Changeover „Ich bin stolz darauf, Sozialarbeiterin und Klinische Sozialarbeiterin zu sein“

Interview mit Alumna Lisa Große, die einst KlinSa an der ASH Berlin studierte und heute u.a. an der Hochschule als Gastdozentin lehrt…

Alumna Lisa Große hat 2010 erfolgreich ein Bachelor-Studium der Sozialen Arbeit an der ehs Dresden realisiert und danach als Sozialarbeiterin beim Diakonischen Werk Stadtmission Dresden e.V. und beim Gesundheitsamt-Landeshauptstadt Dresden gearbeitet, ehe sie sich entschloss 2013 den berufsbegleitenden Master Klinische Sozialarbeit an der HS Coburg und der ASH Berlin zu studieren.
Im Interview blickt Sie auf unterschiedliche Etappen Ihres Karriereweges zurück, betont die Wichtigkeit von Netzwerken und Weiterbildungen … und hat einen wertvollen Rat für Studierende parat. 

Frau Große, was hat Sie damals zum Masterstudium bewegt?
Lisa Große: Schon relativ früh, nämlich bereits im Erkundungspraktikum, später auch im Praxissemester im Bachelor, habe ich mich für die Zusammenarbeit mit Menschen mit psychischen Erkrankungen, insbesondere mit schweren psychischen Erkrankungen interessiert. Die mit der Erkrankung oft einhergehenden massiven Herausforderungen, aber auch das herausfordernde und ver-rückte Verhalten berührten und berühren mich. 

Als ich 2011 im Sozialpsychiatrischen Dienst als Sozialarbeiterin anfing, fühlte ich mich nicht ausreichend ausgebildet für dieses Arbeitsfeld. Das lag vor allem an zwei Punkten: Das generalisierte Studium und ein hierarchisch geprägtes Handlungsfeld. 
Die generalistische Ausbildung im Rahmen des Bachelors Soziale Arbeit ist in Anbetracht der vielfältigen Handlungsfelder, Adressat_innengruppen und Organisationen in und mit denen Sozialarbeitende arbeiten, sinnvoll. Zugleich benötigt es aus meiner Sicht vor allem bei sehr komplexen und zugleich spezifischen Problemlagen auch spezifisches Wissen. 

An wen denken Sie dabei? 
Die Menschen mit denen ich zusammengearbeitet habe, zeigten vorrangig eine psychische Erkrankung und zugleich vielfältige Probleme: Sie waren in sozialrechtliche Konflikte involviert und hatten Schwierigkeiten mit menschlichen Beziehungen. Einsamkeit war oft die Folge. Ich fühlte mich für die Arbeit mit diesen Menschen nicht ausreichend akademisch vorbereitet und auch mit Erklärungen fremder Professionen war ich mitunter nicht zufrieden. 

Viele sozialpsychiatrische Angebote sind sinnvoller Weise multiprofessionell besetzt. Nur so kann der komplexen Problemlage der Adressat_innen, aber auch den Anforderungen der Versorgungslandschaft (z.B. Verordnungen sind nur durch Ärzt_innen möglich etc.), gerecht werden. Zugleich besteht immer noch an vielen Stellen eine Hierarchie zwischen den einzelnen Professionen. Soziale Arbeit steht hier selten an der Spitze. Die Soziale Arbeit sollte dieser Hierarchie mithilfe ihres Wissens und ihrer Handlungskompetenz mehr Selbstbewusstsein entgegensetzen. Damit „hilft“ sie sich selbst und den Klient_innen, indem sie die Profession stärkt und sich als Sprachrohr anwaltschaftlich für die Bedürfnisse der Klient_innen einsetzt. 

Der Master hat es mir ermöglicht, mir die fundierte theoretische und (wenn auch noch ausbaufähige) empirische Basis Sozialer Arbeit bewusst zu machen. Das hat mein Selbst-Bewusstsein (i.S. eines Bewusstseins als Sozialarbeiterin) und so auch meine professionelle Identität maßgeblich gestärkt.  

