Aufmacher, Hochschulleben Von den Dächern gesprochen

Maxi Obexers Gedicht ziert die Fassade der ASH Berlin. Hier ihre sehr persönliche Dankesrede im Wortlaut...

Das Foto zeigt Maxi Obexer vor der Südfassade der ASH Berlin, auf der Obexers Gedicht "von den dächern" zu lesen ist.
Poetikpreisträgerin Maxi Obexer vor der Südfassade der ASH Berlin, auf der seit Juli 2025 Obexers Gedicht "von den dächern" zu lesen ist. ASH Berlin

Mit leuchtend pinken Buchstaben prägt seit Juli 2025 ein neues Gedicht die Südfassade der Alice Salomon Hochschule Berlin. Die literarische Gestaltung stammt von Maxi Obexer, Trägerin des Alice Salomon Poetik Preises 2023. Ihr eigens für die Hochschule verfasstes Gedicht „von den dächern“ greift zentrale Fragen nach Zugehörigkeit, Verletzlichkeit und gemeinschaftlichem Handeln auf – Themen, die nicht nur die Poetik der Autorin durchziehen, sondern auch mit dem Selbstverständnis der Hochschule resonieren.

Das Gedicht „von den dächern“ von Maxi Obexer...
   sie alle hier, wir
   können es sein, bedroht
   betroffen, berufen, sogleich
   zu anderen werden
   allein, wie sich finden
   und nicht vergessen
   dass wir liebende sind

   wo ist das außen, wenn wir es suchen
   wer ist das außen, wenn wir es lieben

Die Einweihung der Fassade fand am 17. Juli 2025 in Anwesenheit der Künstlerin statt. Mit Obexers Werk löst ein neuer poetischer Text die bisherige Gestaltung von Barbara Köhler ab – im Rahmen eines fortlaufenden Projekts, das den Preisträger_innen des Poetik Preises Sichtbarkeit im öffentlichen Raum verleiht. Obexers Beitrag markiert dabei nicht nur eine künstlerische, sondern auch eine gesellschaftspolitische Positionierung: ein Wir, das ohne Ausschluss, Abgrenzung oder Hierarchie auskommt.

Hier ihre Dankesrede, die Obexer am Tage der Einweihung an die Gäste richtete:

Liebe Mitarbeiterinnen, liebe Professorinnen und Dozentinnen,
liebe Studierende de Alice Salomon Hochschule,

liebe Präsidentin, Frau Bettina Völter!

ich möchte diesmal meine ersten Worte an Sie richten: als vor kurzem meiner Nachfolgerin Yevgenia Belorusets der Poetik-Preis verliehen wurde und es im Anschluss an die Feier ins Sommerfest überging, da kamen gleich hintereinander ein paar Herausforderungen auf Sie und die Professorinnen und Professoren dieser Hochschule zu. Es gab die Solidaritätskundgebung für Gaza, und es kam unmittelbar danach ein Sturm auf, der buchstäblich drohte, die Würste durch die Gegend zu zwirbeln.

Ich sah Sie, Frau Völter, wie Sie zu den Studierenden gingen und mit ihnen sprachen; ich war in diesem Augenblick nicht dabei, aber ich war mir sicher, dass Sie einen guten - einen angemessenen Ton gefunden haben, der ihren Protest respektiert und würdigt. Ich sah Sie kurze Zeit später den Innenhof sichern: mit vollen Händen und Armen trugen Sie Gläser, Teller, Essen und allerlei Gegenstände nach drinnen. Sie kümmerten sich, wo es ging: um alles, waren im besten Sinne des Wortes: "hemdsärmelig". Mich hat dieser Moment sehr gerührt.
Nicht nur Sie sahen sich sofort verantwortlich: ich sah die Professorinnen, mit denen ich am Tisch sah, wie sie die Situation genau beobachteten und wie sie von ihren Plätzen fast unmerklich aufstanden und sich ebenfalls kümmerten. Sie wirkten alle wie die Profis auf mich. Auch die Studierenden.

Seit ich vor rund zweieinhalb Jahren in die ASH kennenlernte und im Laufe der Zeit manche Mitarbeiter_innen, Dozierenden, die Inhalte, und das intellektuelle Leben an dieser Hochschule mit ihren Studierenden erleben durfte, in literarischen Werkstätten oder als Beurteilende meiner bzw. der Texte von Christoph Szalay - bin ich von ihrem wachen Geist und der lebendigen Atmosphäre hier sehr angetan.

Ich habe Sie, Frau Völter, nach der Pandemie erfahren, eine Zeit, die Sie fast alle in die Knie gezwungen hat. Danach der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, dann der Angriff der Hamas auf die israelische Bevölkerung, seither der nicht enden wollende Gegenangriff der israelischen Regierung auf Gaza und auf die palästinensische Bevölkerung. Kriege und Gewalt, wie wir sie nicht für möglich gehalten hätten. Die Wiederwahl von Trump und seine Angriffe gegen jede Kultur, die Lehre, die Forschung, das gemeinsame Weltwissen. Und ich frage mich immer öfter, ob es nicht jeder Krieg auf die Kultur abgesehen hat und auf die Verfeinerung des Denkens, des Handelns, auf die Verfeinerung des sozialen und gesellschaftlichen Verhaltens. 
Das Ringen darum kommt hier vor - muss hier vorkommen. Die gesellschaftlichen, sozialen, politischen und die künstlerischen Diskurse, wie Sie hier geführt werden, suchen ihresgleichen. In diesem Zusammentreffen kommt das Wichtigste zusammen, das eine Gesellschaft mündig, verantwortungsvoll, aktiv sein lässt.

Ich erlebe diese Hochschule als eine sehr lebendige Insel mit einer ausgesprochenen Vielfalt, und ich bin froh, ich bin stolz darauf, hier mit einem Text, der ja etwas davon etwas ausstrahlen soll, hängen zu dürfen.

Begonnen hat ja alles, als Ihr Anruf kam, Frau Völter, ich hatte mich gerade ausgehängt, als ich beim Bergsteigen die Wand verlassen und mich auf eine Blumenwiese gelegt hatte.

Herzlichen Dank
Maxi Obexer