Am 5. November 2025 kam die Hochschulgemeinschaft im Audimax der ASH Berlin zum jährlichen Hochschultag unter der Überschrift „Hochschule in gesellschaftlicher und akademischer Verantwortung“ zusammen. Die Präsidentin Bettina Völter und die Vizepräsidentin Gesine Bär eröffneten die Veranstaltung, die vom Sage SAGE! - Projekt organisiert wurde.
Der Vormittag startete mit zwei Impulsvorträgen, die internationale Perspektiven eröffneten und die Bedeutung von Hochschulen innerhalb globaler gesellschaftlicher Transformationsprozesse in den Fokus rückten.
Zafer Yilmaz eröffnete mit seinem Beitrag „Defending Freedom of Speech and the Future of University: The Lessons from the Turkish Case“. Darin zeigte er auf, wie Hochschulen in der Türkei gezielt unter politischen Druck geraten sind. Nach dem gescheiterten Putschversuch 2016 wurden über 4800 Akademiker_innen durch Notstandsdekrete entlassen, viele weitere wegen kritischer Äußerungen oder Unterzeichnungen einer Friedenspetition verfolgt. Der Fall zeigt, dass akademische Freiheit neu gedacht werden muss – nicht nur als institutionelle Autonomie, sondern als Schutzraum für kritisches Denken und Meinungsfreiheit. Zafer Yilmaz betonte, dass Universitäten keine abgeschotteten Elfenbeintürme sein dürfen, sondern Teil gesellschaftlicher Auseinandersetzungen bleiben müssen. Er rief zu internationaler Solidarität auf, um der globalen Aushöhlung akademischer Freiheit gemeinsam entgegenzutreten.
Jasna Russo knüpfte mit ihrem Vortrag „Hochschule und gesellschaftliche Transformationsprozesse am Beispiel Serbien“ an und rückte dabei die Studierendenproteste der Jahre 2024/25 in den Fokus. Die Proteste gegen Korruption und staatliche Gewalt begannen mit der Besetzung der Fakultät für darstellende Künste in Belgrad am 25. November 2024 und verbreiteten sich schnell im ganzen Land. Bis Ende 2024 hatten die Studierenden an fast allen staatlichen Universitäten einen faktischen Stillstand erreicht. Die Proteste zeichneten sich dadurch aus, dass sie dezentral organisiert waren, ohne Führungsfiguren auskamen, und die Studierenden eine gezielte Medienstrategie verfolgten. Es ist ihnen gelungen, eine beispiellos breite und hartnäckige Bürgerbewegung in Gang zu setzen, die in verschiedenen Formen nach einem Jahr immer noch andauert. Die Regierung wurde zwar noch nicht abgesetzt, doch die serbische Gesellschaft erlebt eine tiefgehende Transformation.
Interaktiv wurde es im weiteren Verlauf des Hochschultags in den anschließenden Arbeitsgruppen, die sich mit konkreten Herausforderungen der Hochschule auseinandersetzten:
- Studentische Verantwortung und studentisches Engagement an der Hochschule und darüber hinaus: Elène Misbach und Susa Boden (StuPa Vorsitz) diskutierten das Engagement in studentischen und akademischen Gremien, das sich häufig in informellen Sphären zwischen Aktivismus, Kooperation mit Akteur_innen der Zivilgesellschaft und der Professionalisierung des eigenen Handelns bewegt. Ziel war es, das (Selbst)Empowerment von politisch aktiven Studierenden zu fördern und Ideen zur strukturellen Verankerung studentischer Partizipation zu entwickeln.
- Kürzungen trotz Unkürzbarkeit – Wie können wir verantwortlich und gemeinsam weiter gehen?: Elke Kraus, Ulrike Eichinger und Katja Boguth widmeten sich der Frage, welche (Handlungs-)Autonomie die Hochschule angesichts der Finanzkürzungen noch besitzt. Der Workshop betonte die Notwendigkeit von Transparenz und hatte zahlreiche Inputs, um die verschiedenen Perspektiven aus Fachbereichen, Verwaltung, Wissenschaft, Personalrat in den Austausch zu bringen. Ziel war es „falsche“ Annahmen und Schlussfolgerungen zu vermeiden und konstruktive Ideen für eine zukunftsfähige und resiliente SAGE-Hochschule zu entwickeln.
