Learning & Teaching Zukunftssichere Ergotherapie

Der erste europäische Ergotherapie Kongress in Krakau zeigt Perspektiven der Disziplin auf, doch Deutschland droht den Anschluss zu verlieren...

Vertreterinnen der TUNING Task Force des ENOTHE Boards bei einer Präsentation auf dem Kongress
Prof. Dr. Elke Kraus (2.v.l.) als Teil der ENOTHE Tuning Task Force und Präsentierende in einem der Workshops

Ergotherapie (Occupational Therapy) ist ein relativ junger und noch wenig bekannter Beruf. Sie „unterstützt und begleitet Menschen jeden Alters, die in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt oder von Einschränkung bedroht sind“ mit dem Ziel, dass sie in für sie bedeutungsvollen Lebensbereichen durch Betätigung (occupation) eingebunden sind und ihre Teilhabe optimieren. „Hierbei dienen spezifische Aktivitäten, Umweltanpassung und Beratung dazu, dem Menschen Handlungsfähigkeit im Alltag, gesellschaftliche Teilhabe und eine Verbesserung seiner Lebensqualität zu ermöglichen.“ (DVE 08/2007)
Es ist ein Beruf, der an der Schnittstelle des menschlichen Handelns verortet ist. Ein Beruf, der immer die Person fokussiert und dem was diese tut, tun kann oder konnte, und was sie tun möchte oder muss – im Kosmos von einzigartigen und vielschichtigen physischen, soziokulturellen und zeitlichen Kontexten.

Weltweit werden Ergotherapeut_innen grundständig hochschulisch ausgebildet – hier bildet Deutschland eine Ausnahme, in dem als einzigen Land in Europa Ausbildung zur Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie an Berufsfachschulen stattfindet, noch unter Berufsgesetzen von 1976 für die Ergotherapie.
Man kann seit der Jahrtausendwende in Deutschland im Anschluss der berufsfachschulischen Ausbildung Ergotherapie studieren (sog. Additiv) oder ausbildungsintegrierend bzw. -begleitend. Das Zukunftsmodell für eine regelhafte hochschulische Ausbildung, so wie es international schon seit Jahrzehnten Standard ist, ist eine Primärqualifizierung. Dies war dank einer Modellklausel von 2009 bis 2024 möglich - und die ASH Berlin ist eine der wenigen staatlichen Hochschulen, die so einen Studiengang anbietet, obendrein auch noch interdisziplinär. Die Akademisierung der Ergo- und Physiotherapie schreitet jedoch sehr langsam voran, denn bisher sind noch nicht einmal 5% der Ergotherapeut_innen hochschulisch qualifiziert.
Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, dass man in der Ergotherapie (und Physiotherapie) eine internationale Perspektive entwickelt und pflegt, damit das vielschichtige Wissen und professionseigene Forschungsergebnisse aus anderen Ländern in das Studium einfließen können.

Im Oktober wurde der erste Kongress für Ergotherapie europaweit ausgerichtet, erstmals von OT Europe (OT = Occupational Therapy) als Dachgesellschaft von COTEC (Council of Occupational Therapy for the European Countries), ENOTHE (European Network of Occupational Therapy in Higher Education) und ROTOS (Research in Occupational Therapy and Occupational Science Foundation).
ASH-Prof. Dr. Elke Kraus war vom 15. bis 18. Oktober 2024 in Krakau, Polen, dabei. Sie ist Teil der ENOTHE Tuning Taskforce, die sich mit den europaweiten Standards der hochschulischen ergotherapeutischen Ausbildung auf Bachelor, Master und PhD Ebene befasst, und dort zu dem Thema zwei Workshops veranstaltete.

Die Tagung bot den Teilnehmenden eine besondere Gelegenheit, einen Einblick in die europäische Ergotherapie zu gewinnen und sich mit Ergotherapeut_innen aus ganz Europa zu vernetzen. Wichtig und mehr als eine Randnotiz: Die Ergotherapie lässt sich in allen europäischen Ländern regelhaft hochschulisch qualifizieren – hier bildet Deutschland ein trauriges Schlusslicht.
Die Themen gestalteten sich rund um Berufspraxis und Berufspolitik sowie Bildung und Wissenschaft unter dem Kongressmotto: Future-Proofing Occupational Therapy – Zukunftssichere Ergotherapie.
Insbesondere wurden folgende Themenfelder bespielt: Neue Trends und Tätigkeitsfelder; mentale Gesundheit; physische Gesundheit; Ausbildung/Qualifizierung; interdisziplinäre Interventionen und Ansätze; betätigungsfokussierte Forschung und Forschungsmethoden; Public Health; Studierende und Forschung sowie Qualitätsentwicklung.
Prof. Dr. Kraus wird auch weiterhin in der ENOTHE Task Force mitwirken und sich insbesondere mit der Entwicklung von Promotionsprogrammen in Europa für die Ergotherapie befassen.

Falscher deutscher Sonderweg

Es bleibt zu hoffen, dass sich die Therapieberufe in Deutschland weiter akademisieren. Am 1. Januar 2025 endet die experimentelle Modellklausel, in der Hochschulen Therapeut_innen (Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie) qualifizieren durften, mit mehreren Evaluationen. Diese zeigten, dass es nicht nur möglich ist, dass Hochschulen Therapeut_innen ausbilden, sondern in Anbetracht der wachsenden Komplexitäten unbedingt notwendig.

Allerdings bildet sich statt einer zu begrüßenden Vollakademisierung in der alle Therapeut_innen grundständig hochschulisch ausgebildet werden, eine Teilakademisierung ab. Es werden in Zukunft also Berufsfachschulen und Hochschulen unterschiedlich Therapeut_innen ausbilden, die im selben Berufsfeld arbeiten sollen. Die zukünftigen novellierten Berufsgesetze sollen dies regeln. Der Blick über den internationalen Tellerrand zeigt, wie die Ergotherapie tatsächlich sich gestalten kann – es wäre gut und notwendig, dass sich Deutschland an den vielen Best-Practice-Beispielen dort für die Zukunft seiner Therapieberufe orientiert!