Ein berufsbegleitendes Studium stellt Studierende sicher vor besondere Herausforderungen. Wie ist es Ihnen damit ergangen, welche Strategien haben Sie genutzt, um dieses erfolgreich zu absolvieren?
Zunächst zu den Chancen, die ein berufsbegleitendes Studium mit sich bringt: Ich konnte zu jeder Zeit die Inhalte des Studiums auf die für mich relevante Praxis beziehen und zugleich in der Praxis die Theorien und Methoden „ausprobieren“. 

Diese enge Verzahnung von Theorie und Praxis bringt aber auch Herausforderungen mit sich: Präsenztermine im Studium (circa einmal im Monat für drei Tage sowie eine Blockwoche pro Semester) und Prüfungsvorbereitungen benötigen zeitliche und persönliche Kapazitäten. Sich diese „zu gönnen“ war mitunter bei entstehenden Krisen im Arbeitskontext sehr herausfordernd. 

Wichtig war, dass ich mir bereits vorher überlegt habe, wie ich gern studieren möchte. Ich wollte gern ausreichend Zeit zur Verfügung haben, mich mit den Inhalten des Studiums auch außerhalb des Präsenzzeiten vertieft auseinanderzusetzen. Das gelingt mir nur, wenn ich dafür den ganzen Tag nutzen kann. Deshalb habe ich von Beginn an meine Arbeitszeit auf eine Vier-Tage-Woche verkürzt. Zudem hatte ich das Privileg, finanzielle und emotionale Unterstützung durch meine Familie zu erhalten. 

Inwieweit haben die Hochschulen Sie dabei unterstützt, Ihre Ziele zu erreichen. Was hat Ihnen dabei geholfen und welche Strukturen könnten innovativer gestaltet sein, um die Balance zwischen Beruf und Studium gelingend zu gestalten? 
Das ist eine gute Frage. Ich glaube rückblickend habe ich mir die Frage während des Studiums nicht gestellt, weil ich die Möglichkeiten hatte, auf Unterstützung im nahen sozialen Bereich zurückzugreifen. Zugleich wurde ich durch den regelmäßigen Austausch mit meinen Kommiliton_innen sehr bestärkt. Seitens der Hochschule muss ich jedoch die sehr unterstützende Rolle der Studiengangskoordination und in erster Linie der Studiengangsleitung Prof.in Dr.in Silke Gahleitner hervorheben. Wir Studierende wurden sehr ernst genommen und stark motiviert, uns fachlich und auch persönlich weiterzuentwickeln. 

Kurze Zeit nach dem Master wurde mir der Weg in die Wissenschaft und auch die Lehre geebnet

Was machen Sie im Moment? Welche beruflichen Schritte sind Sie gegangen nach dem Studium der Klinischen Sozialarbeit?
Aktuell promoviere ich – und wenn es gut läuft, beende ich die Promotion zu Ende des Jahres. Auch das ist ein Schritt, den ich ohne den Master und das dort geweckte Interesse an Forschung und Wissenschaft der Sozialen Arbeit allgemein nie gegangen wäre. Ich komme aus einem Nicht-Akademiker_innen-Haushalt, die damit einhergehenden Unsicherheiten wurden durch die Lehrenden und den stetigen Zuspruch durch diese verändert, sodass ich mich auf das Wagnis eingelassen habe, worüber ich sehr glücklich bin.

Ich habe nach dem Master noch einige Zeit im Sozialpsychiatrischen Dienst gearbeitet und konnte später über drei Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der ASH Berlin im Drittmittelprojekt „TraM“ arbeiten. D.h., eine kurze Zeit nach dem Master wurde der Weg in die Wissenschaft und auch die Lehre geebnet. Neben der „beherzten Beheimatung“ in der sozialpsychiatrischen Versorgung habe ich mehr oder minder durch Zufall eine neue Leidenschaft – Lehre mit Studierenden der Sozialen Arbeit – entdeckt. Seit 2018 lehre ich an unterschiedlichen Hochschulen, aktuell neben meiner Promotion auch als Gastdozentin an der ASH Berlin. 

