Die seit 2001 stattfindende Lange Nacht der Wissenschaften hat am 11. Juni 2016 gut 29.000 Besucher/-innen angelockt. Zu den mehr als 70 wissenschaftlichen Einrichtungen in Berlin und auf dem Potsdamer Telegrafenberg, die sich einem breiten interessierten Publikum präsentierten, gehörte auch die ASH Berlin. Mit ihrer Teilnahme wollte die Hochschule auf ihr Alice Salomon Archiv (ASA) aufmerksam machen. Die zentrale Lage des ASA in Schöneberg und die damit verbundene Nähe zu den teilnehmenden Institutionen im Zentrum der Stadt ermöglichte es, potenzielle Besucher/-innen mit einem attraktiven Angebot anzuziehen und für die Hochschule und ihr Archiv zur Geschichte der Sozialen Arbeit zu werben.
Mit dem Konzept „Weg! Geschichte(n) von Flucht und Zuflucht“ griff die vierköpfige Vorbereitungsgruppe (Dr. Petra Fuchs, Carina Huestegge, Karsten Hein und Juliane Springsguth) ein aktuelles relevantes Thema der ASH Berlin auf. Zugleich sind Flucht und die individuellen Erfahrungen geflohener Menschen eng mit der Geschichte der Hochschule und dem sozialen Ethos ihrer Gründerin, der Sozialreformerin und Frauenrechtlerin Alice Salomon (1872–1948), verknüpft. Ein Teil der Bestände des ASA gibt Auskunft zu diesem Thema.
Der Weg ins Asyl in fünf Schritten
Die Verbindung von historischem und aktuellem Fluchtgeschehen und dessen Auswirkungen auf das Leben geflüchteter Menschen standen im Zentrum der Veranstaltung, die das ASA auf dem Gelände und in zwei Häusern des Pestalozzi-Fröbel-Hauses zeigte. „Der Weg ins Asyl in fünf Schritten“ entlang eines mit rotem Tape auf dem Boden markierten Hauptweges und eines weiß gekennzeichneten Pfades ins „Ausweglose“ gab die Bewegungsrichtung für die Besucher/-innen vor.
Die nach links abzweigende weiße Bodenmarkierung endete in Station 1, die das spurlose Verschwinden heute geflohener Kinder und Jugendlicher ebenso thematisierte wie das massenhafte Sterben geflüchteter Menschen auf ihrem Weg ins europäische Exil. Folgten die Gäste dem rot markierten Weg weiter, erhielten sie nähere Informationen zum fünfschrittigen Asylerstantrag, die bei Bedarf auch mitgenommen werden konnten.
Begleitet von Familienmitgliedern sowie Freundinnen und Freunden erzählte die Journalistin Rana Kalash aus Syrien in Station 2 von ihrer persönlichen Fluchtgeschichte und der ihrer Familie. Ihr Vortrag wurde ins Deutsche übersetzt. Der auf dem Boden nachgebildete Grundriss des Zimmers in der Flüchtlingsunterkunft verdeutlichte ihre aktuelle Wohnsituation.
"Was würdest Du mitnehmen, wenn Du fliehen müsstest?"
Begleitet von historischen Fotografien aus dem Alice Salomon gewidmeten Album von Siddy Wronsky aus dem Jahre 1929 zeichneten die Schauspielerinnen Nadja Schulz-Behringhoff und Antje von der Ahe in Station 3 entlang des Asylweges Flucht und Exil von Hilde Lion (1893–1970) und Emmy Wolff (1890–1969) auditiv nach. Die Lebenspartnerinnen waren an der Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit tätig, einer 1925 von Alice Salomon gegründeten Forschungs- und Bildungseinrichtung von Frauen für Frauen. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft flohen Hilde Lion und Emmy Wolff 1934 „vor der Nazi-Unterdrückung", wie Lion es formulierte, nach England. Dort gründeten sie die interkonfessionelle Stoatley Rough School in Haslemere/Surrey, in der sie Kinder und Jugendliche aufnahmen, die ebenfalls zur Flucht aus Deutschland gezwungen waren.
Analog zu Station 3 präsentierte sich gegenüber die Ausstellung „ZuFlucht – Geflüchtete Kinder fotografieren ihren Alltag in der Flüchtlingsunterkunft“ (2015) von Karsten Hein und Jörg Möller, ASH Berlin, in Kooperation mit der Flüchtlingsunterkunft in der Hellersorfer Maxie-Wander-Straße.
Die interaktive Station 4 bot für Besucher/-innen die Möglichkeit, die Frage „Was würdest Du/würden Sie mitnehmen, wenn Du fliehen müsstest/Siefliehen müssten?“, selbst zu beantworten. Auf drei Pinnwänden waren jeweils mehrere fotografierte Gegenstände vorgegeben, aus denen jeweils nur einer ausgewählt werden konnte.
Station 5 ging der Frage nach Stand, Inhalten und offenen Fragen wissenschaftlicher Forschung zu Flucht und Migration nach. Der Vortrag „Flucht und Migration“ von Prof. Dr. Barbara Schäuble führte zu einer angeregten und nachdenklichen Diskussion unter den Zuhörerinnen und Zuhörern.
74 Besucher/-innen nahmen das Angebot des Archivs war
Ergänzt wurde das Programm durch das Projekt „Fluchtgepäck“, das der Design-Student Yannik Rohloff kurzfristig zur Verfügung gestellt hatte sowie eine stündlich von Prof. Dr. Sabine Toppe angebotene Führung durch das ASA. Zudem vertieften zwei in Dauerschleife gezeigte Dokumentarfilme weitere Aspekte historischer und aktueller Fluchtgeschichte: „Alice Salomon im Exil“ von Ingrid Kollak und Mailika Chalabi (2015) und „Cubans at the Edge of the Berlin Wall“ von dem kubanischen Filmemacher Ricardo Bacallao (2015).
74 Besucher/-innen nahmen das Angebot des Alice Salomon Archivs der ASH Berlin im Rahmen der Langen Nacht der Wissenschaften wahr, darunter Studierende, heutige und ehemalige Dozentinnen und Dozenten der Hochschule, Vertreter/-innen des Rektorats, der Kanzler, Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des ASA, die Gründerin des Archivs, Dr. Adriane Feustel, Freundinnen und Freunde des ASA und interessierte Einzelpersonen. Die Rückmeldungen seitens der Teilnehmer/-innen waren ausnehmend positiv, so dass eine Teilnahme an der Langen Nacht der Wissenschaften 2017 in Aussicht genommen wird.
Ein weiterer Erfolg bestand in der engen Zusammenarbeit des Archivs mit der Hochschulleitung und interessierten, fachlich und thematisch kompetenten Hochschulmitgliedern. Über die Kooperation konnte die konkret wie metaphorisch bestehende räumliche Trennung von ASH Berlin und ihrer Einrichtung Archiv zeitweise überwunden werden. Die dauerhafte Auflösung dieser Getrenntheit wäre eines der zentralen Vorhaben für die Zukunft – für das Weiterbestehen und den möglichen Ausbau des Alice Salomon Archivs der ASH Berlin.