Unser letztes gemeinsames Präsenzwochenende an der ASH in Berlin. So richtig kann ich es nicht fassen, dass damit dann vier Semester, 15 Module, die Arbeit in den Feedbackgruppen und fast alle Prüfungsleistungen der Vergangenheit angehören sollen. Irgendwie scheinen alle entspannter als sonst. Vor den Fenstern ist es heiß, im Seminarraum geht es humorvoll und produktiv zu. Immer wieder kommen Fragen zum Ablauf am Abend.
An diesem Abend hat jede_r die Möglichkeit, einen ihrer/seiner Texte vorzustellen, der im Laufe des Studiums entstanden ist. Schon seit Wochen gibt es dafür die Möglichkeit, im Kolloquium Texte vorzustellen und sich beraten zu lassen. Der Ablauf ist nun zwar bei Moodle hochgeladen, doch da mal wieder nicht alle diese Datei öffnen konnten, ist es spannend, wer wann vorlesen wird. Spannend ist es vor allem, weil wir diesmal nicht in der gewohnten ASH-Seminarraumumgebung vorlesen werden. Unser Dozent Guido Rademacher, der uns vier Semester lang begleitet und mit Rat und Tat zur Seite stand, hat für uns die Lettrétage in Berlin Mitte organisiert. Hier gibt es heute Abend offiziell eine performative Lesung, die der Öffentlichkeit zugänglich ist. Die Öffentlichkeit wird neben den Lesenden selbst wohl überwiegend aus Familien und Freunden der Autor_innen bestehen, doch diese sind ja immer nur einer Person der Studierenden bekannt. Die Aufregung steigt.
Wegen genau dieser Aufregung, weil es immer wärmer wird und alle noch genügend Zeit haben sollen, vor dem Beginn der Lesung etwas essen zu können, beenden wir unser letztes Modul etwas früher und machen uns auf den Weg.
Die Ankerinstitution für die freie Literaturszene befindet sich in der Veteranenstraße 21 im ersten Stock. Gegen 19:30 Uhr füllt sich der Raum nach und nach. Kurz vor Beginn müssen tatsächlich noch Stühle in den Zuschauerraum getragen werden.
Gut besucht geht es dann mit einer Begrüßung durch Guido Rademacher los. Bevor die Gäste den ersten Text hören, kommen sie noch in den Genuss der Livemusik von den Liedermacher_innen Isabell Wiehler und Uwe Friede, der Band „SiU“.
Schon der erste Beitrag der Studierenden Marta Marx lässt ein breites Spektrum an Textgestaltung vermuten. Da sie nicht persönlich anreisen konnte, hat sie eine Sprach- und Klangdatei übermittelt, die persönlich und experimentell durch den Raum hallt. Im Anschluss liest Stefan Pamperin eine gekürzte Fassung seiner im Modul Prosa erstellten Kurzgeschichte, mit der er es sogar auf die Longlist des Deutschen Kurzgeschichtenwettbewerbs geschafft hat. Ute Reimers zeigt in lyrischer Form, wie sie die Einschränkungen nach einer Operation an der Schulter verarbeitet hat und begeistert damit das Publikum. Mareike Mischke trägt zum einen ihren kurzen Text zu dem Impuls „Wenn ich schreibe“ vor, der im ersten Semester entstanden ist. Anschließend präsentiert sie den Zuhörenden ihr Gedicht zum selben Impuls aus dem dritten Semester sowie ein weiteres, sanft vorgetragenes, berührendes Gedicht.