Klinische Sozialarbeit, was ist das eigentlich? Warum ergibt es Sinn sich vertiefend mit Klinischer Sozialarbeit zu beschäftigen? Für welche Berufsfelder qualifiziert diese fachliche Spezialisierung besonders? 
Klinische Sozialarbeit hat einen Behandlungsanspruch im Sinne der Sozialtherapie (nicht zu verwechseln mit der Soziotherapie des SGB V). Letztlich nimmt Klinische Sozialarbeit als Fachsozialarbeit psychosoziale Interventionen in den Blick: Professionelle Beziehungsgestaltung, Soziale Diagnostik, soziale Gruppenarbeit, aber auch Beratung in Anlehnung der „klassischen“ Beratungsrichtungen. 

Weiterhören: Der Podcast der DGSA dreht sich in Episode 15 um Klinische Sozialarbeit.

Wichtig ist mir noch, dass Klinische Sozialarbeit NICHT Soziale Arbeit in Kliniken ist – sie kann in allen Handlungsfeldern und eigentlich auch mit nahezu allen Klient_innen umgesetzt werden, in denen gesundheitsbezogene Aufgaben (und Gesundheit wird hier in jedem Fall ganzheitlich gedacht!) in den Fokus rücken: Kinder und Jugendliche, ältere Menschen, Erwachsene mit Sucht-, psychischen Erkrankungen, multiplen Problemlagen etc. Wichtig ist dabei, dass es um die Menschen geht, die nicht so einfach zu erreichen sind – immer aus gutem Grund. Zugleich benötigt es spezifische Herangehensweisen, mit ihnen in Kontakt zu kommen und diesen auch zu halten. 

Würden Sie die Soziale Arbeit und auch die Klinische Sozialarbeit noch einmal als Studienfach wählen und warum? Sind Sie zufrieden mit Ihrer bisherigen beruflichen Entwicklung?
Unbedingt!! Ich bin stolz darauf, Sozialarbeiterin und Klinische Sozialarbeiterin zu sein. Ich freue mich über die aktuelle Entwicklung, auch Wissenschaft mit Praxis zu verknüpfen und wünsche mir sehr, dass ich diese Verknüpfung auch in der Zukunft aufrechterhalten kann. Ich habe als Studierende die Möglichkeit mich in vielen Schwerpunkten zu vertiefen und kann das Bewusstsein entwickeln, dass es eine enge Wechselwirkung von Person und Umwelt gibt. D.h., dass es herzlich wenig bringt, Probleme zu individualisieren und die Schuld denjenigen zuzuschieben, die der Situation die geringsten Ressourcen entgegensetzen können. Zugleich geht es aber auch darum, herauszufinden, wie die Ressourcen der Personen ausgebaut werden können, das Leben (wieder) selbstbestimmt und ohne (viel) professionelle Unterstützung leben zu können. Diese Komplexität lässt Soziale Arbeit auch sicher bis in die Altersrente und darüber hinaus relevant und interessant bleiben.

Was haben Sie aus Ihren Erfahrungen gelernt und was möchten Sie unbedingt weitergeben an nachkommende Studierendengenerationen? 
Dass es (leider) nicht ausreicht, wenn ich einen Bachelorabschluss habe, sondern dass ich neugierig und auch wissbegierig bleiben sollte. Das stärkt mich nicht nur persönlich und fachlich, sondern vor allem für die mitunter strukturell begründete, herausfordernde Praxis. Weiterbildungen ermöglichen es, frisch im Kopf zu bleiben und sich immer wieder zu reflektieren. Mir ist in den letzten Jahren bewusstgeworden, dass komplexe Herausforderungen ausschließlich im Netzwerk bewältigt werden können. Sei es durch Gewerkschaften, Berufsverbände, Interessenverbände, lose Zusammenhänge, enge Arbeitskolleg_innen usw. 

Daher: Nehmt jedes Netzwerk mit, von dem ihr im Rahmen des Studiums hört und bleibt im Kontakt. Durch den Master Klinische Sozialarbeit und insbesondere durch die Lehrenden wurde ich in viele, sehr unterstützende Netzwerke „eingeführt“. All diese Begegnungen haben zu meinem Weg geführt, den ich für mich sehr mag.

Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Kerstin Miersch

Hier mehr über den Master Klinische Sozialarbeit an der ASH Berlin erfahren.