Forschung Bühne frei für gutes Älterwerden in Berlin und Brandenburg

Stadt-Land-Begegnungen ermöglichen, demokratische Kräfte stärken: Die Halbzeitbilanz eines IFAF-Projekts

Theaterspielende Gruppe von Menschen
Theaterworkshops mit Studierenden der ASH Berlin, der deutsch-türkischen Theatergruppe aus Berlin und Bewohner_innen aus Heinersdorf.

*Der Artikel erschien erstmals in Ausgabe 46 des Hochschulmagazins
Die Abschlusskonfererenz des Projektes findet am 02.09.2024 statt – Interessierte sind herzlich eingeladen!  → Zur Veranstaltung

 

Die Idee

Das Projekt Bühne frei hat zum Ziel, mit einem interdisziplinären Ansatz städtische und ländliche Angebote zu verbinden und demokratische Kräfte zu stärken. Es werden beispielsweise partizipativ mit künstlerischen Mitteln Möglichkeitsräume geschaffen, in denen Bewohner_innen aus Berlin und Brandenburg in einen Austausch miteinander kommen, der ansonsten wohl nie stattfinden würde. 

Eine massive Problemstellung ist der Anstieg des rechtsextremistischen Personenpotenzials in Brandenburg mit Zielrichtung in die Mitte der Gesellschaft. Zugewanderte und rassifizierte Menschen haben Grund zur Sorge um ihre Sicherheit und Zukunft. Dem gilt es, mit sozial-kulturellen Impulsen entgegenzuwirken. 

Die Idee ist, antidemokratische Tendenzen zu schwächen, indem z. B. kollaborierend mit Partner_innen öffentliche Plätze im ländlichen Raum mit künstlerischen Interventionen besetzt werden und Anlässe zur Kommunikation im dörflichen Leben entstehen. Ebenfalls öffnet dieser Austausch städtischen Bewohner_innen neue (Erfahrungs-)Räume. Begleitet durch eine breit angelegte Untersuchung soll diese Methode beispielhaft wirken und die notwendige Entwicklung zu einer offenen demokratischen Zivilgesellschaft unterstützen. 

Die Basis 

Zwei bedeutende Projekte legten maßgeblich den Grundstein für das Projekt „Bühne frei“: „Dorf explorativ“, gefördert vom IFAF und unter der Leitung von Prof. Dr. Gesine Bär, sowie „Theater der Erfahrungen auf Landpartie“, ein dreijähriges Forschungsprojekt finanziert durch das Landwirtschaftsministerium. Diese Projekte verdeutlichten, dass stabile Treffpunkte und Angebote einen positiven Einfluss auf den sozialen Zusammenhalt haben und transformative Wirkungen auf eine Community entfalten können. In der umfassenden Dokumentation des letzteren Projekts, „BÜHNE FREI in Brandenburg – Ein Altentheater auf Landpartie“, wird deutlich, auf welche engagierten Akteur_innen – die sogenannten „Brückenbauer_innen“ – zurückgegriffen werden konnte.

Tatort Berlin-Brandenburg

Das Forschungsfeld umfasst die Gemeinden Gerswalde und Steinhöfel, Gebiete in Brandenburg mit ähnlicher Problemstellung. Hier leben seit ca. 2015 geflüchtete Familien sowie sogenannte „Neubrandenburger_innen“ aus Berlin und temporär zahlreiche Berliner_innen in Wochenendhäusern. In Berlin reichen die kooperierenden Partner_innen von der Kirchengemeinde in Gropiusstadt bis zum Babel e. V. in Hellersdorf, vom Verband für sozial-kulturelle Arbeit bis zur Berliner Stadtmission. Ähnlich divers aufgestellt sind die Partner_innen im Umland: das Kulturamt Oder-Spree zählt ebenso dazu wie der freie Verein MIKUB e. V. oder die Wasserburg Gerswalde. Allen gemeinsam ist die Intention, tolerante Communities zu stärken. 

