An den letzten beiden Ausstellungstagen hatte ich Ende Oktober 2025 die Gelegenheit, den Ausstellungspavillon der neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) ›Klassenzimmer der Zukunft‹ vom ASH-Projekt ›Zwischenräume. Belebung von Campus und Stadtteil‹ am Alice-Salomon-Platz zu besuchen. Schon bevor ich den Ort betrat, war mir bewusst, dass es sich nicht um ein gewöhnliches Kunstprojekt handeln würde. Ich war neugierig, wie Kunst in einem städtischen Außenbezirk wie Hellersdorf funktionieren kann und wie sie dort eine Brücke zwischen künstlerischer Praxis und gesellschaftlichem Alltag schlägt. Mein Interesse galt insbesondere der Frage, wie Kunst Räume für Begegnung, Dialog und gemeinsames Lernen schaffen kann – gerade an Orten, die sonst oft im Schatten der Stadtzentren stehen.
Beschreibung des Projekts
Der Ausstellungspavillon ›Klassenzimmer der Zukunft‹ ist weit mehr als ein Ausstellungsraum. Es handelt sich um eine soziale und kulturelle Intervention, die darauf abzielt, die Peripherie als wertvollen und aktiven Teil der Stadt sichtbar zu machen. Der Kunstverein nGbK leiht ›Zwischenräume‹ einen Pavillon in 2025/2026 aus, der ursprünglich in den 1970er-Jahren als Filiale der Dresdner Bank in Frankfurt stand und später als nGbK-Standort nach Hellersdorf versetzt wurde. Diese architektonische und symbolische Verschiebung steht sinnbildlich für eine Umverteilung von Aufmerksamkeit und Bedeutung.
Die Glasfassade des Pavillons, die den Raum nach außen hin transparent macht, ist nicht nur ein gestalterisches Element, sondern auch ein Symbol für Offenheit und Einbeziehung. In diesem offenen Raum werden Ausstellungen, Diskussionsabende, Schulunterricht, Seminare, Workshops und kulturelle Veranstaltungen organisiert – kuratiert von den wissenschaftlichen Mitarbeiter_innen und dem Künstlerteam Eva Hertzsch und Adam Page. So entsteht ein Ort, an dem Bildung, Kunst und soziale Interaktion zusammenfließen. Page und Hertzsch verstehen ihr Projekt als Community Art, also als Kunstform, die in enger Zusammenarbeit mit der lokalen Gemeinschaft entsteht. Dabei geht es weniger um das Endprodukt als um den Prozess: um Begegnungen, Gespräche und gemeinsames Gestalten.
„Langfristiges Engagement statt ›Festivalisierung‹ der Stadt: Sie bleiben, hören zu und bauen Vertrauen auf“
Reflexion und persönliche Eindrücke
Mich hat besonders beeindruckt, wie ernst die Künstler die Idee von Gemeinschaft und Teilhabe nehmen. In vielen Projekten, die ich bisher erlebt habe, bleibt der Anspruch auf Partizipation oft oberflächlich. Hier jedoch spürt man, dass echte Beziehungen und gegenseitige Wertschätzung im Mittelpunkt stehen. Die Künstler sind nicht nur kurz vor Ort, um etwas „auszustellen“, sondern sie bleiben, hören zu und bauen Vertrauen auf. Dieses langfristige Engagement unterscheidet das »Klassenzimmer der Zukunft« deutlich von der oft kritisierten „Festivalisierung“ der Stadt, bei der Kulturereignisse zwar Aufmerksamkeit erzeugen, aber kaum nachhaltige Wirkung hinterlassen.
Ich habe mich gefragt, welche Rolle Kunst in einer Gesellschaft spielt, die zunehmend von sozialer Spaltung und ökonomischer Ungleichheit geprägt ist. Das Projekt zeigt, dass Kunst nicht nur ästhetischer Ausdruck, sondern auch soziales Handeln sein kann. Durch die intensive Beziehungsarbeit, die Hertzsch und Page leisten, wird Kunst zu einem Werkzeug für Anerkennung, Sichtbarkeit und Selbstermächtigung. Besonders die Idee, durch Zeichnungen und Gespräche eine Verbindung zwischen Künstlern und Bewohnern herzustellen, hat mich beeindruckt. Sie erinnert daran, dass jede Form der künstlerischen Auseinandersetzung letztlich auch Kommunikation ist.
