Fokuswoche „What’s going on?”

Die Fokuswoche im Sommersemester 2021: Hochschule als Diskursarena für einen produktiven Umgang mit und in der Corona-Krise gestalten

Mit diesem Beitrag blicken wir als Personen aus der Vorbereitungsgruppe auf die Fokuswoche „What's going on?" zurück. Wir möchten hierfür exemplarisch – und aus unserer jeweiligen subjektiven Perspektive – einige Highlights sowie Herausforderungen benennen, die sowohl die inhaltliche Ebene als auch die Ebene der Vorbereitung und Organisation betreffen.

Die Fokuswoche „What's going on?" fand vom 31.05.2021 bis 04.06.2021 einschließlich des Hochschultages zum Leitbild Lernen und Lehren am 02.06.2021 als Online Veranstaltung statt. Thematisch war die Fokuswoche auf den Austausch zu Erfahrungen des Studierens, Lehrens, Arbeitens und Forschens in Corona Zeiten sowie auch auf die Entwicklung von Perspektiven für eine Post-Corona Zeit ausgerichtet. Der Umsetzung vorausgegangen war ein Beschluss im Akademischen Senat (AS) auf Vorlage eines entsprechenden Konzeptentwurfs der Rektorin Prof. Dr. Bettina Völter im Frühling 2021. Entwurf und Diskussion verstanden diese Fokuswoche bewusst als „Follow-Up" der ersten Fokuswoche „alice solidarisch" im Januar 2016 und waren sich zugleich über die sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen und hochschulinternen Voraussetzungen bewusst.

 

„Die Fokuswoche schuf einen Raum, um Erfahrungen des Studierens, Lehrens, Arbeitens und Forschens in Corona Zeiten gemeinsam miteinander zu reflektieren sowie auch Perspektiven für eine Post-Corona Zeit zu entwickeln."

Die Fokuswoche „alice solidarisch" 2015/2016 wurde seinerzeit anlassbezogen entwickelt, um sichtbar zu machen, dass und wie sich die ASH Berlin zu den gesellschaftlichen Herausforderungen des „Sommers der Migration" 2015 verhalten und solidarisch eingreifen wollte. Jeweils ein Hochschultag konnte Mitgliedergruppenübergreifend zur Vorbereitung der Fokuswoche sowie einer im Folgesemester nachbereitend genutzt werden. Die Hochschule hatte damals ganz bewusst auf eine gemeinsame Entwicklung von Perspektiven auch mit hochschulexternen Akteur_innen und Partner_innen gesetzt.[1]

Die Fokuswoche „What's going on" im Sommer 2021 wurde mit weniger zeitlichem Vorlauf entwickelt und richtete sich ganz bewusst nach innen als hochschulinterne Veranstaltung: Sie bot allen Hochschulangehörigen zunächst über einen offenen Call die Möglichkeit, Diskurs- und Austauschformate anzubieten und damit auch selbst die Themen, die jeweils „unter den Nägeln brennen“, stark zu machen. Die Fokuswoche schuf einen Raum, um Erfahrungen des Studierens, Lehrens, Arbeitens und Forschens in Corona Zeiten gemeinsam miteinander zu reflektieren sowie auch Perspektiven für eine Post-Corona Zeit zu entwickeln – oder auch einfach mal abzuschalten und zu genießen. Somit war die Fokuswoche ein Raum der (Selbst-) Reflexion, des bewussten Handelns, der mitgliederübergreifenden und mitbestimmten Debatte sowie der Gestaltung von Diskursen innerhalb und außerhalb der Hochschule. Mit diesem innovativen und verständigungsorientierten Ansatz versuchte die ASH Berlin einen die Hochschule als Diskursarena stärkenden und produktiven Umgang mit der Corona Krise zu fördern. Nicht zuletzt war es ein Ziel der Fokuswoche, u.a. das Kennenlernen und die Vernetzung untereinander sowie die Identifikation mit der ASH Berlin in und trotz Pandemiezeiten anzuregen und zu stärken. Viele Studierende und Kolleg_innen haben zu Beginn oder mitten in der Pandemie an der ASH Berlin begonnen zu studieren und zu arbeiten, kennen die Hochschule nicht oder kaum von innen und haben sich in Lern- und Arbeitsprozessen untereinander vorwiegend über Videokonferenz-Kacheln kennen gelernt. So ist auch die Idee der Begegnungsräume als Format der Fokuswoche entstanden: Vielen von uns fehlen im Moment die informellen Begegnungen vor dem Kopierer, in der Warteschlange vor der Mensa oder im Eingangsbereich der Hochschule. So konnten Hochschulangehörige während der gesamten Fokuswoche von den zahlreichen Räumen für Begegnungen zwischen Tür und Angel Gebrauch machen, sich mit anderen Personen in einem der Räume verabreden oder einfach mal spontan virtuell vorbei schlendern.

Es gab ein reichhaltiges und vielstimmiges Programm mit zahlreichen Akteur_innen aller Mitgliedergruppen, welches dank der regen Beteiligung, auf den Call Angebote einzureichen, möglich geworden ist. Das Programm beinhaltete ein Rahmenprogramm mit einführenden Inputs der Rektorin Prof. Dr. Bettina Völter und der Prorektorin für Studium und Lehre, Prof. Dr. habil. Dagmar Bergs-Winkels, verschiedenen Stimmen von Interessensvertretungen und aus Studiengängen, eine studentische szenische Lesung, die Lesung der Poetikpreisträgerin Lioba Happel, Bewegungs- und Entspannungsangebote. In den zahlreichen Workshops und Austauschrunden zu Themen, die die Hochschule rund um Corona und ein „Danach“ bewegen sowie beim Hochschultag zur Entwicklung eines Leitbildes Lernen und Lehren wurde intensiv diskutiert. Am Ende der Fokuswoche konnten sich dann alle noch einmal in einem etwas anderen Format – bei einer online Party mit den DJs DJ Apolonia, DJ IPEK und DJ Anselmus entspannen und zu guter Musik begegnen oder sogar tanzen.

Es gab eine große Vielstimmigkeit und verschiedene Formate, um Perspektiven und Stimmen auf verschiedene Weise einzubringen. Geprägt von einer großen Ernsthaftigkeit in der Sache, einer enormen Offenheit und auch dem Mut, bestimmte Erfahrungen einzubringen und weitestgehend einem wertschätzenden Umgang, haben – trotz des digitalen Formates – auch Spaß und Leichtigkeit am gemeinsamen Miteinander sowie zufällige Begegnungen an verschiedenen Stellen Raum gehabt. Auch technisch hat alles geklappt - das ist nicht ganz unerheblich, war es doch ein neues Format für eine hochschulweite Veranstaltung.

 

„Corona Pandemie als Brennglas für prekäre Verhältnisse."

Ein weiteres Mal ist die Corona Pandemie als Brennglas für prekäre Verhältnisse deutlich geworden - für die Hochschule, die SAGE Professionen und für die Gestaltung von Studium und Lehre – zum Beispiel bezogen auf Teilhabe, Ausschlüsse und Diskriminierungserfahrungen von Student_innen. Diese Erfahrungen auch hinsichtlich ihrer intersektionalen Verschränkungen sowie bezogen auf Fragen von (Un)Vereinbarkeiten sichtbar und nachvollziehbar zu machen, konnte ebenfalls deutlich in den Fokus gerückt werden. Gesellschaft, (Hochschul-)Bildung und Professionen sind unter Pandemiebedingungen noch stärker neoliberalen Entwicklungen ausgesetzt. Die Bedeutung von solidarischem Handeln, gegenseitiger Wertschätzung und auch Widerständigkeit wächst. Dies produktiv weiter zu bewegen, wird auch perspektivisch eine Herausforderung bleiben. Darüber hinaus ist noch einmal deutlich geworden, dass alle Hochschulangehörigen in den letzten 15 Pandemie-Monaten Enormes geleistet haben und der persönliche Kontakt allen fehlt – alle scheinen auch ein bisschen müde zu sein.

