Campus Farbe verlebendigt

Im letzten Jahr hat der Berliner Künstler Erich Wiesner die Fußböden im ersten Obergeschoss des Hochschulgebäudes in neue Farben getaucht. Bei einem Treffen im Audimax der ASH Berlin spricht der Künstler über seine Arbeitsweise.

alice Online: Herr Wiesner, worin lag der Reiz, sich dem Fußboden der ASH Berlin zu widmen?

Wiesner: In meinem Atelier habe ich Pigmente auf unterschiedliche Papiere gerieben, sie dann an die Wand gelehnt und in unterschiedlichen Nachbarschaften beobachtet. Für mich ist es interessant, Farben nicht nur isoliert in der Werkstatt oder in Ausstellungen zu zeigen, sondern diese in den öffentlichen Raum zu tragen, um in der Gesellschaft etwas zu bewirken. Schulen und Universitäten sind in diesem Sinne besonders relevant, weil hier junge Menschen durch die Räume gehen. Durch ihre Präsenz bringen sie ihre Wahrnehmung in Kontakt mit den Raumstimmungen und aktualisieren sie.

alice Online: Im Audimax strahlt uns ein kräftiges Rot entgegen. Wie haben Sie sich für die Bodenfarbe im Audimax entschieden?

Wiesner:Nach einem Rundgang durch das Haus mit seinen unterschiedlichen Räumen erlebte ich das Audimax als Zentrum, als das Herz der ASH Berlin, welches zudem durch die Zweigeschossigkeit hervorgehoben ist. Der rote Bodenbelag mit seiner vitalen Schwingung war eine Reaktion auf die Lichtverhältnisse und die atmosphärische Besonderheit des Saales mit seinen vielfältigen Funktionen. Weitere Entscheidungen, die getroffen werden mussten, betrafen das Stuhlmodell und die zwei Farbtöne der Sitzflächen (40 Prozent hell und 60 Prozent dunkel). Daraus ergab sich eine hohe Anzahl möglicher Konstellationen durch das Wirken des Zufalls bei der Verteilung der Stühle. Es wurde bewusste Gestaltung und Komposition vermieden. 

alice Online: Das Audimax ist über den Tag verteilt unterschiedlich besucht. Wie wirkt sich das auf den Raum aus? 

Wiesner: Im Audimax finden unterschiedliche Veranstaltungen statt. Manchmal sind zehn Leute im Raum, manchmal 200. Das hat alles Einfluss darauf, wie wir den Raum wahrnehmen und welche Stimmung erzeugt wird. Menschen nehmen, sei es bewusst oder unbewusst, bestimmte Impulse aus ihrer Umgebung auf. Wie wir zwei hier sitzen ist eine ganz andere Situation, als wenn jetzt sieben Menschen hier wären. Oder siebzig. Wir sind Wesen, die durch die Welt gehen, Impulse aufnehmen und gleichzeitig auch Einfluss haben. 

alice Online: Welche Funktion erfüllt Farbe für Sie hier?

Wiesner: Ich hatte vor, das Audimax zu verlebendigen; es wärmer und interessanter zu machen, weil es vorher ziemlich trist wirkte. Es ist außerdem mein Grundanliegen, ein Gespür für die Einmaligkeit des Ortes zu vermitteln, sodass wir wissen, wo wir uns befinden. Dann können die Prozesse der subjektiven Aneignung beginnen. Die neuen Linoleumbeläge wurden wegen der vielen Schleifspuren und Ritzungen notwendig. Ich würde mir wünschen, dass der jetzige Zustand möglichst lange erhalten bleibt. Die Lackierung der Säulen ist ein Schutzanstrich. Die Farbgebung löst sich von der Funktion, sie ist intuitiv und beschäftigt sich mit der Raumgestalt. 

alice Online: Im ersten Obergeschoss haben die Fußbodenbeläge unterschiedliche Farben ...

Wiesner: Es war der Versuch, auf die wechselnden Lichtquellen (Tageslicht/ künstliches Licht) in den Erschließungsfluren zu reagieren, um die Raumwahrnehmung zu beleben. 
Ursprünglich dachte ich daran, etwas an der Decke oder an den Wänden zu machen. Dann habe ich gesehen, dass die Flächen sehr stark genutzt werden; es wechseln Collagen und Fotos und so weiter. Da habe ich mich am Boden versucht.

alice Online: Welche Herausforderungen gab es bei diesem Auftrag?

Wiesner: Das Material, Linoleum, war gegeben. Wir hatten die Möglichkeit, aus einer Farbkollektion eine Auswahl zu treffen. Wegen des Zeitdrucks war es nicht möglich, größere Muster zu bestellen. Daraus ergaben sich Risiken. Es ist eine Herausforderung, von der Farbwirkung eines A4-Musters auf einen Saal von 180 qm zu schließen. 

alice Online: Ist es geplant, dass die anderen Geschosse auch eine neue Bodenfarbe bekommen?

Wiesner:Das hängt ab vom Etat. Zurzeit ist es möglich, im 2. OG die Erschließungs-zonen neu zu belegen.
Abgesehen davon wäre es wünschenswert, im meistbenutzten Treppenhaus, dem T1, mit Farbfeldern zu arbeiten, die sich mit dem Tageslicht aus dem 4. und 5. OG nach unten ins 3-Dimensionale entfalten und so den Treppenraum temperieren. 

alice Online: Farbe bedeutet für mich …

Wiesner: Das Paradies. Der Farben.