigt, dass familiäre Gesundheitsförderung als nutzer_innenorientiertes Konzept "von der Familie her" definiert bzw. "vom Kind aus zu denken" ist und an ihren Bedürfnissen und Bedarfen ausgerichtet sein soll. Ziel der Untersuchung ist die Darstellung und Identifikation von Präventionsbedarfen und -potenzialen aus subjektiver Sicht der Familien. Diese werden dabei nach einem „Doing Family“-Konzept nicht anhand formaler Aspekte (z. B. Eheschließung) definiert, sondern als private, generationenübergreifende Lebenszusammenhänge mit emotional verbindlichen Beziehungen, die sich über jeweils spezifische familiäre Routinen und Rituale konstituieren.
Das Land Brandenburg als Auftraggeber der Evaluation wünscht sich insbesondere Auskunft über die Bedarfe der Familien, Bekanntheit und Image des Netzwerks, Gründe für Nichtteilnahme, Informationskanäle und die Zufriedenheit der Nutzer_innen mit dem Angebot, den Strukturen und Prozessen. Generiert werden diese Informationen durch ca. 50 leitfadengestützte, qualitative Interviews mit Netzwerk-Familien und nicht-nutzenden Familien. Die Ergebnisse aus den Interviews werden anschließend im Dialog mit Expert_innen und Familien im Rahmen von Fokusgruppengesprächen in den Regionen reflektiert.
Forschendes Lernen an der Berlin School of Public Health
Das Evaluationsprojekt ist an der Berlin School of Public Health (BSPH) angesiedelt und dort in die Lehre eingebunden. Die BSPH wird von einer Kooperation der drei Partnerhochschulen Charité – Universitätsmedizin Berlin, TU Berlin und ASH Berlin getragen und bietet den konsekutiven Masterstudiengang Public Health an. Studierende im dritten Semester dieses Studiengangs haben im Vertiefungsmodul des Fachs „Gesundheitsförderung und Prävention“ die Gelegenheit, nach dem Konzept des Forschenden Lernens an dem Projekt teilzunehmen. Forschendes Lernen ist ein hochschuldidaktisches Format, bei dem die Studierenden im Rahmen von Seminaren selbst forschen bzw. in Forschungsprojekten mitarbeiten. In dem Vertiefungsmodul des Public Health-Studiengangs wird das Konzept des Forschenden Lernens umgesetzt, indem die Projektbesprechungen faktisch in den Seminarraum verlegt werden und die Studierenden nicht nur einen Großteil der Interviews mit den (potenziellen) Nutzer_innen des Netzwerks Gesunde Kinder führen, sondern auch die Leitfadenentwicklung im Rahmen von Pretest-Auswertungen selber mit gestalten. Als Prüfungsleistung sind die Studierenden gehalten, ein selbst geführtes Interview im Rahmen der qualitativen Inhaltsanalyse zu kodieren und unter Berücksichtigung zentraler Projektkategorien auszuwerten. Insgesamt bietet das Seminar eine Form des Lernens, die gut aufgenommen wird. So unterstrich eine Studierende:
„Das Projekt bietet uns Studierenden die einmalige Möglichkeit, die im Studium gelernte Theorie ohne Umwege direkt in die Praxis zu transferieren.“
Auch das Führen von Interviews ist für die Studierenden eine fruchtbare Erfahrung. Eine Interviewerin drückte sich folgendermaßen aus:
„Die Offenheit der interviewten Mütter hat mich sehr überrascht. Ich hätte nicht damit gerechnet, in einem 30-minütigen Interview solch tiefe Einblicke in die individuellen Lebenswelten der Befragten zu erhalten.“
Ausblick
Die Auswertung der gut 50 Interviews wurde dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg Ende April vorgelegt. Geplant ist auch eine gemeinsame Pressekonferenz, um die Ergebnisse der Öffentlichkeit vorzustellen. Die Öffentlichkeit ist im Brandenburger Wahljahr besonders aufmerksam, was Ergebnisse in den Landesprogrammen betrifft. Zwar werden die „Netzwerke Gesunde Kinder“ von allen Parteien befürwortet, die Akzentsetzungen sind aber verschieden. Hier sollte die wissenschaftliche Begleitung einen guten Beitrag im Sinne der Praxisforschung und der familienunterstützenden Weiterentwicklung der Netzwerke leisten können.
Auf der Projekthomepage ist der Projektbericht einsehbar.