„Jede Form der künstlerischen Auseinandersetzung ist letztlich auch Kommunikation.“
Ich empfand es als inspirierend zu sehen, wie dieser Raum zu einem lebendigen Treffpunkt geworden ist. Menschen aus unterschiedlichen Generationen und kulturellen Hintergründen begegnen sich hier auf Augenhöhe. Dabei wird der Pavillon zu einem Symbol dafür, wie wichtig es ist, gerade in den Randbezirken Orte zu schaffen, die nicht nur Konsum, sondern Begegnung ermöglichen.
Gleichzeitig habe ich über die Herausforderungen nachgedacht, die mit solchen Projekten verbunden sind. Nachhaltigkeit ist ein zentrales Thema: Wie kann man sicherstellen, dass die entstandenen Strukturen bestehen bleiben, wenn die anfängliche Förderung endet? Diese Frage betrifft nicht nur die Künstler, sondern auch Politik und Gesellschaft. Ich glaube, dass das ›Klassenzimmer der Zukunft‹ genau diese Diskussion anstößt – über Verantwortung, Kontinuität und kulturelle Gerechtigkeit
„Die Zukunft der Stadt entsteht nicht in glänzenden Zentren, sondern in den lebendigen Begegnungen ihrer Ränder.“
Fazit
Der Besuch im ›Klassenzimmer der Zukunft‹ war für mich eine bereichernde Erfahrung. Er hat mir gezeigt, dass Kunst nicht nur im Zentrum der Stadt, sondern auch in der Peripherie eine starke Stimme haben kann. Ich habe verstanden, dass wahre kulturelle Teilhabe Zeit, Präsenz und Engagement erfordert. Das Projekt von Adam Page und Eva Hertzsch ist ein Beispiel dafür, wie Kunst zu einem Instrument des sozialen Wandels werden kann – nicht durch große Gesten, sondern durch beharrliche Arbeit und aufrichtige Zuwendung zum Ort und zu den Menschen.
Ich nehme aus diesem Besuch mit, dass Zukunft im kulturellen Sinne dort beginnt, wo Menschen bereit sind, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Das ›Klassenzimmer der Zukunft‹ ist für mich ein Sinnbild dafür, dass Lernen, Kunst und Gemeinschaft keine getrennten Bereiche sind, sondern sich gegenseitig bedingen. Es erinnert mich daran, dass die Zukunft der Stadt nicht in glänzenden Zentren entsteht, sondern in den lebendigen Begegnungen ihrer Ränder.
Nadia Abid
Über die Autorin:
Nadia Abid ist Studentin im Bachelor Soziale Arbeit an der ASH Berlin. Angeregt durch ihre Teilnahme an einem Werkstattseminar zum Thema „Das ist mein Platz!? - Gestaltung und Aneignung öffentlicher Räume“ bei Elène Misbach hat sie zum Ende der diesjährigen Ausstellungssaison die Ausstellung ›Laborschule Berlin: Bildung für Zukunft für Hellersdorf. Teil 2‹ im ›Klassenzimmer der Zukunft‹ besucht.
Ihre Eindrücke und Reflexionen über diesen Ansatz der künstlerischen Praxis, verstanden als Community Art in enger Ko-Kreation mit der lokalen Gemeinschaft, hat sie für die Veröffentlichung im Magazin alice online zur Verfügung gestellt
Förderhinweis / Hinweis zum Projekt:
Der Pavillon ›Klassenzimmer der Zukunft‹ ist Teil des Standortes ›station urbaner kulturen‹ / nGbK Hellersdorf‹. Bis 2026 stellt die nGbK der Alice Salomon Hochschule Berlin im Rahmen des vom Programm ›Innovative Hochschule‹ geförderten Projekts ›Campus Transferale‹ den Pavillon zur Verfügung. Die Aufstellung des Pavillons wird vom Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf unterstützt.
Das Projekt ›Zwischenräume. Belebung von Campus und Stadtteil‹ ist ein Pilotprojekt vom ›Transfer_Hub‹ im Rahmen von ›Campus Transferale‹ und wird wissenschaftlich geleitet von Prof. Dr. Andrea Plöger, Professorin an der ASH Berlin für Soziale Kulturarbeit mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik.