Hochschulleben, Lernen & Lehren Geschütztere Räume etablieren

Mit geschützteren Räumen an der ASH Berlin gegen sexualisierte Diskriminierung und Gewalt.

Vorüberlegungen für ein Schutzkonzept.

 

Eine Couch und eine Pflanze in indirektem Licht einer Stehlampe bilden eine Idee eines Sozialen Wohnzimmers.
Ein Soziales Wohnzimmer als Teil des Schutzkonzepts. Lea Hinzmann

Der Arbeitsbereich Intersektionale Praxis und Transformation (InPut) an der Alice Salomon Hochschule (ASH) arbeitet an der Entwicklung und Implementierung eines Schutzkonzepts an der Hochschule. Dies findet im Rahmen des Projekts „Positioniert und sichtbar ¬ gegen sexualisierte Diskriminierung, Gewalt und antifeministische Angriffe“ (sDGaA) statt. Um die Studierenden dabei einzubeziehen, wurde im Wintersemester 2023/24 ein Seminar zur partizipativen Schutzkonzeptentwicklung für Masterstudierende des Studiengangs „Praxisforschung in Sozialer Arbeit und Pädagogik“ angeboten. Im Rahmen des Seminars, führte ein Teil der studentischen Arbeitsgruppe eine ausgewählte partizipative Forschungsmethode, wertschätzendes Erkunden/ Appreciative Inquiry (wertschätzendes Erkunden) durch.

Gründung einer „Schutzprojektgruppe“

Als Ergebnis wurden mögliche Maßnahmen zur Veränderung formuliert und die Gründung einer „Schutzprojektgruppe“ als zentraler Schritt an der ASH Berlin identifiziert. Diese Gruppe sollte eine breite Vertretung der Hochschulangehörigen einschließen und finanzielle Unterstützung erhalten, um ihre Arbeit zu ermöglichen.
Regelmäßige offene Sprechstunden sowie die Kommunikation der Ergebnisse sollte Transparenz und Zugänglichkeit der Gruppe gewährleisten.
Gemeinsam mit der zweiten Forschungsgruppe des Seminars wurde ein Auswertungsdokument erstellt. In der Kick-Off-Veranstaltung zum Projekt „Positioniert und sichtbar“ wurde betont, dass Hochschulen eine Verantwortung gegenüber ihren Nutzer_innen haben. Auch bei Betrachtung der Ergebnisse der Methode Wertschätzendes Erkunden wurde die ASH Berlin als tragende Kategorie herausgearbeitet, um Veränderungen anzustoßen. Präventive Maßnahmen wie Schulungen und die feste Integration des Themas sDGaA (= "sexualisierte Diskriminierung, Gewalt und antifeministische Angriffe") in Seminare sind dabei essenziell.

Das soziale Wohnzimmer

In der weiteren Auswertung wurde gemeinsam die Idee der Etablierung eines sozialen Wohnzimmers entwickelt, das als informeller Treffpunkt und Rückzugsort dienen könnte. Ein solcher Raum könnte eine wichtige Funktion als Dialog- und Care-Raum für Expert_innen aus Erfahrung, Betroffene und Nicht-Betroffene erfüllen. Als weitere wichtige Schritte wurden die Präsenz eines geschulten Awareness-Teams sowie die Einbettung von Erfahrungsexpertise in Lehre und Unterstützungsstrukturen hervorgehoben. Dies könnte u. a. ausgebaut werden, wenn konstant Wissenschafts-Praxis-Partner_innenschaften geführt würden.
Die Ergebnisse der durchgeführten Methode verdeutlichen, Veränderungsprozesse erfordern eine positionierte institutionelle Basis, getragen von verantwortungsvollen Entscheidungstragenden. Notwendig dafür ist die Aufarbeitung des vergangenen Umgangs mit sDGaA an der ASH Berlin. Geeignetes Mittel zur Untermauerung der Positionierung ist ein Schutzkonzept. Wie kann dies etabliert werden?
Die Veränderung erfolgt über die Irritation und die Instabilität. Transformation birgt Herausforderungen, die Veränderung von bestehenden Strukturen und Hierarchien können Irritationen und Verunsicherungen auslösen. Wie können wir diese Störungen als Chance begreifen?
Eine Möglichkeit besteht darin, eine Umgebung zu schaffen, die den stetigen Prozess des Umdeutens, Scheiterns und Neuanfangs aushält – ohne, dass Betroffene ungewollt Aufklärungsarbeit leisten. Dabei sind klare Verantwortlichkeiten bei Entscheidungstragenden der ASH Berlin und eine partizipative Herangehensweise unerlässlich, z. B. durch die Festschreibung der Thematik sDGaA im Curriculum.
Die Verantwortungsübernahme der Angehörigen der ASH Berlin sollte auf Freiwilligkeit basieren. Bildungsinstitutionen müssen bestehende Hierarchien zwischen Professor_innen und Studierenden überdenken und das individuelle Erfahrungswissen von „betroffenen Minderheiten“ einbeziehen. Abhängigkeits- und Machtverhältnisse sollten nicht repressiv, sondern produktiv wirken. Nur durch transparente Zusammenarbeit und die Berücksichtigung und Anerkennung sowie Aushandlung unterschiedlicher Perspektiven und Interessen, kann ein geschützterer Raum an der ASH Berlin geschaffen werden, der sowohl die Präsenz als auch die Unsichtbarkeit von sDGaA adressiert. So könnten Angehörige und Beteiligte an der ASH Berlin zu einem gemeinsamen Problemverständnis kommen und kooperativ an der Implementierung des Schutzkonzeptes an der ASH arbeiten.

