Hochschulleben Reisetagebuch: Erinnern in Griechenland

Studierende des Seminars "Erinnerungsarbeit und transgenerationales Erbe" berichten in einem Reisetagebuch über ihre Reise nach Griechenland...

Das Foto zeigt das beeindruckende Zalongo Mahnmal.
Das beeindruckende Zalongo Mahnmal.

Die Studierenden (Soziale Arbeit) Philipp und Golnar des Projektmoduls "Erinnerungsarbeit und transgenerationales Erbe am Beispiel der Deutsch-Griechischen Geschichte" berichten in einem Reisetagebuch über ihre Seminarfahrt nach Griechenland.

Tag 1: Ankunft in Ioannina

Unsere Studienreise begann mit der Ankunft in Ioannina, wo wir im Rahmen des Uniseminars „Politische Bildung: Erinnerungsarbeit und transgenerationales Erbe am Beispiel deutsch-griechischer Geschichte“, geleitet von Prof. Dr. Jutta Hartmann und Amar Bašić, die nächsten Tage verbringen sollten. Gemeinsam mit 15 Studentieremdem und den beiden Dozierenden der Alice Salomon Hochschule Berlin reisten wir im Rahmen eines ERASMUS Kooperationsvertrags mit der Uni Ioannina nach Griechenland, um uns vor Ort mit deutscher Besatzungsgeschichte, jüdischem Leben und Erinnerungsarbeit auseinanderzusetzen. Mit einem Gefühl von Aufregung und Vorfreude erreichten wir Studierenden am Abend Ioannina an und ließen die wunderschöne Stadt auf uns wirken.

Tag 2: Kunst als Mittlerin

Am Vormittag besuchten wir die Universität Ioannina, wo wir zwei eindrucksvolle Vorträge hörten: Einer widmete sich der deutschen Besatzung Griechenlands (1941–1944) und ihrer Aufarbeitung von Prof. Dr. Athanasios Gotovos, der andere der Geschichte und dem jüdischen Leben in Ioannina von Andreas Gotovos.
Dank des tiefgehenden Fachwissens der beiden Vortragenden konnten wir einen umfassenden Einblick in unser Seminarthema gewinnen und gezielt Fragen an die beiden Experten richten.

Am Nachmittag nahmen wir an einer historischen Stadtführung teil, die von der Künstlerin Adi Liraz und dem Verleger Panos Vardaloukas geleitet wurde. Adi Liraz, selbst Nachfahrin der jüdischen Gemeinde, begleitete uns durch bedeutende Orte der Stadt, darunter die Synagoge und das jüdische Viertel. Besonders eindrucksvoll war ihr persönlicher Beitrag zur Erinnerungskultur: Durch ihre künstlerische Arbeit schafft sie es, biografisches Erinnern emotional und interaktiv erlebbar zu machen – ein Zugang, der uns sehr berührte.

Tag 3: Kollektives Erinnern

Der Vormittag stand im Zeichen des Austauschs mit griechischen Studierenden der Universität Ioannina. Wir stellten unsere Seminare gegenseitig vor und kamen ins Gespräch über kollektives Erinnern, nationale Narrative und gemeinsame Verantwortung. So bauten wir ein gegenseitiges Verständnis auf bekamen Einblicke wie das Studium in Griechenland funktioniert. 
Wir Studierenden aus Deutschland fanden das Gelände der Universität Ioannina sehr spannend. Die überwiegend im brutalistischen Stil errichteten Gebäude waren über und über mit Graffiti und antifaschistischen Slogans bedeckt.

Am Nachmittag machten wir uns auf den Weg zum Märtyrerdorf Paramythia. Dort fanden im September 1943 innerhalb von zehn Tagen zwei aufeinanderfolgende Hinrichtungen von Zivilist_innen durch die deutsche Wehrmacht statt – mit aktiver Beteiligung lokaler Kollaborateur_innen. Vor Ort trafen wir den Bürgermeister, die Bürgermeisterin für Kultur und Bildung der Stadt sowie den Präsidenten des Gemeinderats. Wir besuchten das Denkmal für die 49 Opfer und legten dort gemeinsam einen Kranz nieder – ein Moment stiller Anteilnahme und tiefer Reflexion.