 

Subjektive Highlights aus der Vorbereitungsgruppe:

  • Für mich war ein besonderes Highlight und sehr berührend, der szenischen Lesung der Student_innen zu ihren Erfahrungen mit der Corona Pandemie zuzuhören. Hier fand ich ganz besonders beeindruckend, wie sehr sich die Beteiligten mit ihren Erfahrungen geöffnet haben, wie viel Mut sie dabei auch gezeigt haben, die Teilnehmenden an ihren ganz persönlichen Perspektiven teilhaben zu lassen.
  • Ein besonderes Highlight waren für mich die eher zufälligen Treffen und Gespräche mit Studierenden, die sich während der Fokuswoche wiederholt ergaben. Die Arbeit unter Pandemie-Bedingungen ließen im letzten Jahr nur wenig Raum für derartige Begegnungen entstehen. Durch die Gespräche wurden für mich die Erfahrungen und Probleme der Studierenden während der Online-Semester noch einmal deutlich greifbarer.
  • Ein besonderes Highlight war für mich der Hochschultag, mit seinem kontroversen Auftakt, der guten Vorarbeit der Vorbereitungsgruppe sowie den Sessions am Nachmittag, in denen wir uns intensiv mit Fragen wie: Gibt es überhaupt ein „Wir", wenn von Studium und Lehre gesprochen wird? Welche Aspekte tragen zur Qualität der Lehre bei, welche sollen uns für Studium und Lehre Orientierung sein? Die Methodenvielfalt, mit der trotz online-Format gearbeitet wurde, die Aufnahme vieler Überlegungen der Teilnehmenden im Hintergrund sowie der Vortrag von Prof. Dr. Ida Sabelis, Vrije Universiteit Amsterdam, die über „Wir sind keine Cookie Factory! Lernen und Lehren in neoliberalen Zeiten“ sprach, trugen zu großer Abwechslung, Sich-Einbezogen-Fühlen und Nachhaltigkeit der Diskussion bei. 
  • An der offenen Diskussionsrunde zum Umgang mit Verschwörungsideologien an der Hochschule hat mich besonders beeindruckt wie wertschätzend miteinander zu diesem - gesellschaftlich wie in persönlichen Beziehungen – polarisierenden Thema umgegangen wurde. Studierende berichteten, dass ihnen Verschwörungserzählungen im eigenen Umfeld, in Telegram-Gruppen und teilweise über Äußerungen von Lehrenden in Seminaren begegnet sind - und ihnen dazu bislang ein inhaltlicher und hochschulpolitischer Austausch an der Hochschule und in der Lehre fehlt.

Im Rahmen der Vorbereitungen der Fokuswoche wurde der ad-hoc gebildeten Arbeitsgruppe schnell deutlich, dass die Organisation mehrtägiger Online-Großveranstaltungen mit zahlreichen neuartigen Arbeitsprozessen und Aufgaben verbunden ist. So konnte nur begrenzt auf die vorhandenen Erfahrungen, Strukturen und Ressourcen der Hochschule zurückgegriffen werden. Dies hatte vor dem Hintergrund der kurzen Vorbereitungszeit zur Folge, dass trotz der guten Zusammenarbeit innerhalb der Arbeitsgruppe ein Engagement über das übliche Maß hinaus notwendig war. Zudem mussten im Verlauf der Vorbereitungen weitere Mitarbeiter_innen der Hochschule recht kurzfristig eingebunden werden, wodurch auch diese mit einem hohen Workload konfrontiert waren.

