Interview „Die Menschen in Deutschland haben eine gute Versorgung durch hochkompetente Pflegefachpersonen verdient.“

Franz Wagner, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) und Präsident des Deutschen Pflegerats spricht im Interview über die Akademisierung und Zukunft der Pflege in Deutschland

Porträt von Franz Wagner
Franz Wagner DPR e.V

alice online: An der ASH Berlin beginnt ein primärqualifizierender Studiengang Pflege im April nächsten Jahres, ab Oktober 2020 wird ein solcher Pflegestudiengang in Berlin dann an drei Standorten angeboten, neben der ASH Berlin auch an der Evangelischen Hochschule Berlin (EHB) und an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Begrüßen Sie diese Pflegestudiengänge?

Wagner: Ich halte es für eine wichtige Zukunftsinvestition in die Pflege und die Pflegefachpersonen, dass es an möglichst vielen Standorten die Möglichkeit der hochschulischen Ausbildung gibt. Angesichts der steigenden Anforderungen ist eine hochschulische Qualifizierung ein wichtiger Beitrag für gute pflegerische Versorgungsqualität. Zugleich erhöht sich damit auch die Attraktivität des Berufes und wir ziehen hoffentlich auch mehr Bewerber_innen an.

alice online: Gleichzeitig werden die Ausbildungsplätze für den Pflegeberuf in Berlin um ein Vielfaches erhöht. Kommt es da nicht zu Konkurrenzen auf der Suche und Gewinnung von jungen Menschen, die sich für den Pflegebereich ausbilden lassen wollen?

Wagner: Die Ausbildungsplätze werden zwar erhöht, ‚um ein Vielfaches‘ ist aber übertrieben. Wir müssen auch abwarten, ob sich das tatsächlich realisieren lässt ohne das Niveau abzusenken. In diesem Wettbewerb hat aus meiner Sicht die hochschulische Ausbildung zumindest perspektivisch die Nase vorn. Angesichts der großen Konkurrenz zwischen allen Möglichkeiten einen Beruf zu erlernen, muss die Pflegeausbildung – und der Beruf – insgesamt wettbewerbsfähig sein.

alice online: Wird es zu neuen Hierarchien innerhalb des pflegerischen Arbeitsfeldes kommen?

Wagner: Grundsätzlich führt die hochschulische Ausbildung zum gleichen Berufsabschluss und der gleichen Berufsbezeichnung. Ich erhoffe und erwarte aber, dass die hochschulisch ausgebildeten Pflegefachpersonen den Versorgungsalltag in der direkten Pflege verbessern werden. Es ist zu vermuten, dass sie auch mehr Entwicklungsmöglichkeiten im Beruf haben werden. Mit dem Tempo der Akademisierung der Ausbildung wird dies aber ein langfristiger Prozess sein. Insgesamt werden wir zukünftig einen deutlich heterogeneren Skill-Grade-Mix in der Pflege haben, schon um in Zeiten des allgemeinen Fachkräftemangels dem quantitativen Bedarf in der Pflege gerecht werden zu können.

alice online: Es gibt vielfach Bemühungen, die Pflegeberufe attraktiver zu machen; dazu zählt auch das neue Pflegeberufereformgesetz. Nun soll vor allem generalistisch ausgebildet werden. Welche Vorteile, vielleicht aber auch Nachteile sehen Sie?

Wagner: Ich sehe im Prinzip der Generalistik nur Vorteile. Wir haben die Chance, eine zeitgemäße inhaltliche Ausgestaltung der Ausbildung umzusetzen. Sie ist eine gute Grundlage für eine möglichst lange Berufstätigkeit in einem enorm vielfältigen Berufsfeld. Den Nachteil an der Ausgestaltung der Generalistik sehe ich in der Beibehaltung der gesonderten Abschlüsse Altenpfleger_in und Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger_in, der für die Altenpflege besonders schwer wiegt, weil dafür ein Kompetenzprofil definiert wurde, das deutlich unter dem der Pflegefachpersonen liegt.

alice online: Kommen wir noch einmal auf die – teilweise – Akademisierung der Pflegeausbildungen. Sehen Sie diese als Chance, die Pflegequalität zu verbessern?

Wagner: Auf jeden Fall! Es ist Anspruch sowohl des Pflegeberufegesetzes als auch der Sozialgesetzbücher, dass Pflege nach dem aktuellen Stand des Wissens erbracht wird. Das setzt voraus, aktuelle Forschungsergebnisse verstehen, bewerten und interpretieren zu können und sie in die pflegerische Praxis zu übertragen. Dazu befähigt eine hochschulische Ausbildung deutlich besser, als eine berufliche. Zudem haben wir internationale Forschung (z. B. von Linda Aiken oder Anne Marie Rafferty), die belegt, dass besser ausgebildete Pflegefachpersonen (Bachelor versus Non-Bachelor) bessere Patientenoutcomes erzielen.

alice online: Wie sieht es in anderen europäischen Ländern aus, die auf Hochschulausbildung umgestellt haben? Hat sich für das Pflegepersonal sowie für die zu pflegenden Menschen dadurch etwas oder sogar viel geändert?

Wagner: Im Detail kann ich das nicht bewerten. Ich sehe nur, dass in den meisten anderen Ländern die Rolle sowie der Status und das Ansehen der professionellen Pflege deutlich höher ist als bei uns. Und ich kann mit Sicherheit sagen, dass sich niemand vorstellen kann die hochschulische Ausbildung wieder abzuschaffen. Die bereits erwähnten Forschungsergebnisse bestätigen diesen Weg.

alice online: Der Bundesgesundheitsminister, Herr Spahn, ist nicht gerade begeistert davon, dass nun auch Pflege- und Therapieberufe ihre Ausbildungen auf Hochschulniveau etablieren wollen. Welche Argumente würden Sie ihm unterbreiten, dies doch voranzutreiben?

Wagner: Ich kann bei ihm schwer einschätzen, wo diese Einstellung herkommt. Es gibt ein Stück weit wohl das Missverständnis, Akademisierung sei vor allem der Wunsch bestimmter Kreise in der Pflege und solle vor allem den Status verbessern und damit eine bessere Vergütung etc. ermöglichen. Das ist schlichtweg falsch. Zentrales Argument und Rechtfertigung für die Akademisierung der Pflege ist die bessere Versorgungsqualität. Dies wäre mein Argument. Das gilt in gleichem Maße für die Therapieberufe und Hebammen. Bei den Hebammen hat ja dankenswerterweise die EU durch die Berufeanerkennungsrichtlinie die hochschulische Ausbildung mehr oder weniger erzwungen. Leider hat vor allem Deutschland eine entsprechende Regelung für die professionelle Pflege verhindert. Ich nenne das gerne ‚die Armenklausel für Deutschland‘. Ich bin nämlich davon überzeugt, dass die Abwehr vor allem in der Finanzierung begründet ist. Heute bezahlen vor allem die Sozialversicherungen die Ausbildung. Bei einer rein hochschulischen Ausbildung wären die Länder viel stärker mit Steuermitteln beteiligt.

Ich bin der Meinung die Menschen in Deutschland haben eine gute Versorgung durch hochkompetente Pflegefachpersonen verdient. Da soll Herr Spahn erstmal erklären, warum er den Betroffenen die bestmöglich Qualifizierten – nämlich die hochschulisch Gebildeten – vorenthalten will.

alice online: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Die Fragen stellte Gudrun Piechotta-Henze, Professorin für Pflegewissenschaftan der ASH Berlin.

Das Interview ist im alice Magazin Nr. 38 "Neue Wege in die Pflege" erschienen.