Forschung Demokratie in einer Mehrheitsgesellschaft ohne Mehrheiten

Das Forschungsprojekt „Demokratieferne Einstellungen in einer Kommune. Das Beispiel Marzahn-Hellersdorf“

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Forschung in der Kommune Marzahn Hellersdorf. (c) photocrew_fotolia.com

Wie einst in den 1990er Jahren wird erneut die Diskussion geführt, warum Rechtsextremismus und die Zustimmung zu rechtsextremen Positionen in der ostdeutschen Bevölkerung so hoch sind. Insbesondere in Marzahn-Hellersdorf sind diese Phänomene virulent, sei es als rassistische Gewalt und rechtsextreme Straßenmobilisierung (besonders 2013-2016), sei es in Form von Wahlergebnissen. Nach der jüngsten Bundestagswahl ist diese Frage noch weiter in den Fokus gerückt.

Da sich die Forschungslage durchaus verbessert hat, fallen die Erklärungsansätze in Wissenschaft und Medien – im Vergleich zu den 1990er Jahren – heute (teilweise) weniger spekulativ und pauschal aus. Langzeitstudien wie die Leipziger Mitte-Studie oder die Bielefelder Studien zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) haben in den letzten Jahren mehr Licht in die Entwicklung des Rechtsextremismus und die Verankerung rechtsextremer Ideologie in der west- und ostdeutschen Bevölkerung zutage gefördert.

Die jüngste Debatte um die Göttinger Studie über Rechtsextremismus in Ostdeutschland (Anm.: In Auftrag gegeben und wegen methodischer Mängel zurückgezogen von der Beauftragen der Bundesregierung für die neuen Bundesländer.),  hat gezeigt, dass trotz großer Mengen an Daten und Interpretationsansätzen nach wie vor wichtige Fragen unbefriedigend beantwortet sind.


Will man Phänomene der Menschenfeindlichkeit wirksam bekämpfen, bedarf es einer Analyse ihrer Entstehensbedingungen und Ursachen. Unser seit März 2017 laufendes Forschungsprojekt „Demokratieferne Einstellungen in einer Kommune. Das Beispiel Marzahn-Hellersdorf“ wirft – anders als es der Titel vermuten lässt – einen durchaus anderen Blick auf antidemokratische Phänomene. Nicht nur Rechtspopulismus und -extremismus stehen im Fokus, sondern das Verhältnis der Menschen zur Demokratie. Dabei werfen wir auch Blick auf lebensgeschichtliche Aspekte, soziale Lagen, sogar auf das Wohlbefinden der Menschen im Bezirk, weil wir davon ausgehen, dass diese (und weitere) Faktoren eine wichtige Rolle spielen.

Unsere Untersuchung kennt also nicht den_die Marzahn-Hellersdorfer_in und nicht die eine ‚weiße Mehrheitsgesellschaft’, die Geflüchteten skeptisch bis feindlich gegenübersteht. Marzahn-Hellersdorf ist – ebenso wie ganz Ostdeutschland und die BRD – eine Mehrheitsgesellschaft, die aus kulturellen, politischen, generationalen, sozialen etc. Minderheiten besteht, welche wiederum zur Demokratie ihr jeweils ganz eigenes Verhältnis oder Missverhältnis besitzen.

In einem ersten Zwischenbericht im Juni  haben wir unseren Ansatz skizziert. Zurzeit führen wir Pretests für eine Befragung der Bewohner_innen des Bezirks durch und verschicken in den nächsten Wochen unsere Fragebögen. Die Zufallsstichprobe besteht aus 2000 Personen und wir hoffen auf einen hohen Rücklauf.

Auch wenn sich unsere Untersuchung empirisch auf Marzahn-Hellersdorf beschränkt, sind die Ergebnisse über den Bezirk hinaus interessant. Demokratieentwicklung findet auf lokaler, kommunaler Ebene bzw. im Sozialraum statt. Deshalb ist unsere Nahaufnahme des Zustandes der Demokratie auch für andere Kommunen relevant. Unser Projekt tritt damit in eine wissenschaftliche und öffentliche Debatte über Rechtsextremismus und Demokratie in (Ost-)Deutschland ein und wird dabei neue, differenzierende, vielleicht auch überraschende Ergebnisse der komplexen Lage der Demokratie in Marzahn-Hellersdorf zur Diskussion stellen.

Nachtrag 2019: Die Ergebnisse der Studie sind mittlerweile in Buchform erschienen.