„Die Galerie Transfer (...) erweist sich damit einmal mehr als ein Ort der Zusammenarbeit, der Erfahrungsaustauschs, der Vernetzung unterschiedlichster Institutionen und Aktivitäten.“
(Claus Mischon zur Ausstellung “Krapplack“ 1990)
So kommentiert der Mitarbeiter der sogenannten Galerie Transfer der damaligen Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (FHSS) die Eröffnung der 12. Ausstellung. Sechs Studierende der Hochschule der Künste (HdK) präsentierten über fünf Wochen Malerei, Zeichnungen, Fotographie und Plastiken. Dazu gab es ein Programm kulturpädagogischer Vermittlung: Vorlesungen zur Kulturarbeit mit Erwachsenen oder mit Kindern- und Jugendlichen und eine gemeinsame Abschlussdiskussion von Lehrenden und Studierenden der HdK und FHSS zur Fragen von Kulturvermittlung und Bildungsarbeit. Das war charakteristisch für das Konzept der „offenen Galeriearbeit“ am Hochschulstandort in Schöneberg. Vorausgegangen waren Ausstellungen zu Erich Fromm und Rosa Luxemburg (beide 1987), aber auch aus der Sozialen Arbeit wie „Menschen und Landschaften. Bilder aus der Türkei“ oder „Kranke Seelen hinter Gittern.“ (beide 1988), Historisches wie „Soziale Arbeit im Nazismus“ (1988) oder „Schriftstücke“ aus den Akten der Sozialen Frauenschule im Nationalsozialismus. Insgesamt 17 Ausstellungen lassen sich mit Hilfe des Gästebuchs und alter Ausgaben des Mittelungsblatts der Hochschule, dem FHSS-Info wiederentdecken.
Doch das war nicht alles, was in dem ehemaligen Ladengeschäft im Erdgeschoß der Schwäbischen Straße 17a stattfand. Im Mai 1987 hat der Akademische Senat der damaligen FHSS die Gründung eines Wissenschaft-Praxis-Ladens beschlossen. In den Lageplänen alter Vorlesungsverzeichnisse wird der Laden vom Sommersemester 1987 bis zum Wintersemester 1996/97 ausgewiesen, ab dem Wintersemester 1988/89 auch als „Galerie Transfer“. Ab dem Wintersemester 1994/95 wird statt der Galerie Transfer das „Hochschuldidaktische Zentrum“ (HDZ) verzeichnet. Mit dem Sommersemester 1997 verschwindet auch der Eintrag „Wissenschaft-Praxis-Laden“ aus der Standortkarte des Vorlesungsverzeichnisses.
Inhaltlicher Kern war neben der Galeriearbeit der Gedanke einer professionellen Sozialen Arbeit, die Erwachsenenbildung aufklärerisch und stadtteilnah betreibt. Vorausgegangen war eine intensive Einlassung einiger Lehrender mit dem lokalen Gemeinwesen. In den späten 1970er und frühen 1980er Jahren war der Kinderclub „die roten Panther“ gegründet worden, Jugendarbeit im Jugendclub „Paula“ und in der aufzubauenden Jugendetage im Klingbeilhaus (Pallasstraße) sowie Stadtteilarbeit im „Treffpunkt langer Erdmann“, dem „Crelle-Laden“ und dem „Treffpunkt Pallasladen“ zusammen mit dem Verein zur Förderung stadtteilnaher Volkshochschularbeit betrieben worden. Das Projektstudium, das seit 1982 an der FHSS eingeführt worden war, eröffnete weitere Möglichkeiten, für eine Theorie-Praxis-Verbindung im lokalen Gemeinwesen. Hochschulseitig engagierten sich für diese Form des Lernens mit der Stadtgesellschaft Lutz von Werder, der 1977 mit einer Professur für Sozialisationsforschung an die Hochschule berufen worden war und Gerd Koch, der ab Anfang der 1980er Jahre die Soziale Kulturarbeit mit dem Schwerpunkt Theater an der FHSS als Hochschullehrer vertrat. Beide verstanden sich als Teil der sich akademisierenden Sozialen Arbeit, die Methoden wie Theater oder des kreativen Schreibens für eine emanzipatorische Erwachsenen(bildungs)arbeit einsetzen sollte. In diesem Selbstverständnis brachte Lutz von Werder den Antrag für den Wissenschaft-Praxis-Laden im Mai 1987 in den Akademischen Senat ein und bekam nach kontroverser Diskussion auch auf Vermittlung der damaligen Rektorin, Marlies Dürkop, eine Mehrheit dafür. Auf Seiten der Hochschullehrenden blieb das Engagement ehrenamtlich. Aber ab 1988 konnten über geförderte Stellen der Bundesagentur für Arbeit und des Sozialamts auch wissenschaftliche Mitarbeitende gewonnen werden. Neben dem dargestellten Galeriebetrieb gehörten zum weiteren Programm des Ladens Veranstaltungsreihen, beispielsweise zu „Kulturarbeit im Film“ oder „Psychotheratpie im Film“, der Aufbau eines Archivs mit diesen Filmen, Angebote des Kreativen Schreibens „in der Sozialarbeit, Erwachsenenbildung, Schule und Therapie“, eine Veröffentlichungsreihe studentischer Projektberichte und Abschlussarbeiten sowie Projektseminare zu Stadtteilthemen.