Studien-Ergebnisse fließen in die Gefährdungsanalyse ein

Die international umfangreiche Studie zu geschlechtsbezogener Gewalt in Hochschulen und Forschungseinrichtungen „UniSAFE“ zeigt, wie wichtig es gerade im Hochschulkontext ist, sich bestehende Macht- und Hierarchieverhältnisse vor Augen zu führen, zu hinterfragen und individuell wie auch konzeptionell dagegenzuwirken. Die Studie ergab, dass 62% der Befragten innerhalb ihrer Einrichtung eine Form von geschlechtsbezogener Gewalt erlebt haben, sei es während ihres Studiums oder ihrer Arbeit. Besonders betroffen sind u.a. Gruppen, wie FLINTA*, Menschen mit BeHinderungen oder chronischen Krankheiten.
Zur Gefährdungsanalyse an der ASH Berlin, bearbeitete die studentische Forschungsgruppe folgende Frage mit der Methode des wertschätzenden Erkundens:
Was unternehmen Angehörige der ASH Berlin, wenn sie von sexualisierter Diskriminierung und/oder Gewalt innerhalb der Hochschule bedroht/betroffen sind oder diese mitbekommen?
Die Fragestellung spiegelt verschiedene Ebenen des Betroffenseins von sDGaA sowie die daraus resultierenden Perspektiven wider. Es ergibt sich eine dreidimensionale Betrachtung der Thematik: die Betroffenheit, Bedrohung und das Mitbekommen von sDGaA. Im Sinne des wertschätzenden Erkundens wird die Handlungsfähigkeit der Angehörigen der ASH Berlin betont und adressiert ihre konstruktiven Erfahrungen im Umgang mit sDGaA.
Die Methode Wertschätzendes Erkunden fördert Forschungszugänge weg von problemzentrierten Fragestellungen und verfolgt das Ziel Handlungsoptionen zu identifizieren. Intention ist, Anregungen für konstruktive Veränderungen innerhalb von Organisationen zu geben. Mithilfe der Einbeziehung von subjektiven Sichtweisen, wie Erfahrungswissen und (positiven) Erfahrungswerten werden strukturelle Bedingungen sichtbar gemacht. Die Methode gliedert sich in vier Phasen: Discovery, Dream, Design und Destiny. Diese werden in einem strukturierten Ablauf mithilfe von leitfadengestützten Interviews begleitet.
Der partizipative Forschungsansatz ermöglicht die aktive Beteiligung derjenigen, deren Leben direkt von den Inhalten und Ergebnissen der Forschung beeinflusst wird. In der Forschung über sexualisierte Gewalt tauchen Fragen zur Forschungsethik auf. Das ethische Dilemma ergibt sich daraus, dass im Forschungsprozess einerseits schmerzhafte Erinnerungen bei den Beteiligten ausgelöst werden können, andererseits stellen die Forschungsergebnisse einen individuellen Nutzen sowie einen Beitrag zur Wissenschaft dar. Beteiligte könnten ggf. erstmals ihre Erfahrungen offen teilen, was individuell unterschiedliche Gefühle hervorbringen kann, u. a. auch Selbstwirksamkeit. Insbesondere sind die Machtstrukturen zu berücksichtigen, in deren Kontext sich die Beteiligten bewegen.

Zur Erhebung

Bei der Erhebung nahmen vier Mitstudierende und zwei Dozierende des Seminars zur Schutzkonzeptentwicklung teil. Diese Zusammensetzung erfolgte, da die Erhebung zuerst im Seminarsetting durchgeführt wurde.
Eine vorgesehene zweite Erhebung mit einer Teilnahmeeinladung für alle Studierenden der ASH Berlin, wurde nicht umgesetzt. Die Entscheidung dazu wurde von den Studierenden des Seminars partizipativ gefällt. Eine Erhebung außerhalb des Seminars wäre nicht partizipativ gewesen. Die Beteiligten an der Erhebung wären Teilnehmende und nicht partizipativ Forschende gewesen, auch wenn das Projekt im Seminar partizipativ entwickelt wurde.