Ausgezeichnet! Laudatio für Tiburtius-Preisträger Lars Feikert

Der erste Platz des Tiburtius-Preises 2016 für die beste Abschlussarbeit an Berliner Hochschulen geht an den Absolventen der ASH Berlin Lars Feikert

Foto von Lars Feikert
Tiburtius-Preisträger Lars Feikert

 Laudatio zur Master Thesis von Lars Feikert

Ich freue mich sehr, die Laudation für Lars Feikert zu halten, der mit dem 1. Tiburtiuspreis ausgezeichnet wird für seine Masterarbeit mit dem Titel:

„...was mir geholfen hat am Leben zu bleiben.“

 Eine empirische Analyse von psychosozialen online-Beratungsstellen für Jugendliche und junge Erwachsene.

Diese Arbeit wurde an der Alice-Salomon-Hochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik Berlin eingereicht. Sie wurde von Prof. Dr. Marion Mayer und Prof. Dr. Michael Brodowski betreut.
Die vielseitigen Ausbildungen und Kompetenzen von Herrn Feikert kurz darzulegen fällt mir sehr schwer: wo fange ich an, wo höre ich auf, und.... was kommt als nächstes?!

Ausbildung zum Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger, Studium Gesundheits- und Sozialwesen

Nachdem Zivildienst in der Kinder- und Jugendpsychiatrie bildete Herr Feikert sich zwischen 2004 und 2007 zum Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger am Universitätsklinikum in Greifswald aus. Zwei Jahre arbeitete er als Krankenpfleger in der Anästhesie und Intensivmedizin am Universitätsklinikum. Der Berufspraxis folgte ein Bachelorstudium „Gesundheits- und Sozialwesen“ an der Fachhochschule Nordhausen, das er 2012 als Jahrgangsbester mit der Abschlussnote sehr gut mit Auszeichnung beendete. Während seines Studiums war er studentische Hilfskraft bei Prof. Dr. Armin Sohns an der FH Nordhausen und Tutor im Themengebiet: „Chronische Erkrankungen und Behinderungen“ sowie Praktikant in der Bewährungshilfe am Thüringer Oberlandesgericht, Soziale Dienste in der Justiz.

Gerichts- und Bewährungshelfer und Masterstudium Praxisforschung in der Sozialen Arbeit und Pädagogik

Aus Thüringen kehrte er 2012 zurück nach Mecklenburg Vorpommern, als Gerichts- und Bewährungshelfer beim Landesamt für ambulante Straffälligenarbeit. Im gleichen Jahr wurde er Vater.
Im September 2015 schloss Herr Feikert das Masterstudium „Praxisforschung in der Sozialen Arbeit und Pädagogik“ an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin „sehr gut mit Auszeichnung“ ab.
Zwischenzeitlich hat er sich 2014 qualifiziert zum „Qualitätsmanagement-Beauftragten (EQML+) nach DIN ISO 9001.
Und in diesem Jahr ist Lars Feikert zum zweiten Mal Vater geworden.
Seit 2014 liegen drei Veröffentlichungen von Herrn Feikert vor. Es freut mich sehr, dass insbesondere die methodologischen Erkenntnisse aus der Masterarbeit bereits im Logos Verlag in einem Herausgeberband von Stapf-Finé und Brodowski 2016 erschienen sind. Auch im e-beratungsjournal.net, der Fachzeitschrift für Onlineberatung ist ein Artikel von Herrn Feikert im Frühsommer dieses Jahres erschienen. 

Menschen in Krisensituation

Die im biografischen Verlauf früh gesetzte Beschäftigung mit Kindern und Jugendlichen in der Psychiatrie während des Zivildiensts kennzeichnet den weiteren beruflichen Werdegang von Lars Feikert aus. Stets begleitet ihn das Interesse an Menschen in Krisensituationen, ob kurz vor einer medizinischen Operation in der Anästhesie und Intensivmedizin, in der Begleitung Haftentlassener während ihrer Bewährungszeit, und schließlich die online Beratung von Kindern und jungen Menschen in (suizidalen) Krisen.
Wenig ist das Praxisfeld der psychosozialen online-Beratung bislang untersucht worden. Und noch seltener ist die Perspektive auf das konkrete Nutzungsverhalten und die konkreten Nutzungserfahrungen von Jugendlichen gerichtet worden. Nicht nur der Autor selbst auch Prof. Dr. Mayer ordnen die Arbeit, die als nutzer_innenorientierte Wirkungsanalyse konzipiert ist, als Beitrag zur Qualitätsdiskussion in der online-beratenden Praxis ein.
Für mich als Sozialwissenschaftlerin mit dem Themenschwerpunkt Kinderrechte und kindliche Beteiligung war das Lesen dieser Forschungsarbeit in jeder Hinsicht sehr erhellend.