Soziale Innovationen der Hochschule
Warum diese historische Recherche, wo doch inzwischen alles anders zu sein scheint? Die Institution heißt inzwischen Alice Salomon Hochschule Berlin und sitzt seit fast 25 Jahren im Bezirk Marzahn-Hellersdorf. Jedoch: Wissenschaft-Praxis-Transfer ist weiterhin ein aktuelles Thema und die sozialen Innovationen, die von einer Hochschule für angewandte Wissenschaften erwartet werden, weiterhin stark nachgefragt. Die dritte Mission der Hochschule – neben Lehre und Forschung – zeigt sich in ihrem gesellschaftlichen Engagement. So zielen Überlegungen an der Hochschule im Handlungsfeld „Transfer und Third Mission“ auch immer wieder auf die Einrichtung eines Raumes für den Dialog mit der Stadt(teil)gesellschaft. Dies war der Anlass, die Geschichte des Wissenschaft-Praxis-Laden zu recherchieren. Gelegenheit bot dafür die Finanzierung aus dem „Sage SAGE!-Projekt“ und der darin verankerten Schwerpunktprofessur „Transfer und Third Mission“.
Im Laufe des Jahres 2022 wurden Akten und Schriftstücke aus der Zeit durchgesehen, Literatur gesichtet und historische Dokumente recherchiert. Es konnten einige damalige Akteure des Ladens ausfindig gemacht werden: neben Gerd Koch und Lutz von Werder waren dies Claus Mischon und Barbara Schulte-Steinicke, die beide als wissenschaftliche Mitarbeitende das Programm des Ladens gestalteten. Zudem konnte Heinz Cornell eine interessante Perspektive beisteuern, da er als frisch berufener Professor 1988 im Laden sein erstes Büro zugewiesen bekam. Mit allen wurden sowohl Einzelgespräche als auch am 8. Juli eine Gruppendiskussion durchgeführt. Die gesammelten Materialien werden nun sukzessive aufgearbeitet.
Als kleines Blitzlicht sei aber schon auf die unterschiedlichen Empfehlungen verwiesen, die zum Abschluss der Gruppendiskussion für zukünftiges Engagement der Hochschule im Gemeinwesen formuliert wurden: Die Laden-Idee mit Angeboten der Sozialen Kulturarbeit und guten Öffnungszeiten wurde auch für den sich entwickelnden Hochschulcampus in Hellersdorf als überlegenswert gehalten, vor allem in Vernetzung der vielen lokalen Kulturinitiativen im Bezirk. Eine andere Idee war, sich über die Alumni-Arbeit mit den vielen Stadtteilinitiativen berlinweit zu vernetzen und mit Angeboten des Zentrums für Weiterbildung Sozialarbeitende kontinuierlich für aufklärerische Stadtteilarbeit zu qualifizieren. Die begleitende Evaluation des hochschulischen Third-Mission-Engagements wurde mit Blick auf die offenen Fragen der damaligen Laden-Tätigkeit für unverzichtbar gehalten. Und schließlich gab es von mehreren Seiten die Empfehlung für eine intensive publizistische Arbeit über klassische Print- und Rundfunkformate sowie Soziale Medien. Zusammenfassend formulierte Lutz von Werder am Ende des Gesprächs: „Für eine stadtteilnahe FHSS in Hellersdorf und im RBB“. So steht es als neuer Eintrag im alten Gästebuch der Galerie unter dem Veranstaltungstitel „Wissenschaft-Praxis-Laden und Galerie Transfer revisited“. Werden wir eine Wiederauflage in der Hellen Mitte erleben?
Infobox
Das Projekt „Wissenschaft-Praxis-Laden und Galerie Transfer revisited“ zielt darauf, die Geschichte des Wissenschaft-Praxis-Ladens und der Galerie Transfer an der FHSS / ASFH zu erheben, sie zu archivieren und öffentlich zugänglich zu machen. Die Erhebung umfasst die Konzeption, die Handlungsfelder und Aktivitäten sowie die Erfahrungen mit der Umsetzung des Wissenschaft-Praxis-Ladens und der Galerie Transfer im Zeitraum 1987 – 1997 sowie einer konzeptionellen Vorphase von der Einführung des Projektstudiums 1982 an. Es wird den Fragen nachgegangen, mit welchen Intentionen der Laden gegründet und betrieben wurde, was sich bewährt hat, welche intendierten und nicht-intendierten Wirkungen sich aus der Arbeit ergeben haben und welche Gründe zur Aufgabe des Ladens bzw. zur Umwandlung in das Hochschuldidaktische Zentrum geführt haben. Die Ergebnisse sollen aufgearbeitet und in der ASH Berlin bzw. im Alice Salomon Archiv Interessierten bereitgestellt werden. Eine Nutzung durch die heutigen Transfer-Akteur_innen der ASH Berlin sowie eine spätere Sekundärauswertung zu Forschungszwecken oder im Rahmen von Qualifizierungsarbeiten wird angestrebt.
Quellenangaben bei der Autorin
Kontakt: Prof. Dr. Gesine Bär, E-Mail: baer@ ash-berlin.eu