Im Rahmen des Wahlmoduls „Bewältigung chronischer Schmerzen“ unter der Leitung von Prof. Dr. Barbara Vogel im primärqualifizierenden Studiengang Physiotherapie/Ergotherapie haben wir uns näher mit der Selbsthilfe in Bezug auf das Krankheitsbild Parkinson beschäftigt und ein Interview mit dem Erfahrungsexperten Carsten Heisler geführt.
Wann haben Sie die ersten Anzeichen der Erkrankung bemerkt und wann haben Sie eine Diagnose erhalten?
Heisler: Ich bin jetzt 57 und habe die Diagnose vor drei Jahren erhalten. Parkinson war für mich ein großer Einschnitt ins Leben. Ich wurde sofort krankgeschrieben und kann seitdem nicht mehr voll arbeiten. Dadurch entstanden extreme finanzielle Einbußen. Andere Einschränkungen existieren schon länger. Seit vielen Jahren habe ich verschiedene Schmerzen, von denen manche nach der Diagnose erstmals einen Sinn ergaben. Viele Beschwerden begleiteten mich schon Jahre vor der Diagnose. Es gibt sehr viele Frühsymptome, die nicht unbedingt hervorstechen. Ein Symptom ist beispielsweise, so erzählte mir eine Logopädin, dass wenn man zu essen beginnt, die Nase anfängt zu tropfen. Ich dachte sofort: „Das kenne ich“. Das passiert zum Beispiel immer genau dann, wenn ich Grillhähnchen esse und die Hände voll Fett habe. Die Nase fängt an zu tropfen und das Taschentuch steckt in der Tasche. Dies ist nur eines von vielen möglichen Frühsymptomen. Es gab auch Anfälle von Fatigue, ein plötzlich auftretender starker Erschöpfungszustand. Mein frühster Anfall war ca. im Jahr 2000. Ich war mit einem Freund radfahren und konnte 4 km vor meiner Wohnungstür nicht mehr weiter. Einfach so, aus dem Nichts. Ich war einfach total erschöpft, ohne dass es an meinem Puls messbar war. Es dauerte ca. 30 Minuten, dann war es vorbei. Da ich mich mit Fatigue nicht auskannte, konnte ich es damals nicht einordnen. So gibt es verschiedene Symptome, die darauf hinweisen können, dass Parkinson vorliegen könnte. Du findest unter 100 „Parkis“ aber keine zwei, die die identischen Symptome haben. Die Klassifizierung bzw. Verallgemeinerung ist sehr schwierig und im Augenblick überhaupt nicht möglich.
„Jede Minute ohne Schmerz war ein Geschenk."
Wie verlief bei Ihnen der Prozess der Krankheitsverarbeitung?
Heisler: Für mich hielt das Leben bis zur Diagnose schon öfter Zitronen bereit. Parkinson hat also nicht meine bescheidenen Lebensziele durchkreuzt.
Das ganze lief so ab. Nach zweijährigen Fußschmerzen, Orthopädie und diverser Therapien kam ich endlich zum Neurologen. Unsicher wies dieser mich in eine Klinik ein. Dort begann eine neun Tage währende Untersuchung. Die sichere Schlussdiagnose lieferte dann die Gabe eines Parkinson Medikaments, in meinem Fall Levodopa. In der Nacht erwachte ich, weil die Schmerzen verschwunden waren. Im ersten Moment dachte ich: „Ich bin geheilt.“ Jede Minute ohne Schmerz war ein Geschenk. Schließlich kam der Neurologe zu mir und sagte: „Sie haben Parkinson“. Mein erster Gedanke: „Sch...egal, Hauptsache keine Schmerzen mehr“. Dies ist bis heute so. Die Diagnose an sich hat mich nicht aus der Bahn geworfen. In der Folgezeit macht jedoch jeder Patient einen Prozess von ca. 2-3 Jahren durch, wo es darum geht, die Tatsache anzunehmen, die Krankheit in Frage zu stellen, sich selbst in Frage zu stellen, den Umgang damit zu akzeptieren. Man denkt einige Male: „Warum ich?“
Aber mit Parkinson ist nicht alles schlecht.
Wie meinen Sie das?
Heisler: Die Folgen der Krankheit sind sehr weitreichend. Im Grunde suchen wir in der Selbsthilfe gleich betroffene Menschen, möglichst mit der identischen Symptomatik. Diese Personen finden wir aber nicht, weil sich die Symptome so unglaublich vielfältig äußern. Und irgendwann bekommt die Selbsthilfe einen anderen Charakter und wir erkennen, dass Selbsthilfe viel mehr ist als das. Wenn man sich auf Selbsthilfe einlassen kann, dann findet man eine andere Möglichkeit sich mit der Erkrankung auseinander zu setzen, wie zum Beispiel Sport zu treiben. Viele verlieren schnell ihren Beruf, z.B. durch „Zwangsberentung“ oder weil sie einfach nicht mehr arbeiten können. Ein sozialer und finanzieller Abstieg lässt sich kaum aufhalten. Die „Bubble“ in der wir leben, wird sehr schnell sehr klein. Eine Aufgabe in der Selbsthilfe kann es sein, diejenigen, die gestern die Diagnose bekommen haben, aufzuklären und ihnen eine Anlaufstelle, eine Perspektive zu bieten. Dies gilt sowohl für die Betroffenen selbst, vor allem aber für die Angehörigen, die sich sonst nirgendwo hinwenden können.
Du siehst, man bekommt auch etwas. Ich z.B. habe nun mehr Autonomie über mein Leben denn je. Darüber hinaus habe ich Zeit. Und Begrenzung. Eine die Kreativität fördernde Kombi.
