Hochschulleben „Krieg nimmt der Sprache ihre Kraft und zerstört die Kunst“

Interview mit ASH-Poetik-Preisträgerin Yevgenia Belorusets, die uns Einblick in ihr Werk gewährt und über die Möglichkeiten von Kunst nachdenkt.

Das Foto ist aus Yevgenia Belorusets Serie "A Room of my own". Es zeigt zwei junge Männer in deren Wohnung.
Foto aus Yevgenia Belorusets Serie "A Room of my own". Yevgenia Belorusets

Am Donnerstag, den 25. Juni 2025 wird Yevgenia Belorusets mit dem Alice Salomon Poetik Preis ausgezeichnet. Im Rahmen der Preisverleihung dürfen sich die Hochschule und ihre Gäste auf eine Lesung mit der ukrainischen Künstlerin freuen und diese anschließend beim Sommerfest der ASH Berlin feiern. Vorab hat uns die kluge Frau Belorusets einige Fragen beantwortet. Im Interview erklärt sie, wie ihre Geschichten entstehen, dämpft die Erwartungen an Kunst im Krieg und vergleicht ihre Werke mit Tieren im Wald. Ein Gespräch, das Lust darauf macht, sich im Kosmos der international gefeierten Ukrainerin zu bewegen und mit ihr einen besonderen Tag zu verbringen.

Frau Belorusets, Ihre Werke bewegen sich zwischen Literatur, Fotografie und politischem Aktivismus – wie beschreiben Sie selbst Ihre künstlerische Praxis?
Yevgenia Belorusets: Meine Werke haben sich eher zwischen verschiedenen Formen und Praktiken verloren. Dieser Tage blicken sie mit einer gewissen Skepsis auf den politischen Aktivismus. Wenn wir uns die Werke als Tiere in Käfigen – oder eher noch: im Wald – vorstellen, werden wir sehen, wie sie vor der Idee des politischen Aktivismus weglaufen oder versuchen sich zu entfernen. Denn der bedeutet heute oft eher eine Deklaration der Loyalität als die Suche nach neuen Lösungen oder den Schutz der Menschenrechte.
Meine Praxis würde ich als eine Form des Nachdenkens beschreiben. Ich möchte innehalten, bei einer Erscheinung verweilen und mich nicht beeilen, eine Antwort darauf zu geben, was es ist. Vielmehr will ich es überhaupt erst einmal anschauen. Die Fotografie, besonders eine, die nicht viel zeigt, bringt die Idee der Betrachtung zum Ausdruck. Und der Text – die des Innehaltens.

In Ihren Arbeiten berichten Sie aus dem Alltag in der Ukraine – wie verändert der Krieg Ihren Blick auf Kunst und Sprache?
Der Krieg nimmt der Sprache ihre Kraft und zerstört die Kunst. Das ist alles, wozu er in diesen Bereichen fähig ist. Krieg bedeutet die Legitimierung von Zerstörung und Tötung – selbst für ein Land, das sich verteidigt – eine Legitimierung der Unmenschlichkeit.
Das Schwierigste ist, während des Krieges weiterzuleben und zu wissen, dass der Krieg ebenfalls weitergeht. Jede und jeder steht gerade vor dieser Herausforderung. 

Was kann Kunst ausrichten?
Ich würde die Kunst nicht als etwas Besonderes betrachten – und auch nichts Besonderes von ihr erwarten. Wie viele andere Ausdrucksformen erzählt sie etwas über Zeit und Raum, über Erfahrung. Eine langweilige Antwort, vielleicht. Aber ich erwarte nichts von der Kunst – obwohl ich ihr mit meiner Arbeit dienen möchte.

“Poesie provoziert, sich auf eine Wanderung zu begeben.” 


Wie entstehen Ihre Geschichten? 
Geschichten entstehen aus Erfahrung, aus dem Anhören der Stimmen der anderen, aus dem Beobachten. Sie entstehen auch aus dem Staunen darüber, was Menschen tun oder sagen, wie Tiere und Pflanzen sich ausdrucken oder eher, was wir darüber denken. Die Linien von Landschaften können auch überraschen oder etwas erzählen. Dabei entsteht in einer Geschichte eine Art Unruhe, eine „Linie“ oder eine Ordnung wird unterbrochen. Jedoch – wie kommt es zu der Idee einer Ordnung, die wiederum unterbrochen werden soll?     

Was ist für Sie „Poesie“?
Poesie – ist was echt wundersames. Ich kann sie nie verstehen und noch weniger entschlüsseln. Aber wenn ich ihr begegne – selbst in Zeilen oder kleinen Fragmenten – habe ich das Gefühl, dass die Verbindung von Worten, ihre Klangfarbe, ihre Zusammensetzung bei jedem Lesen neue Bedeutungen hervorbringen können. Außerdem provoziert sie, sich auf eine Wanderung zu begeben. 

Wie verändert sich das Erzählen im Krieg? Welche Verantwortung trägt die Kunst in Zeiten von Gewalt, Zerstörung und Desinformation?
Verantwortung? Die Kunst wird dazu aufgefordert, möglichst schnell und mit einer gewissen Grazie auf die Barrikaden zu steigen – und im Namen der „Verantwortung“ an dieser Zerstörung teilzunehmen, nur eben auf der „richtigen“ Seite des Konflikts.
Vielleicht besteht die Verantwortung teilweise darin, höflich „nein“ zu dieser Einladung zu sagen. Aber vielleicht irre ich mich auch. Das kann jede für sich entscheiden. 

Welche Reaktionen erfahren Sie und Ihre Kunst? 
Dass meine Arbeit manchmal diese Aufmerksamkeit findet, ist schon ein Geschenk für mich. Ich könnte auch sagen, einige meiner Arbeiten sind ziemlich oft in einem Dialog mit den Lesern, Zuschauern, mit den Gedanken der anderen. Sehr oft, meistens, rede ich über die Ukraine in meinen Arbeiten, weil es um die Gemeinschaften und Gesellschaften geht, die ich, wie ich denke, am besten verstehe. Aber ich bin der letzte Mensch, der über die Unterschiede der Rezeption etwas vernünftiges sagen kann.  

Worauf dürfen sich Besucher_innen der Poetik-Preis-Verleihung freuen?
Lassen Sie uns das Ereignis als Anlass zur Begegnung nehmen – einfach, um gemeinsam Zeit zu verbringen und eine Lesung anzuhören, wie auch die Musik von einem bedeutenden ukrainischen visuellen Künstler, dem Sänger und Musiker Anatoly Belov, der für uns auflegen wird.
Wie ich mich erinnere, fällt die Preisverleihung mit einem Fest zusammen. Wir können all das nutzen, um einen Sommerabend in vollen Zügen zu genießen.

Die Fragen stellte Denis Demmerle.

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Mehr über Yevgenia Belorusets und ihre Arbeiten finden sich auf ihrer Homepage www.belorusets.com!

Yevgenia Belorusets Foto-Serie "A Room of my own" sind bis 26. Januar 2026 im Rahmen der Ausstellung "A Heart That Beats - Queere ukrainische Kunst im Fokus" im Schwulem Museum Berlin ausgestellt.