Stellungnahme Corona fordert gesellschaftspolitische Verantwortung

Wissenschaftler_innen positionieren sich aus sozial-, gesundheits- und bildungswissenschaftlichen Perspektiven. Ein Interview über die Hintergründe und wie es nun weiter geht.

Plakate der Kampagne #InZeitenVonCorona / #WasWäreWenn auf einem Stromkasten
I.L.A.-Kollektiv

Am 18. Mai 2020 veröffentlichten 14 Wissenschaftler_innen der ASH Berlin eine Stellungnahme zur Corona-Pandemie und ihren Folgen als „SAGE-Wissenschaftler_innen in gesellschaftspolitischer Verantwortung". SAGE steht dabei für die Studiengänge an der Hochschule: Soziale Arbeit, Gesundheits- und Therapieberufe sowie Erziehung und Bildung im Kindesalter. Prof. Dr. Anja Voss, Prof. Dr. Gesine Bär und Azize Kasberg sprechen im Interview über den Entstehungsprozess und die weitere Arbeit.

Wie kam es zu dieser Stellungnahme?

Anja Voss: Durch den Corona-Shutdown Ende März sind zahleiche Formate des wissenschaftlichen Wissenstransfers weggebrochen und so kam die Idee, hochschulintern mit Expert_innen aus sozial-, gesundheits- und bildungswissenschaftlichen Perspektiven auf die Pandemie zu schauen, in einen kritischen Dialog zu treten und gemeinsame Positionen zu formulieren. Anfangs stand die Selbstverständigung zwischen den SAGE-Studiengängen im Mittelpunkt, doch schon bald kristallisierte sich eine gemeinsame gesellschaftspolitische Stellungnahme als Ziel heraus, die auch unsere fachspezifischen Netzwerke, Gewerkschaften, Verbände und politische Akteur_innen adressieren sollte.

Wie verlief der Prozess?

Azize Kasberg: Es war ein spannender und anstrengender Prozess im Wettlauf gegen die Zeit. Anja sprach zunächst ein paar Kolleg_innen aus dem Public Health-Bereich an und erstellte einen ersten Entwurf mit mehreren Themen.

Anja Voss: Und schnell wurde deutlich, dass wir über den gemeinsamen Gesundheitsbezug hinausgehen müssen. Nach der Ankündigung der Stellungnahme in der Runde der Hochschullehrer_innen wurde der Kreis nochmal deutlich breiter. Einige Kolleg_innen haben wir dann noch direkt angesprochen.

Azize Kasberg: Per Mail wurden die ersten Textbausteine verschickt und Gesine und Anja erstellten aus den vielen Rückmeldungen einen zweiten Entwurf. In drei Zoom-Meetings trafen sich Autor_innen, um das weitere Vorgehen und kritische Fragen zu diskutieren. Hierbei wurden Abschnitte zusammengelegt, getrennt oder ganz neue Abschnitte entworfen. Für den Endspurt erhielten drei Autor_innen das Mandat für die Fertigstellung. Zwei weitere Autor_innen übernahmen das Lektorat. Was in einer kleinen Runde begann, wurde so nach und nach immer größer. Unsere Postfächer platzten vor eintreffenden Mails.
Gleichzeitig war uns bewusst, dass jede weitere Person Abstimmungsprozesse anwachsen lässt und wir uns nicht so viel Zeit lassen können. Bereits in der einmonatigen Erarbeitung mussten Passagen mehrfach an aktuelle Entwicklungen angepasst werden. 

Wie waren die Reaktionen bisher?

Gesine Bär: Zunächst einmal freuen wir uns sehr, dass 10 Tage nach der Veröffentlichung bereits über 90 Personen und Institutionen mitgezeichnet haben. Auch in den sozialen Medien wurde die Stellungnahme vielfach geteilt. Unser facebook-Eintrag beispielsweise wurde bereits wenige Tage nach der Veröffentlichung von über 1.300 Personen angeklickt. Der Tagesspiegel hatte am 18.5. in einem Artikel exklusiv berichtet und kurz darauf haben die taz in einem Artikel und der Freitag in einem Interview mit guten Fokussierungen ebenfalls über das Positionspapier berichtet.

Wie geht es nach Veröffentlichung der Stellungnahme weiter?

Gesine Bär: Jetzt geht es natürlich darum, der Selbstverpflichtung auf sozialpolitischer wie auf fachlicher Ebene nachzukommen. Für uns setzt sich nun das fort, was wir als „Verständigung nach innen" mit dem Schreiben des Textes bereits begonnen haben. Das bezieht sich auf weitere Kolleg_innen an der ASH Berlin, aber auch im gemeinsamen SAGE-Bündnis mit den anderen Hochschulen. Wir möchten zudem auch eine Verständigung „nach außen" stärker betreiben. Eine nächste Zwischenbilanz der Autor_innen haben wir für Mitte Juni geplant.

Anja Voss: Für die Verständigug „nach außen“ ist die Stellungnahme zunächst von den Autor_innen breit gestreut worden und hat sowohl die Fachgesellschaften unserer verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen, nationale und internationale Kooperationspartner_innen aus Forschung und Praxis, Gewerkschaften und Poltikvertreter_innen als auch Aktionsbündnisse und Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege erreicht. Inzwischen zirkuliert das Papier in den adressierten Organisationen und Zusammenschlüssen. Wir bekommen viel positive Resonanz und sind gespannt auf weitere Reaktionen. Vorstellbar sind auch mögliche Kooperationen und andere Formate, um die formulierten Ideen und Ziele gemeinsam und langfristig umzusetzen.

Gesine Bär: Und übrigens: Wir wissen, dass einige Institutionen länger brauchen für ihre Abstimmungsprozesse. Daher lassen wir die Mitzeichnung noch bis Ende Juli laufen. Dann werden wir anhand der Rückmeldungen gucken, wie es weiter geht.

Was nehmen Sie für sich mit aus dem Prozess? 

Azize Kasberg: Mich hat der wertschätzende Umgang beeindruckt, obwohl wir zum Teil leidenschaftlich diskutierten und sich viele zwischen Online-Lehre, Gremienarbeit, Kinderbetreuung und persönlichem Engagement zerreißen mussten. 14 unterschiedliche Menschen haben in diesem Prozess gezeigt, dass es auch unter erschwerten Bedingungen möglich ist, effektiv zusammen zu arbeiten, wenn gemeinsam ein Ziel verfolgt wird.

Anja Voss: Mich haben im Schreibprozess unsere zahlreichen Schnittmengen ebenso beeindruckt, wie die Vehemenz, für bestimmte Positionen einzutreten. Die positive Resonanz auf das Papier ist für mich auch eine Bestätigung gelungener Interdisziplinarität.

Gesine Bär: Für mich ist es schön zu sehen, wie unsere Netzwerke funktionieren und die unterschiedlichsten Menschen und Institutionen unsere Stellungnahme mitzeichnen oder unterstützen.

Mitzeichnen
Das Positionspapier kann per E-Mail an corona@ avoid-unrequested-mailsash-berlin.eu unter Angabe von Name, Vorname, Position, Institution und Ort noch bis Ende Juli unterstützt werden; für SAGE-Wissenschaftler_innen besteht darüber hinaus die Möglichkeit, die Stellungnahme per E-Mail an corona@ avoid-unrequested-mailsash-berlin.eu unter Angabe von Name, Vorname, Position, Institution und Ort mitzuzeichnen.