„Man erzählt, dass man Parkinson hat und im besten Falle erntest du Mitleid."
Wie waren Ihre eigene Reaktion und die Reaktion Ihres sozialen Umfeldes auf die Diagnose?
Heisler: Ich fühlte mich innerhalb des ersten Jahres nach der Diagnose als Verlierer, da mir bewusst wurde, dass ich nicht mehr arbeiten gehen werde. Durch den Verlust der Erwerbsfähigkeit fühlte ich mich ausgegrenzt, weniger wert. Der Alltag veränderte sich unvorhergesehen und komplett.
Vom Umfeld her war die Reaktion auf meine Erkrankung sehr unterschiedlich. Ich habe sie zwei Jahre lang verheimlicht, mit Ausnahme gegenüber den engen Freunden. Meine Mutter reagierte überhaupt nicht darauf; mein Bruder tat so, als hätte ich es nie gesagt – bis heute. Meine engen Freunde haben es nicht gewertet.
Die wenigsten Menschen wissen etwas über Parkinson. Daher wissen sie auch nicht, wie sie reagieren sollten. Sätze wie „Sieht man dir gar nicht an“ werden nicht als Kompliment wahrgenommen. Dies war sehr unangenehm für mich und ist es bis heute. Man erzählt, dass man Parkinson hat und im besten Falle erntest du Mitleid. Daher erzählte ich es nicht. Mir persönlich half anfangs die Reha, dort entstanden Freundschaften mit anderen Leidensgeprägten verschiedener Krankheitsbilder, bis heute.
Haben Sie Erfahrungen mit einer Selbsthilfegruppe?
Heisler: Nein, ich bin kein Selbsthilfeprofi und hätte mich auch nie in solchen Gruppen engagiert, wenn ich nicht zufällig Teilnehmer der Pilotstudie „Bewegungstherapie auf dem Pferd bei Morbus Parkinson“ einer Bachelorarbeit einer Logopädin, geworden wäre. Nach fünf Tagen in der Bewegungstherapie, war die Fatigue wie weggeblasen. Bei mir und den fünf anderen Teilnehmern führte das zu einer hohen Steigerung der Lebensqualität. Diese Therapieform ist leider nur äußerst begrenzt möglich, da es nur einen Reiterhof mit zwei Pferden gibt, die diese anbieten. Dafür werde ich die nächsten Jahre kämpfen, damit es mehr solcher Therapieangebote für zukünftig Erkrankte gibt.
Haben Sie Empfehlungen für Menschen mit Parkinson?
Heisler: Ich empfehle jedem, der gestern die Diagnose bekommen hat, im Arbeitsumfeld so lange wie möglich nicht über seiner Erkrankung zu sprechen. Man sollte sich zwei oder drei Jahre Zeit geben, sich mit seiner Erkrankung zu arrangieren um seine familiäre und berufliche Planung so lange wie möglich in seinen eigenen Händen zu halten.
Bei einigen zerbrechen die Ehen. Kinder gehen noch zur Schule, die Finanzierung des Hauses ist nicht mehr gesichert.
Sport treiben, Projekte organisieren, sinnvolle Aufgaben verfolgen, die einen fordern, deutlich mehr als Sudoku je vermag. Kurz gesagt: Bewegung, Bewegung, Bewegung. Warum nicht in der Selbsthilfe!?
Ich bin bei Parkinson Berlin aktiv. Dort kümmern wir uns vordergründig um die Jungerkrankten und deren Angehörige. Mein persönliches Ziel ist es, ein Büro/eine Beratungsstelle zu eröffnen und einen nicht erkrankten Geschäftsführer zu verpflichten, der uns die Aufgaben abnimmt, die wir nicht mehr leisten können. Nur eine solche Struktur ist in der Lage, eine professionelle Verbandsarbeit langfristig zu sichern. Sie muss unabhängig vom Fortschreiten unserer Erkrankung oder unserer Befindlichkeiten weiter gehen.
Wir organisieren unter anderem Sportangebote wie Tischtennis, therapeutisches Boxtraining, therapeutisches Fechttraining oder verschiedene Tanzangebote wie Tango. Seit Anfang 2020 gibt es jeden Samstag ein neurologisches Bewegungstraining für Menschen mit neurologischen Erkrankungen und deren Familien.
Wir von Parkinson Berlin sind für alle Anregungen und Hilfen offen. Wir freuen uns über Menschen, die vorbeikommen und sich ansehen, was wir machen und ein Teil von uns werden. Selbsthilfe zur Selbsthilfe bedeutet auch Dinge zu tun, die man im normalen Leben nicht machen würde. Ein proaktiver Umgang mit der Erkrankung zeigt uns neue Möglichkeiten auf. Wir können irgendwann nicht mehr und sind deshalb auf die Unterstützung von anderen angewiesen, damit unsere Ziele weiter verfolgt werden können.
Fazit für uns Studierende
Wir bedanken uns noch einmal ganz herzlich bei Herrn Heisler für dieses eindrückliche Interview. Anhand seiner vielfältigen Erfahrungen mit der Selbsthilfe lässt sich für uns erkennen, dass Selbsthilfegruppen einen großen Zugewinn für Menschen mit chronischen Erkrankungen darstellen. Somit lässt sich für das therapeutische Setting schlussfolgern, dass Interventionen der Selbsthilfe aus ergotherapeutischer Sicht für unsere Klient_innen sehr zu empfehlen sind. Außerdem können Ergotherapeut_innen und auch andere Professionen in diesen Bereichen vor allem im psychosozialen Bereich tätig werden und somit ein Teil dieser wichtigen Intervention für Klient_innen mit chronischen Erkrankungen sein.