- Selbstfürsorge – Verantwortung – Praktikum: In den SAGE – Arbeitsfeldern sollen Studierende praktische Erfahrungen mit den theoretischen Impulsen aus Lehrveranstaltungen verbinden, um ein reflektiertes und professionelles Handeln in der Praxis zu erlernen. Dazu gehört auch eine bewusste Selbstfürsorge in herausfordernde Situation wie dem Umgang mit Gefährdungen Schutzbefohlener. Der interaktive Workshop, moderiert von Claudia Hruška, Marleen Sorensen und Jennifer Lambrecht, widmete sich der Frage, wie Studierende in ihrer Selbstfürsorge gestärkt und auf ein professionelles Handeln in Teams und mit Klient_innen vorbereitet werden können.
- Verantwortung – Toleranz und Demokratie: zwischen Kritikfähigkeit der Institutionen und klarer Kante gegen rechts: Vered Berman und Christina König (Frankfurt University of Applied Sciences) moderierten den Workshop, der sich den kontroversen Herausforderungen in der offenen Jugendarbeit widmete. Christina König, Doktorandin der Soziologie, erläuterte in ihrem Input, wie die Soziale Arbeit aktuell mit extrem rechten Jugendlichen umgeht. Anschließend wurde diskutiert, welche Konsequenzen diese Praxiserfahrungen für angehende Sozialarbeiter_innen und ihre Ausbildung haben.
- Arbeitsgruppe mit freier Themenwahl: Asiye Kaya und Nuran Ayten standen für die Moderation des Workshops zur Verfügung, der sich mit den Erfahrungen rassifizierter und von Linguizismus betroffener Studierender an der ASH Berlin beschäftigte. Im Mittelpunkt standen die Auswirkungen sprachlicher Diskriminierung an der Hochschule sowie mögliche Lösungsansätze, um Bildung zugänglicher zu machen, die Sichtbarkeit für diese Studierende zu schaffen und diskriminierungssensible Räume an der Hochschule zu fördern.
Parallel zu den thematischen Workshops fand in der ehemaligen Mensa die Veranstaltung „Hochschule MIT_GESTALTEN“ statt, bei der Studierende für die Gründung einer Fachschaft des Fachbereichs II warben. Die Initiative rief ihre Kommiliton_innen dazu auf, sich aktiv in die Gestaltung des studentischen Lebens einzubringen und gemeinsam eine Vertretung für die Anliegen ihres Fachbereichs aufzubauen. Damit wurden wichtige Schritte hin zu mehr studentischer Beteiligung eingeleitet.
Nach der Mittagspause begann das Nachmittagsprogramm mit dem Launch der „Werteprinzipien im Umgang miteinander“. Mit diesem Dokument hat die Antidiskriminierungskommission der ASH Berlin einen wichtigen Schritt unternommen, um das Leitbild der Hochschule in konkrete Handlungsempfehlungen zu überführen. Der mehrstufige, partizipative Entwicklungsprozess erstreckte sich von Mai 2024 bis Mai 2025 und umfasste mehrere offene Austauschformate sowie ein World-Café. An der begleitenden Online-Befragung nahmen 191 Personen teil. Im Anschluss an die Präsentation des Entstehungsprozesses und der zentralen Inhalte lud die Antidiskriminierungskommission die Teilnehmenden des Hochschultags zu einem weiteren World-Café ein. Unter der Leitfrage „Was tun, wenn die Werteprinzipien im Miteinander nicht eingehalten werden?“ wurden mögliche Handlungsstrategien und Verantwortlichkeiten erörtert.
Der Hochschultag fand seinen feierlichen Abschluss mit der Verleihung des C.W. Müller Preises. Ausgezeichnet wurden die Grundschülerin Maja Esakova sowie die ASH-Studentinnen Claudia Dorfmüller, Melissa Duraku und Lina Holzrichter für ein Studienprojekt, das sich mit der strukturellen Benachteiligung von Kindern durch Erwachsene befasste. Anschließend konnten die Teilnehmenden des Hochschultags, die nach einem langen Tag noch über erstaunlich viel Energie verfügten, diese auf dem Dancefloor bei Musik von DJ Ruru ausleben.