Anschließend fuhren wir mit einem Bus zum Zalongo Mahnmal, welches an die sechzig Frauen und Kinder erinnert, die einer Legende nach lieber den Freitod wählten als unter osmanischer Besatzung leben zu müssen. In unserem Seminar hatten wir bereits verschiedene Erinnerungsformate kennengelernt, dennoch hat uns das Zalongo Mahnmal stark beeindruckt. Es thront hoch oben auf einem Hügel, von dem aus man einen weiten Blick über die Landschaft hat. Auch die monumentale Größe des Mahnmals war imposant und hinterließ einen bleibenden Eindruck.

Am frühen Abend erreichten wir das Dorf Kommeno. Der herzliche Empfang durch die Dorfbewohner_innen war bewegend und zeigte, wie offen und gastfreundlich die Community ist.

Tag 4: Erinnerungsarbeit in Kommeno

Der vierte Tag war ganz den Erinnerungsformaten in Kommeno gewidmet. Wir besuchten das Mahnmal am Dorfplatz, die Gedenkinstallation am Ortseingang von Amar Bašić sowie das Bildungszentrum der „Friends of Kommeno“. Besonders berührend war der Audiowalk „Voices of Kommeno“ von Lefteris Krysalis und Amar Bašić, der Nachfahren der Opfer in den Raum stellte und die Geschichte des Ortes auf eindrucksvolle Weise lebendig werden ließ.

Viele von uns äußerten, dass erst durch das direkte Erleben im Dorf ein tieferes Verständnis für das Thema Erinnerungsarbeit in Kommeno entstanden sei. Im Anschluss sprachen wir mit Dimitra Vlachou, Giorgos Fakos und Panagiotis Giotis, drei Mitgliedern des Kulturvereins, die ihre persönlichen Bezüge zur Geschichte des Massakers und zu ihrer Arbeit im Dorf schilderten. 
Besonders herzlich war die Begegnung mit Dimitra Vlachou, die uns mit selbstgebackenem Kuchen überraschte. 

Am Abend zeigte uns der Dorfvorsteher Ilias Lampris einen selbst zusammengestellten Film mit historischen Aufnahmen und Zeitzeug_innenberichten – ein bewegender Abschluss dieses intensiven Tages. Durch regelmäßige Reflexionsrunden im Gästehaus, in dem wir während unseres Aufenthalts schliefen, konnten wir unsere Eindrücke gut verarbeiten und teilen. Das Gästehaus diente nicht nur als Ort der Reflexion, sondern auch der Begegnung. 

Tag 5: Reflexion am Meer

Am letzten Tag machten wir einen Ausflug nach Kopraina am Ambrakischen Golf, um die Reise ausklingen zu lassen. Der entspannte Tag am Meer bot die Gelegenheit, das Erlebte Revue passieren zu lassen und in gemeinsamen Gesprächen zu verarbeiten. Die Ruhe und Natur trugen dazu bei, die intensiven Eindrücke der vergangenen Tage zu ordnen.

Unsere Seminarfahrt nach Ioannina und Kommeno war eine bildende, emotionale und aufwühlende Erfahrung. Die Begegnungen mit Zeitzeug_innen, Nachfahr_innen und engagierten Menschen vor Ort, kombiniert mit der Offenheit und Wärme der griechischen Gastgeber_innen, haben uns einen tiefen, persönlichen Zugang zur Geschichte und Gegenwart Griechenlands ermöglicht. Die vielfältige Reise hat uns nicht nur inhaltlich bereichert, sondern dank der persönlichen Begegnungen auch emotional bewegt. Sie wird sicher lange nachwirken.