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Studierende befragten Gewerkschafter_innen zu Arbeitsbedingungen in der Sozialen Arbeit

Ein Demonstrationsplakat mit der Aufrschrift: On strike!
Martin Lopez on Unsplash

Nicht erst seit gestern kennen wir die beklagenswerten Arbeitsbedingungen in der Sozialen Arbeit. Bereits im Studium hört man schon von einem kaum zu schaffenden Arbeitspensum, überlasteten Ämtern und nicht zuletzt von unterfinanzierten Stellen von Sozialarbeiter_innen. Studierende aus dem Seminar »Arbeitsbeziehungen – Kompetenzen für die Arbeitswelt« unter der Leitung von Herrn Prof. Dr. Heinz Stapf-Finé befassten sich mit dem Thema: Inwiefern können Gewerkschaften und Personalvertretungen die Interessen von Sozialarbeiter_innen vertreten und vor welchen Herausforderungen steht die Soziale Arbeit seit der Corona-Pandemie?

Interviews mit aktiven Vertretern der Gewerkschaften

Um diesen Sachverhalt untersuchen zu können, wurden Interviews mit aktiven Vertretern der Gewerkschaften aus der Sozialen Arbeit geführt. Gegenstand der Interviews waren unter anderem die aktuellen Arbeitsbedingungen in der Pandemie und wie Gewerkschaftsvertreter_innen Sozialarbeitende in Hinblick auf die Arbeitsbedingungen unterstützen können. Zunächst sprachen wir mit Ina Göllmann und Dirk Heinke. Ina Göllmann ist im Humanistischen Verband Deutschland/ Berlin-Brandenburg tätig. In ihrem Kinder- und Jugendbeteiligungsbüro in Marzahn/Hellersdorf ist sie mit ihren Kolleg_innen beauftragt, Kinder und Jugendliche am gesellschaftspolitischen Leben zu beteiligen und sie bei der Mitbestimmung in ihrem Bezirk zu unterstützten. Außerdem ist sie Mitglied bei Ver.di und hat 2020 unter anderem die ersten Online-Streiks mitorganisiert. Dirk Heinke arbeitet seit 13 Jahren bei der AWO (Arbeiterwohlfahrt) in Schöneberg, im Bereich »Migrationsberatung für Erwachsene Zuwanderer«. Dies ist ein Beratungsangebot für geflüchtete oder migrierte Menschen während ihrer ersten Jahre in Deutschland. Sie bekommen Unterstützung bei Planungen, in rechtlichen Fragen oder durch Case-Management.

Ökonomisierung in der Sozialen Arbeit nimmt weiter zu

Heinke und Göllmann beklagen, dass die Ökonomisierung in der Sozialen Arbeit nach wie vor weiter zunimmt. Erfolgsquoten und Effizienz müssen für die Arbeit ihrerseits nachgewiesen werden. Ein großer Teil ihrer Arbeit umfasse mittlerweile viele Verwaltungstätigkeiten, das Schreiben von Berichten und das Beantragen von Projektgelder, so Göllmann. Besonders beschäftigt sie, dass das Kinder- und Jugendbeteiligungsbüro größtenteils Drittmittel finanziert ist und sie nie sicher sein kann, ob das Projekt im nächsten Jahr nochmal vom Bezirk unterstützt wird. Ausschlaggebend dafür sind der nachweisliche Erfolg ihrer Arbeit bzw. ob es noch einen Bedarf im Bezirk für das nächste Jahr gibt. So bestätigt Heinke, der ebenfalls Mitglied bei Ver.di ist, dass der Kapitalismus auch in der Sozialen Arbeit Einzug gehalten hat und auch versucht wurde in diesem Bereich zu intervenieren. Bisher konnte aber nicht viel dagegen getan werden. Ina Göllmann gibt aber zu bedenken: »Der Prozess der Ökonomisierung geht schon sehr lange und war von Politik und Gewerkschaften bewusst eingeschlagen worden. Es sollte mehr Vielfalt in den Angeboten entstehen und auch Konkurrenzen geschaffen werden, um die Qualität zu verbessern und um natürlich auch ganz klar, Geld zu sparen. Das bedeutet auch marktwirtschaftlicher zu denken, weshalb nun viel Zeit für das Schreiben von Berichten eingeplant werden muss, die nachweisen, wie erfolgreich die Arbeit vor Ort ist, um Drittmittelfinanzierungen zu rechtfertigen«.