Des Weiteren ist deutlich geworden, dass, insbesondere unter Pandemiebedingungen, die studentische Teilhabe an laufenden Entwicklungsprozessen und die Vernetzung von Student_innen untereinander sowie mit weiteren Hochschulangehörigen weit größeren Herausforderungen ausgesetzt sind. Gleichzeitig sind diese Aspekte aber wichtiger denn je geworden. Das Format Fokuswoche könnte daher einen Modellcharakter bekommen für einen Ort des Dialogs, Austausches und der Vernetzung – und dabei besonders für das Ankommen im Studieneingang Wirksamkeit entfalten. Hierfür wäre es sinnvoll und nötig, das Format Fokuswoche konzeptionell weiterzuentwickeln und noch stärker auf die Zielgruppe Student_innen auszurichten.

Im Folgenden haben wir einige Take Home Messages der Fokuswoche zusammengestellt:

  • Es braucht Zeit und Raum für Begegnungen, für das einander Zuhören und für den Austausch, um sich als Hochschule gemeinsam weiterentwickeln zu können. Hierfür war die Fokuswoche einschließlich des Hochschultages eine tolle Möglichkeit.
  • Die Aspekte Teilhabe und Beteiligung sowie Kommunikationsflüsse für Angehörige aller Mitgliedergruppen, verschiedene mögliche Wege und Verständnisse inklusive der dazu gehörigen Herausforderungen sind auch im Kontext der Fokuswoche als immer wieder relevante Themen erneut deutlich geworden.
  • Studentische Stimmen und Angebote sind im Rahmen hochschulweiter Veranstaltungen besonders wichtig. Exemplarisch stehen hierfür die studentisch organisierte Zukunftswerkstatt für Partizipation und Didaktik in der digitalen Lehre sowie die szenische Lesung. Für künftige Formate, die ggf. für die Studieneingänge entwickelt werden, gilt es in der Planung und Konzipierung darauf zu fokussieren, dass eine hohe studentische Beteiligung ermöglicht werden kann.
  • Im Umgang miteinander sind Vertrauen und gegenseitige Wertschätzung insbesondere unter digitalen Bedingungen wichtig.
  • Für professionelles Handeln ebenso wie für gutes Lernen und Lehren braucht es gute Rahmenbedingungen, Strukturen, Ressourcen und Raum für kritische Reflexion.

Aus Perspektive der Vorbereitungsgruppe stellt sich abschließend auch die Frage: Welche Maßnahmen und Strukturen sind an der Hochschule wünschenswert, um die Realisierung künftiger Online-Großveranstaltungen – ein Format, das auch nach der Pandemie großes Potential bietet – zu verbessern? Dabei bilden die Erfahrungen der Fokuswoche unserer Ansicht nach eine gute Grundlage, die dafür notwendigen Arbeitsprozesse und Aufgabenbereiche in einem gemeinsamen Prozess weiter zu entwickeln.

Wir möchten diese kleine Rückschau nicht schließen, ohne noch einmal einen großen Dank an alle auszusprechen, die eine technische Realisierung der Fokuswoche ermöglicht haben – eine wichtige Grundlage, damit die Veranstaltung in dieser Form umgesetzt werden konnte.

 

Vorbereitungsgruppe zur Fokuswoche: Hanna Beneker (Gastdozentin), Silvia Ben Mahrez (Diskriminierungskritische Öffnung der Hochschule und Förderung von Bildungsbiografien), Dagmar Bergs-Winkels (Prorektorin für Studium und Lehre), Urte Böhm (Innovation und Qualitätsentwicklung in Studium und Lehre), Daniel Klenke (Digitale Mediendidaktik), Elène Misbach (Transfer, Kooperationen & Third Mission), Melissa Ostermann (Veranstaltungsmanagement), Bettina Völter (Rektorin)


[1] vgl. Böhm/Misbach/Oitner: alice Nr. 31/2016, S. 47-49 und alice Nr. 32/2016, S. 100-101;

Böhm, Urte/ Misbach, Elène/ Oitner, Silvia/ Völter, Bettina (2018): alice solidarisch an der Alice Salomon Hochschule Berlin: Von einer innovativen Praxis zu sozialen Innovationen?, in: Prasad, Nivedita (Hrsg.): Soziale Arbeit mit Geflüchteten. Rassimuskritisch, professionell, menschenrechtsorientiert. Verlag Barbara Budrich.