Im nächsten Teil der Veranstaltung geht es direkt weiter mit lyrischen Texten. Frances Thiessen liest ein Echogedicht aus ihrer Prüfungsleistung im Modul Lyrik vor und berichtet, wie es ihr mit dem Schreiben und der Bewertung des Schreibens ergangen ist. Die Zuschauer_innen freuen sich über einen weiteren Einblick in die Arbeit der Studierenden. Die sehr persönlichen Gedichte von Elisabeth Rudisch, die u.a. die Zeit in der ehemaligen DDR thematisieren, berühren ebenfalls das Publikum. Anna Groß bringt dann alle erst mit ihrem „blumigen Wortfeld“ in einem Text aus dem Modul „Methoden, Techniken, Szenarien“ aus dem ersten Semester zum Schmunzeln und nimmt sie anschließend mit auf eine lebendige „Rostbeulenstraßenfahrt“, die die Sinne der Zuschauer_innen anregt. Da Jasaman Behrouz leider auch spontan verhindert ist, wir alle aber ihre Texte sehr schätzen, präsentieren zwei Kommilitoninnen ihren Text, der innerhalb der Romanwerkstatt, einem Wahlpflichtmodul im vierten Semester entstanden ist. Auch das Publikum ist von ihrer Schreibweise sehr angetan.
Nach so viel Text-Input kommt die Pause genau richtig. Im Innenhof des Gebäudes treffen wir uns und ziehen ein erstes Resümee. Die Stimmung ist wertschätzend und sehr positiv, wir freuen uns auf den zweiten Teil und hoffen, den Gästen geht es genauso.
Der dritte Block startet erneut mit einem musikalischen Beitrag der Band SiU, bevor May Minhel alle mit zwei Texten in Schwimmbäder entführt. Sie präsentiert den Anfang eines Romans, macht damit neugierig auf's Weiterlesen und zeigt anschließend, was für spannenden Texte im Freewriting entstehen können. Margarita Ruby hat sich für ihre Masterarbeit gegen das konventionelle wissenschaftliche Schreiben entschieden. Ihre Einleitung zeigt lyrisch, wie sie sich Wissen spielend erschreibt. Etwas, das die meisten im Publikum bislang wohl noch nicht gehört haben. Der Applaus zeigt auch bei ihrem Beitrag, dass alle begeistert sind. In der gekürzten Fassung der Kurzgeschichte von Michelle Schmiedeberg lernen die Zuhörenden zwei Protagonistinnen und deren Kinder kennen, die abends immer wieder dieselbe Gute Nacht Geschichte hören wollen. So schafft sie es, ein Märchen in der Geschichte zu verarbeiten, das anschließend die Vergangenheit der Protagonistinnen erklärt. Stefanie Matts Auszug aus der Kurzgeschichte „Vom Drücken und Ziehen des Lebens“ nimmt dann alle mit auf die Reise eines Protagonisten und vielen Alliterationen, die die Zuschauer_innen in ihren Bann ziehen.
Der letzte Block beginnt mit einem Vortrag von Sylvia Galossi, die lyrisch in ihrer Relativitätstheorie einen Spaziergang durch ihre Nachbarschaft beschreibt. Dann bin ich selbst dran und beschreibe dem Publikum in lyrischer , an Poetryslam erinnernder Form, den Alltag psychisch Erkrankter. (Hier geht's zum Video auf Instagram.) Bevor SiU den Abend musikalisch abrundet, präsentiert Sonja Knecht mehrere kurze Gedichte, die teilweise an Dadaismus erinnern und das vielfältige Spektrum der Textmöglichkeiten erweitern.
Die Lesung endet, wie sollte es anders sein, durch eine Abmoderation unseres Dozenten Guido Rademacher, bei dem wir uns im Zuge dessen noch bedanken können.
Der Abend geht aber noch weiter bis nach Mitternacht. Wir alle nutzen die Gelegenheit, uns noch einmal intensiv auszutauschen, aber auch ausgiebig zu feiern. Die Playlist des Abends wird stetig durch individuelle Musikwünsche erweitert, so dass die Tanzfläche bis zuletzt belebt bleibt.
Ich bin erfüllt von diesem Wochenende. Soll es das jetzt wirklich gewesen sein?
Danke!