alice online: Frau Brug, schildern Sie uns bitte kurz Ihren Werdegang.
Brug: Zum ersten Mal unterrichtete ich Deutsch als assistant teacher an der Glasgow Highschool for Girls, jetzt Cleveden Secondary School und schon längst koedukativ. Ich war Anfang zwanzig und hatte gerade an der Uni Heidelberg meine Zwischenprüfung abgelegt, was etwa dem Bachelor entspricht, aber nicht als abgeschlossenes Studium galt. Von Glasgow ging ich nach Berlin und studierte an der FU Germanistik, Philosophie und Pädagogik. Mit ein paar Kommilitonen initiierte ich ein inoffizielles Deutsch-Tutorium – eine Art „DaF“-Vorläufer – und unterrichtete neben dem Studium an einer privaten Sprachenschule, der Akademie für Fremdsprachen, von der ich nur zwei Häuser entfernt wohnte.
Ich schloss mein Studium mit dem Magister Artium (M.A.) ab, bekam ein Kind und veröffentlichte ein Buch. Dann musste ich mich entscheiden, sagten mir die beiden Professorinnen, mit denen ich gearbeitet hatte, Professorin Anke Bennholdt-Thomsen und Professorin Margherita von Brentano: Promotion mit dem Ziel einer akademischen Karriere oder „Schreiben“. Ich entschied mich fürs Schreiben, und weil ich beim Schreiben keine Kompromisse eingehen wollte, die vom Verlag (Luchterhand) oder vom Literaturmarkt diktiert waren, entschied ich mich für DaF als „zweites Standbein“ und als Einkommensquelle.
alice online: Aber dann kam alles anders und Sie zogen in die USA.
Brug: Mit einem Schriftstellerstipendium bin ich aus der Sprachenschule ausgestiegen, ging 1981 nach Vermont, USA, und unterrichtete sechs Jahre lang am Bennington College, einem kleinen Liberal Arts College, deutsche Sprache, Literatur, Theater, Philosophie. Ich schrieb weiter, aber das Unterrichten und die Zusammenarbeit mit Studenten und Kollegen wurden etwas sehr Wichtiges in meinem Leben, etwas sehr Lebendiges. Die meisten meiner Kollegen waren Pendler und verbrachten ihre Wochenenden in New York, das College-Leben war eine Mischung aus ländlicher Idylle und Urbanität. In Bennington lernte ich, dass Unterrichten immer ein wechselseitiger Lernprozess ist. Die Begeisterung dafür hatte ich schon aus Berlin mitgebracht. Zurück in Europa arbeitete ich zuerst an einer bilingualen Schule in Aix-en-Provence, danach viele Jahre am Sprachenzentrum der Uni Erlangen, längere Zeit freiberuflich, dann als Angestellte. Nach meiner Verrentung 2015 ging ich für ein Semester an die German Jordanian University in Amman, Jordanien.
alice online: Wie kam es dazu, dass Sie Deutsch als Fremdsprache für Geflüchtete unterrichten?
Brug: Als ich im Sommer 2015 aus Jordanien zurückkam, war Frau Dr. Perlick, Leiterin des Referats für Internationale Angelegenheiten der Uni Erlangen, gerade dabei, ein studienvorbereitendes Programm für Geflüchtete aufzubauen. Sie lud mich ein, die fachliche Koordination der sieben Erlanger DaF-Kurse für Geflüchtete zu übernehmen. Das tat ich und unterrichtete auch zwei der Kurse. Das Projekt war und ist sehr erfolgreich und wurde 2016 in die Deutschabteilung eingebunden.
„Geflüchtete bringen Lebenserfahrung, Weltklugheit und eine kommunikative Offenheit mit.“
alice online: Was schätzten Sie an Ihrer Arbeit mit den Geflüchteten?
Brug: Zuerst einmal das, was ich überhaupt an meiner Arbeit schätze: die Energie von – meistens jungen – Menschen aus aller Welt, die ein Ziel vor Augen haben. Ich habe mit Geflüchteten bisher nur im universitären Rahmen gearbeitet und kann nur darüber sprechen. Alle Teilnehmenden haben einen hohen Bildungsgrad, sind hoch motiviert, zielbewusst und bereit, Neues aufzunehmen und sich selbst einzubringen. Geflüchtete haben nicht nur mal so ein bisschen über den eigenen Tellerrand hinausgeschaut, sondern bringen meistens Lebenserfahrung, Weltklugheit und eine kommunikative Offenheit mit, die für uns und unsere Gesellschaft eine große Bereicherung sind, wenn wir sie als solche erkennen.
alice online: In wie fern können Sie auf Ihre beruflichen Erfahrungen als Autorin zurückgreifen für Ihre jetzige Lehrtätigkeit?
