Der Alltag an Hochschulen und Universitäten ist stark durch die SARS-CoV-2-Pandemie beeinflusst. Neben den üblichen Herausforderungen des Lebens von Studierenden, wie die Finanzierung des Lebensunterhaltes, Organisation des Alltags, Wohnortwechsel und Aufbau eines Freund_innenkreises mussten Studierende einen Umgang mit dem persönlichen Erkrankungsrisiko, Kontakt- und Reisebeschränkungen sowie wirtschaftlichen Folgen entwickeln. Erklärtes Ziel während der epidemischen Lage von nationaler Tragweite ist ‚to flatten the curve‘, also dafür zu sorgen, dass möglichst wenige Menschen gleichzeitig an Covid19 erkranken. Im Namen der „akuten Gefahrenabwehr“, legitimiert durch den nationalen Pandemieplan und entsprechende gesetzliche Regelungen, wurden Entscheidungen über Maßnahmen weitgehend ohne Beteiligung der Studierenden getroffen. Die Schließung von Bildungseinrichtungen als Lebensräumen und der kurzfristige Wechsel ins digitale Leben in den (wenn vorhanden) eigenen vier Wänden, waren zu bewältigen.
Schon im Juli 2021 formulierten die Senatskanzlei – Wissenschaft und Forschung und die Landeskonferenz der Rektor_innen und Präsident_innen der Berliner Hochschulen (LKRP) den Wunsch, möglichst vielen Studierenden im Wintersemester 21/22 die Teilnahme an Präsenzveranstaltungen gemäß den dann geltenden behördlichen Bestimmungen zu ermöglichen.
Laut LKRP wurden mit „Schwerpunktimpfungen für Studierende an Hochschulen und in den Studierendenwohnheimen [...] die Grundlagen gelegt, damit Präsenzlehre und Präsenzprüfungen im Wintersemester zur Regel werden“[i].
Umfrage an Berliner Hochschulen
Bei einer Umfrage an den Berliner Hochschulen (veröffentlicht Anfang September) gaben 34.955 der 42.015 teilnehmenden Studierenden an, gegen Covid19 geimpft zu sein. Diese Ergebnisse legen laut LKRP nahe, dass „mehr als drei Viertel der insgesamt rund 200.000 Studierenden an Berliner Hochschulen vollständig geimpft sein dürften“ [ii].
Insbesondere das Sommersemester 2021 wurde begleitet von Diskussionen um Covid19-Impfungen. Anfänglich wurden Aufforderungen zur Zurückhaltung an Jüngere und öffentliches Beschämen von ‚Impfneid‘ und ‚Vordrängler_innen‘ ausgesprochen. Auch Unsicherheiten in Bezug auf die Sicherheit von Impfstoffen bestimmten die Debatte und wurden durch die Altersgrenze in der Empfehlung eines einzelnen Impfstoffes verstärkt. Mittlerweile werden Anreizsysteme von vegetarischen Hotdogs bis hin zu Impfpartys oder die Diskussion über die Lohnfortzahlung im Quarantänefall eingesetzt, um die erwünschte kollektive Immunität zu erreichen.
Haltungen von Studierenden zur Covid19-Impfung wurden in verschiedenen internationalen Studien untersucht. Ergebnisse daraus legen nahe, dass u.a. die Wahrnehmung von Autorität und Expertise, die Fähigkeit, wissenschaftliche Veröffentlichungen zu lesen und vollumfänglich zu verstehen, aber auch die eigene Risikowahrnehmung oder die Nähe zu populistischen Überzeugungen Einfluss auf Impfentscheidungen von Studierenden haben[iii].
Neben denjenigen Studierenden, die sich haben impfen lassen, gibt es auch diejenigen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können, die Fragen oder Unsicherheiten in Bezug auf die Impfempfehlungen haben oder keinen pharmakologischen Schutz in Anspruch nehmen wollen. Auch die Ängste derjenigen Menschen, die sich trotz vorhandener Impfstoffe nicht sicher sind, oder sich nicht sicher fühlen, müssen hörbar werden dürfen.
Fokus auf wieder erreichte Alltäglichkeiten
Angebote, die sich auf Bevölkerungsgesundheit beziehen können vor dem Hintergrund von Verbrechen gegen die Menschheit mit Skepsis betrachtet werden. Gründe, die Ziele dieser Angebote kritisch zu hinterfragen, sind die Geschichte der Medizin im deutschen Faschismus, in der Kolonialgeschichte oder Maßnahmen zur sogenannten Geburtenkontrolle für Menschen in Armutslagen. Hier gibt es noch immer viel aufzuarbeiten.
Sich vor dem Hintergrund der Sars-CoV-2 Pandemie (nicht) ausführlich zu informieren oder sich (nicht) impfen zu lassen muss begleitet werden von Gesprächen, die erlauben die eigene Position zum Thema und zu den Menschen im Umfeld zu reflektieren. Den Fokus dabei auf wieder erreichte Alltäglichkeiten zu lenken bringt alle Beteiligten weiter, als individuelle Impfentscheidungen wertend zu diskutieren. Dies gilt insbesondere, wenn physische Räume wieder von Allen zum gemeinsamen Lernen genutzt werden (sollen). Im Sinne von Ruth Cohns Hinweis: „Störungen haben Vorrang!“ sind Studierende, Lehrende und allen anderen Beschäftigten der ASH Berlin gefordert, einen konstruktiven Umgang mit diesen wichtigen Themen zu erstreiten. Statt zu beanspruchen wer Recht oder das richtige Wissen hat, birgt der Moment des Neustarts die Chance sich zu begegnen, neu zu sortieren und in den verschiedenen Wünschen und Bedarfen anzuerkennen ohne das Wohl der (Lern-und Arbeits-)Gemeinschaft aus den Augen zu verlieren.
Weitere Informationen:
Neue Public-Health-Studie gibt Empfehlungen zum Umgnag öffentlicher Einrichtungen mit Viruserkrankungen wie Covid-19
[i] Eckpunkte für das Wintersemester 21/22 www.lkrp-berlin.de/aktuelles/210730-eckpunkte-wintersemester-21-22/index.html
[ii] Umfrageergebnisse zusammengefasst www.lkrp-berlin.de/aktuelles/210910-umfrage-studierende/index.html
[iii] Erste Ergebnisse einer Recherche in der medizinischen Datenbank Pubmed zu Studierenden und Impfentscheidung