Jugendliche surfen nach Unterstützung

Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass Jugendliche nur in absoluten Ausnahmefällen NICHT im Internet oder online sind. Doch anders als von Eltern und anderen Erwachsenen häufig vermutet, geht es hierbei nicht nur um Spaß und „Kontakte“ mit möglichst vielen auf ihrer Kontaktliste. Sie surfen auch ziellos nach Unterstützung.
Jugendliche und junge Erwachsene nutzen die Anonymität des Internets und gleichermaßen nach geschützten Räumen, in denen sie unerkannt über ihre Sorgen und Nöte kommunizieren können.
Hier setzt die Forschungsarbeit von Herrn Feikert an: angelehnt an die Methoden der online-Beratung führt er sequenzierte email-Interviews mit ratsuchenden Jugendlichen, die sich an eine online beratende Einrichtung gewandt haben. Ähnlich einem chat finden hier zeitlich begrenzte leitfadengestützte Interviews in mehreren Dialogrunden statt. Jedes Interview wird durch einen online-fragebogen mit zusätzlichen sozio-demografischen Informationen ergänzt.
Es gelingt Herrn Feikert ausgezeichnet Interesse für seine Fragestellung und seine methodologische Vorgehensweise auch bei non-digigital natives und Fachfremden zu wecken.

Komplexe und innovative Form der Bearbeitung der Fragestellung

Die Originalität dieser Arbeit liegt meines Erachtens in einer ebenso komplexen wie auch innovativen Form der Bearbeitung der Fragestellung. Neben anregenden Vorüberlegungen zu Realität und Virtualität im Internet, einer theoriebasierten Auseinandersetzung mit online-Kommunikation, den online Lebenswelten von Jugendlichen, und psychosozialen online-Beratungsmethoden sowie Modellen, stellt Herr Feikert das online-Beratungsangebot der Erziehungsberatungsstelle (BKE) und das U25 Beratungsangebot der Caritas vor. Die Datenanalyse erfolgt getrennt nach Beratungsangebot. Es werden zentrale thematische Inhalte, Erwartungen und Zugangswege zur Beratung herausgearbeitet, sowie der Nutzen von online-Beratungen für Jugendliche auch im Zusammenhang mit anderen Beratungsangeboten herausgestellt.

Pseudonymität

Die zentralen Erkenntnisse werden zusammenfassend diskutiert, sowie auch die Grenzen bestehender Beratungsangebote für Jugendliche erkannt und ausgewiesen. Insbesondere der Hinweis auf Merkmale von online-Beratungen wie Pseudonymität, die Möglichkeit anonym über ihre Lebenssituation schreiben zu können, die Autonomie der Entscheidungsfreiheit:  allein entscheiden zu können was sie aufschreiben, und die Entscheidungshoheit behalten zu können über das weitere Vorgehen, wird von Jugendlichen derart erlebt, dass die Beratenden keine Macht über sie ausüben können.
Und: sie müssen nicht sprechen. Das Geschriebene kann später abgeschickt oder noch mal überflogen werden. Durch die Möglichkeit das Geschriebene erneut zu lesen, gibt es ihnen Sicherheit und sie entwickeln einen neuen Blick auf die geschildeten Erlebnisse und Gefühle und Erfahrungen.
Schließlich ist Jugendlichen als digital natives die online-Kommunikation derart vertraut, dass sie an ihre Alltagskommunikation in der online-beratung anknüpfen, zu jeder Tages- und Nachtzeit, von überall.

Online-Beratung ist ein niedrigstelliges Angebot

Abschließend war für mich eine zusätzliche Erkenntnis die Gleichzeitigkeit verschiedener Kommunikationsformen und die Gleichzeitigkeit der Orte, die Jugendliche aufsuchen: so können per online-Beratung nicht nur eine Beratungsstelle sondern mehre in Anspruch genommen werden. Auch schließt die online-Beratung die Nutzen und die Vorteile einer Beratung von Angesicht zu Angesicht nicht aus. Sie bietet einen anderen Zugang und wird als  niedrigschwelliges Angebot wahrgenommen. Online-Beratung ist vielmehr als gleichwertige Ergänzung zum vorhandenen Angebot zu verstehen.

Jugendberatungseinrichtungen sollten die Arbeit lesen

Gerne möchte ich mich meinen Kolleg_innen von der ASH, Prof. Dr. Mayer und Prof. Dr. Brodowski als Gutachter_innen in ihrer Feststellung anschließen, , dass diese Arbeit eine ist, „die sich alle Jugendberatungseinrichtungen anschauen sollten“ (S. 4 Gutachten). In Anbetracht der allgegenwärtigen Zeitknappheit und der 111 Seiten die zu lesen wären, lohnt auf alle Fälle ein Blick in die „Zusammenfassung“ der Masterarbeit. (Kapitel 8)
Im Ausblick weist Herr Feikert Handlungsbedarf in der Vermittlung von Online-Beratungsgeboten für Jugendliche aus. Konkret benennt er auch weiteren Forschungsbedarf in der Nutzung, im Zugang und in Bezug auf einzelne Wirkfaktoren von Online-Beratung für Jugendliche.
Es ist zu hoffen und Herrn Feikert zu wünschen, dass er diesen forschungsthematischen Weg weiter verfolgt, da ich davon ausgehe, dass er mit der Exzellenz, die er hier in dieser Masterarbeit in jeder Hinsicht und in jedem Schritt der Bearbeitung gezeigt hat, weitermacht!

Meine höchste Achtung und herzlichen Glückwunsch an Herrn Feikert.

Ganz persönlich möchte ich noch sagen, dass mich Ihr Lebenslauf fasziniert hat und ich bedaure im Vorfeld dieser Laudatio Sie nicht persönlich kennen gelernt zu haben,  dass würde ich jetzt gerne nachholen!

Prof Dr. Anne Wihstutz, Evangelische Hochschule Berlin
Berlin, 22. November 2016