Was bisher geschah

Durch den Einsatz künstlerischer Methoden und museumspädagogischer Ansätze konnten verschiedene Aktionen mit Akteur_innen aus Berlin und Brandenburg initiiert und wissenschaftlich begleitet werden. 

Eine kontinuierliche Zusammenarbeit erfolgte mit einer Gruppe von Stadtteilmüttern aus Neukölln, die auch aufgrund von Bedenken vor möglichen fremdenfeindlichen Übergriffen bisher das Umland gemieden hatten. Diese Gruppe unternahm Fahrten zu verschiedenen Kooperationspartner_innen im brandenburgischen Gerswalde, tauschte sich mit Frauen aus dem ländlichen Raum aus, gestaltete gemeinsam eine Ausstellung in Berlin und begab sich erneut nach Brandenburg, um sich mit Bewohnerinnen und Akteur_innen eines Heimatmuseums über die Geschichten der Region auszutauschen 

In Heinersdorf recherchierte eine deutsch-türkische Altentheatergruppe mit Bewohner_innen aus dem ländlichen Raum und Studierenden der Alice Salomon Hochschule Berlin zum Thema „Held_innen“. Diese künstlerische Erforschung mündete in eine szenische Darbietung im öffentlichen Raum auf dem Dorfanger der Gemeinde Steinhöfel und wurde von einem Fest gerahmt. Museal errichteten die Akteur_innen lebende Denkmäler von verschiedenen Akteur_innen aus der Community oder förderten eine Gästeliste aus den Kellern eines längst vergangenen Lokals zutage, um daraus Geschichten in Szene zu setzen. 

Ein deutsch-türkisches Gastspiel in der örtlichen Grundschule ermöglichte eine weitere Runde des Austauschs. Die Interventionen werden derzeit evaluiert, und es wird eine filmische Begleitforschung durchgeführt. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen in neue, partizipativ entwickelte Projekte ein. 

Zwischenbilanz 

Die hier aufgeführten Projekte verdeutlichen, wie empfänglich die Beteiligten für Begegnung sind. Ob in Heinersdorf ein alter Dorfhistoriker mit dem Besuch aus Berlin über Held_innen debattiert oder in Gerswalde eine interessierte Bewohnerin sich mit Menschen aus dem Libanon über das Frauenbild austauscht, die Möglichkeiten und Anlässe zu einem Kontakt werden wahrgenommen. Die Akteur_innen sind nicht selten verblüfft über die sich rasant entwickelte Nähe mit den dann doch gar nicht so „Anderen“. Einen kleinen Einblick in unsere Zwischenergebnisse gibt die filmische Begleitforschung. „Stadtauswärts – übers Land“ und „man muss sich die Zeit nehmen ...“. 

Das Team  

Das interdisziplinäre Projekt „Bühne frei“ wurde im Oktober 2022 ins Leben gerufen und vereint vielfältige Fachkompetenzen: Prof. Dr. Oliver Rump (HTW Berlin) bringt einen museologischen Ansatz ein, während Annegret Huth, wissenschaftliche Mitarbeiterin und lokale Akteurin, in Heinersdorf eine Praxisforschung initiiert hat. Prof. Johanna Kaiser (ASH Berlin) stammt aus der Sozialen Kulturarbeit mit Schwerpunkt Theater und forscht vorwiegend mit filmischen Mitteln. Die Soziologin Katja Zimmermann (ASH Berlin) ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt tätig und engagiert sich in Gerswalde in verschiedenen künstlerischen Community-Projekten. Die Tutorinnen Arianna Gusti (HTW Berlin) und Derya Ince (ASH Berlin) unterstützen das Projekt tatkräftig. Im Bereich Öffentlichkeitsarbeit engagiert sich Dr. Nadin Tettschlag (WiMi, ASH Berlin).

 

Videos zum Projekt sind online abrufbar:

BÜHNE FREI in Brandenburg – Ein Altentheater auf Landpartie: https://vimeo.com/800471805

„Stadtauswärts- übers Land“: https://www.youtube.com/watch?v=tdiftFLXR98

„man muss sich die Zeit nehmen...“: https://www.youtube.com/watch?v=gnWqRlOWU_0