Rahmenbedingungen im öffentlichen Dienst

Wir sprachen außerdem mit Angelika Regulski, die im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg tätig und Personalrätin sowie Fachgruppenvorstand bei Ver.di ist. Sie berichtete, auch im öffentlichen Dienst seien die Rahmenbedingungen verbesserungswürdig. Aufgrund von Krankheit und Kündigungen herrsche seit längerem ein chronischer Personalmangel. Dies führe dazu, dass die Ämter überlastet sind und in einigen Fällen gegebenenfalls nicht schnell genug reagiert werden kann. Das belastet die Situation, die sich durch die Pandemie nochmals verschärft hat, da nicht genügend Arbeitsmittel wie Laptops zur Verfügung stehen. Momentan arbeiten sie abwechselnd in zwei Teams: Eines im Homeoffice, eines vor Ort. Diese anhaltende hohe Belastung der Mitarbeiter_innen führte dazu, dass sie über fünf Jahre immer wieder beharrlich auf ihre Situation hingewiesen haben und für eine Verbesserung der Bezahlung gekämpft haben. Im letzten Jahr konnten sie erstmals wirklich etwas erreichen.

Regulski: »Wir haben erreicht in eine andere Gehaltsstufe zu steigen, und zwar gab es einen anderen Tarifvertrag, sowie keine Abstufung zu anderen Berufen. Wir haben gefordert, dass die Soziale Arbeit besonders in den Jugendämtern anders bezahlt werden müsse, und zwar nach ihren Aufgaben und Tätigkeiten. Letztendlich haben wir uns dann an den Tarifverträgen von Bund und Länder angelehnt. Und zwar differenzierter an der Arbeitsstelle orientiert und die Sozialarbeiter_innen werden angemessener bezahlt«.

 

„Die Mitarbeitenden in der Sozialen Arbeit sind wenig organisiert. Um etwas zu erreichen, muss man in einer Gewerkschaft sein und muss sich auch engagieren.“

 

Uns hat interessiert, warum nicht mehr Sozialarbeiter_innen bzw. Menschen aus den systemrelevanten Berufen auf die Straßen gehen und für bessere Bezahlung sowie Arbeitsbedingungen demonstrieren. Das Problem sei, so Regulski, dass die Mitarbeitenden in der Sozialen Arbeit wenig organisiert seien. Um etwas zu erreichen, muss man in einer Gewerkschaft sein und muss sich auch engagieren. Eine Gewerkschaft ist nur so gut wie ihre Mitglieder_innen. Probleme müssen angesprochen werden und letztendlich auch dafür gekämpft werden, dass sich etwas ändert. Ansonsten hat man keine Chance bei den Arbeitgebern irgendwas zu bewirken. So sagte uns Dirk Heinke, dass Ver.di auch bei systemrelevanten Berufen aktiv sei, die immer noch schlecht bezahlt sind. Ver.di versuche Einfluss auf die Politik, Gesetze, etc. zu nehmen, um Arbeitsbedingungen zu verbessern. Das größte Problem sei der Organisationsgrad vor allem in der Sozialen Arbeit.

Ähnlich wie im öffentlichen Dienst sieht es auch bei den freien Trägern aus, sagte Heinke: »In den nicht öffentlichen freien Trägern würde ich aus dem Bauch heraus sagen, liegt der Organisationsgrad unter 20 %. Wir sind innerhalb Berlins als Arbeiterwohlfahrt anscheinend ein Leuchtturm. Aber wenn wir auf ein Drittel kämen, berlinweit, würde es mich fast schon wundern«. Um also wirklich etwas zu bewirken, müsse es eine gewisse Anzahl an Mitglieder_innen aus der jeweiligen Branche geben. Nach Heinke bekommen wir nur dann den sozialen Bereich perspektivisch mit guter Arbeit, mit guten Bedingungen und mit guter Bezahlung abgedeckt, wenn wir viele sind und uns organisieren, denn es sei so wichtig, dass in dem Bereich etwas passiere.