Brug: So konkret habe ich noch gar nicht darüber nachgedacht. Vielleicht erst einmal umgekehrt. Ich habe zwar bisher nicht ausdrücklich über meine Erfahrungen als Lehrerin geschrieben, aber diese Erfahrungen sind ein wichtiger Teil meines Lebens und fließen deshalb auch in alles ein, was ich schreibe. Vielleicht lässt es sich am ehesten mit dem Interesse an Menschen und an Kommunikation auf den Punkt bringen. Früher dachte ich immer, dass beim Unterrichten meine „Tagseite“ am Werk ist – das Fürsorgliche, der Blick auf die Lernenden gerichtet, auf ihre Bedürfnisse, ihren Erfolg und ihren Spaß am (Deutsch-)Lernen – und beim Schreiben meine „Nachtseite“ – das Ausloten der dunklen Regionen und Ungereimtheiten in unserem Denken und Handeln, das Kratzen an der Oberfläche der Dinge, am Schein. Aber heute sehe ich diesen Gegensatz nicht mehr. Ich habe eigentlich erst nach meiner Verrentung wieder richtig angefangen zu schreiben und habe lange nichts veröffentlicht. Heute sind Unterrichten und Schreiben zwei wichtige Bestandteile in meinem Leben, die mich glücklich machen.
alice online: Gibt es eine besonders schöne Situation im „Deutsch als Fremdsprache"-Kurs, von der Sie berichten können?
Brug: Viele. Ein Kurs läuft wirklich gut, wenn ihn die Teilnehmenden aktiv mitgestalten. Wenn alle Teilnehmenden den Kurs so benutzen, dass sie eigene Fortschritte beobachten, Defizite erkennen und Strategien anwenden können, die für sie selbst die geeignetsten sind. Wenn sie keine Scheu haben, „Fehler“ zu machen, sondern mit neuen Strukturen experimentieren. Sie können dadurch ihre eigenen Bedürfnisse besser artikulieren und helfen mir, den Unterricht zu reflektieren und zu verbessern. So kann ich mich besser auf die einzelnen Teilnehmer einstellen und sie in ihren Bemühungen gezielter unterstützen. Der Unterricht wird zum dialogischen Prozess.
„Es geht gar nicht so sehr um ein Problem, sondern um die nützliche Erkenntnis, dass es da noch etwas zu lernen gibt."
alice online: Welche Probleme beim Deutschlernen haben die meisten Studierenden im Kurs zu bewältigen?
Da sehe ich zwei „Probleme“. Das eine ist die Problemorientierung selbst. Wenn jemand „ein Problem mit der Grammatik“ hat, geht es in Wirklichkeit darum, dass mehr spezifische Informationen und Übungen gebraucht werden, um beim Sprechen und Schreiben die deutschen Satzstrukturen sicherer anwenden zu können. Es geht also gar nicht so sehr um ein Problem, sondern um die nützliche Erkenntnis, dass es da noch etwas zu lernen gibt. Das andere ist die Fixierung auf die Prüfung und auf ein bestimmtes Prüfungsformat. Ziel unseres Kurses ist, die Teilnehmenden im Mündlichen und Schriftlichen sprachlich fit fürs Studium zu machen. Das Etappenziel – und die Hürde – ist die Sprachprüfung. Ich halte die Deutsche Sprachprüfung für den Hochschulzugang (DSH) für das am besten geeignete Prüfungsformat und die sinnvollste Hürde im Hinblick auf das eigentliche Ziel, das Universitätsstudium. Sie visiert die souveräne Sprachbeherrschung an, was unter anderem auch bedeutet, dass sie sich nicht so leicht maschinell korrigieren lässt wie Einsetz- oder Richtig/Falsch-Aufgaben, bei denen die Lösungen noch dazu auf einem eigenen Antwortbogen eingetragen werden, also abgekoppelt vom sprachlichen Kontext. Die Vorbereitung auf die DSH ist aus meiner Sicht auch die solideste Vorbereitung auf das Studium, weil sie mit Formaten arbeitet, die für das Studium relevant sind und dadurch die Prüfungsfixierung relativieren.