Betriebs- und Personalrat bieten Unterstützung

Was kann man also tun, um sich für bessere Arbeitsbedingungen oder höhere Entlohnung einzusetzen? Unterstützung in solchen Fragen bietet bisweilen ein Personalrat oder ein Betriebsrat, der betriebsintern agiert. Während der Personalrat die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes vertritt, widmet sich der Betriebsrat der Belegschaft von privaten Betrieben. Ein Betriebsrat kann bereits mit fünf Arbeitnehmer_innen desselben Unternehmens gegründet werden und kann in der Regel nicht vom Arbeitgeber verhindert werden. Der Betriebs- bzw. Personalrat hat weitestgehend Mitbestimmungsrecht in betriebsinternen Fragen, wodurch er in der Lage ist auf den betrieblichen Alltag einzuwirken. Die größte Aufgabe besteht allerdings darin, die Arbeitnehmer_innen vor der Willkür des Arbeitgebers z. B. bei Kündigungen zu schützen. Darüber hinaus können Mitarbeiter_innen eines Unternehmens oder eines Trägers sich einer Gewerkschaft anschließen, die den Mitarbeiter_innen in arbeitsrechtlichen Belangen berät und rechtlich unterstützt. Aber was bedeutet es Mitglied in einer Gewerkschaft zu sein? Gewerkschaften setzen sich für die Interessen der Mitarbeiter_innen ein. Sie machen den Arbeitgeber auf Missstände in gesellschaftlicher und politischer Ebene aufmerksam und versuchen die Arbeitsbedingungen in verschiedenen Punkten zu verbessern. Gewerkschaften handeln Tarifverträge aus um höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten, einen höheren Personalschlüssel und auch mehr Urlaub zu erstreiten. Der Verbesserungsbedarf bei den Arbeitsbedingungen in sozialen Berufen ist bereits bekannt und vielerorts wurde auch versucht etwas dagegen zu unternehmen, was sich gelegentlich in Streiks äußerte.

 

„Der erhoffte Diskurs über Arbeitsbedingungen und gerechtere Löhne in Systemrelevanten Berufen blieb bislang aus.“

 

Seit Beginn der Corona-Pandemie wurde nochmals deutlich, was die Systemrelevanten Berufe sind und was sie leisten müssen. Doch der erhoffte Diskurs über Arbeitsbedingungen und gerechtere Löhne blieb bislang aus. Das sich Mitarbeitende in den sozialen bzw. Gesundheitsberufen jetzt Gehör verschaffen, ist vielleicht gerade angesichts der Lage wichtiger denn je. Wie die Süddeutsche Zeitung im September 2020 titelte: »Streiks sind auch jetzt möglich«. Da Arbeitgeber Forderungen nicht immer nachgeben können, rufen Gewerkschaften gern zum Streik auf, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Ein jede(r) Streikende(r) muss sich jedoch bewusst sein, dass das sogenannte Streikgeld bei Arbeitsniederlegung ausschließlich von der Gewerkschaft an Gewerkschaftsmitglieder gezahlt wird. Dafür bezahlen Mitglieder_innen auch Beitrags-/Mitgliedsgebühren. Von Seiten des Arbeitgebers gibt es für diese Zeit keine finanzielle Vergütung. Bevor es jedoch zu einem Streik kommt, verhandeln die Parteien untereinander. Zum Streik kommt es erst, wenn die vorherigen Verhandlungen gescheitert sind und beide Parteien nicht kompromissbereit waren. Um zu wissen, wie man sich konkret engagieren kann und was man für Rechte und Pflichten gegenüber dem Arbeitgeber besitzt, muss man sich mit der Arbeit der Gewerkschaften und Gesetzestexte auseinandersetzten. Hier sehen wir auch eine Verantwortung der Hochschule, bereits Studierende auf die Arbeitswelt vorzubereiten und ausreichend über solche Themen zu informieren.

Digitalisierung in der Sozialen Arbeit

Als eine weitere große Herausforderung, die sich während der Pandemie nochmals verdeutlichte, sehen wir momentan auch die Digitalisierung. Das Thema hält in die unterschiedlichsten Lebens- und Arbeitsbereiche Einzug. Welche konkreten Auswirkungen die Digitalisierung in der Arbeitswelt der Sozialen Arbeit hat und welche neuen Themen des Arbeitsschutzes damit einhergehen können, ist noch nicht klar. Laut Dirk Heinke könnten in Zukunft Algorithmen darüber entscheiden, welche Hilfen gewährleistet werden und auch dabei helfen, den Mangel an Geld und Personal zu kompensieren. Die Auswirkungen der Digitalisierung zu erforschen, kann nicht alleine als die Aufgabe der Arbeitgeber oder der Gewerkschaften gesehen werden. Hier könnte auch die Hochschule eine tragende Rolle einnehmen, um Herausforderungen zu erkennen und Auswirkungen dieser zu erforschen.

Weitere Mitwirkende des Artikels: Anika Schatte, Dustin Chmielewski, Isolde Baron, Sakine Ateş, Daniela Eberhardt, Norman Hennig

 

 

Quellen und Webseiten: