Hochschulleben Empowerment und Sensibilisierung

Das Modellprojekt „Empowerment, Sensibilisierung und antirassistische Öffnung“ an der Alice Salomon Hochschule Berlin vertritt einen einzigartigen Ansatz. Um Rassismus besser zu verstehen und proaktiv dagegen anzugehen, verknüpft es Angebote für Schutzräume, Dialog und Netzwerkbildung.

 

Foto: EmpA
Foto: EmpA

„Ich hatte bis jetzt gar nichts mit Rassismus zu tun.“ „Ich bin recht behütet in meiner weißen Blase aufgewachsen.“ So oder so ähnlich äußern sich nicht-rassismuserfahrene Studierende an der Alice Salomon Hochschule Berlin, wenn sie reflektieren, welche Rolle Rassismus bisher in ihrem Leben gespielt hat. Für viele internationale Studierende und Studierende mit Flucht- und/oder Migrationserfahrung ist das verwunderlich. Sind sie doch mitunter selbst tagtäglich mit Rassismus in unterschiedlichsten Erscheinungsformen konfrontiert. So kann sich in einem Seminar ein internationaler Studierender in der Situation wiederfinden, sich vor Mitstudierenden für das „rückständige Frauenbild im Islam“ rechtfertigen zu müssen. Dass es in seinem soeben gehaltenen Referat weder um Frauenbilder noch um den Islam ging, scheint keine Rolle zu spielen. Dass er dunkle Haare und dunkle Augen hat, scheint Grund genug zu sein.

 

„Ich glaube wirklich, das Bedürfnis einen Schutzraum aufzusuchen, liegt in dem Bedürfnis, die Schutzrüstung ablegen zu können.“

Hinter der Fassade: Spießrutenläufe

Es sind Situationen wie diese, die rassismuserfahrene Studierende tagtäglich schwächen. Jeder Gang an die Uni wird potenziell zum Spießrutenlauf. Die deutsche Dichterin und Pädagogin May Ayim – die als Lehrbeauftragte auch an der Alice Salomon Hochschule Berlin unterrichtete – verwies bereits in den neunziger Jahren auf die Bedeutung von Rassismus als Stressfaktor (siehe dazu: Weißer Stress und Schwarze Nerven. Stressfaktor Rassismus. In: Grenzenlos und unverschämt. Berlin: Orlanda, 1997. S. 111–132). Deshalb braucht es niedrigschwellige Angebote, um alltagsrassistische Erfahrungen einzuordnen und zu verarbeiten. 

 

„Ich merke, dass mir das total gut tut, mich mit euch auszutauschen. Ich wusste gar nicht, dass das überhaupt ein Bedürfnis ist.“

Zugleich ist es nicht verwunderlich, dass viele Studierende kaum wissen, was Rassismus ist, und dass sie – wie wir alle – rassistisch geprägt sind. Denn Rassismus schafft Erfahrungshorizonte, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Hinter der Fassade: Gräben

Zwischen den Erfahrungen der Hochschulangehörigen liegen Gräben. Gräben, die Menschen voneinander trennen und einen Austausch über Rassismus erschweren. Erschwert wird der Austausch, wenn nicht-rassismuserfahrene Menschen die Realität von Rassismus nicht anerkennen, relativieren oder gar abstreiten. Noch schwerer ist es, wenn zwischen den Dialogpartner_innen ein strukturelles Machtgefälle herrscht, wie es bei Lehrenden und Studierenden der Fall ist. Dabei ist sprechen, zuhören und Gehör finden wichtig für jeden Dialog. Notwendig sind daher Sensibilisierungsangebote für alle Hochschulangehörigen, in denen Rassismus „entlernt“ wird.

 

„Das hat viel mit Vertrauen zu tun und mit der Entscheidung, aus unterschiedlichen Positionierungen heraus, das Vertrauen wieder herzustellen.“

Hinter der Fassade: Netzwerke

Erfahrungen schaffen jedoch auch Verbindungen. Seit jeher finden sich Angehörige aller Statusgruppen zusammen, um gemeinsam Veränderungen anzustoßen. Sie gestalten Räume, die möglichst viel Schutz bieten. Gerade die Alice Salomon Hochschule Berlin ist geprägt von engagierten, politisierten und solidarischen Netzwerken aller Art, die neue Denk- und Handlungsräume eröffnen.

 

„May Ayim hat gesagt, es gibt keinen Raum der frei ist von Rassismus! Das würde ich bei allen anderen Diskriminierungsverhältnissen auch sagen. Deshalb sind Safer Spaces für mich ein Bemühen, ein Versuch.“

Hier gilt es, Netzwerkbildung aktiv zu fördern, Peer-to-peer-Beratungskonzepte zu stärken und dem Bedarf nach Bündnissen und möglichst sicheren Räumen entgegenzukommen. Im Wintersemester 2017 hat sich eine Gruppe von Studierenden mit unterschiedlichen Erfahrungshorizonten aus dem B.A. Soziale Arbeit zusammengefunden, um über zwei Semester lang die Relevanz von Schutzräumen zu erforschen. Dabei zeigte sich, dass sehr wohl eine Auseinandersetzung mit Rassismus stattfinden kann, von der alle profitieren.

Hinter der Fassade: Professionalisierung

Als größte staatliche SAGE-Hochschule bereitet die Alice Salomon Hochschule Berlin alljährlich tausende Studierende auf Tätigkeiten im Sozial- und Gesundheitswesen vor. Ein Feld, in dem ein professionelles Verständnis davon, wie Benachteiligung, Ausgrenzung und soziale Ungleichheit funktionieren und wirken, sowie die Reflektion der eigenen Rolle darin unabdingbar ist. Zum Glück sind bereits zahlreiche Hochschulangehörige dafür sensibilisiert, dass Rassismus ein zentrales Ungleichheitsverhältnis darstellt. Sie arbeiten in Kommissionen, Arbeitsgruppen und Initiativen daran, dieses Gewaltverhältnis in seinen unterschiedlichsten Erscheinungsformen entschieden, konsequent und nachhaltig abzubauen.

Hinter der Fassade: Innovation

Das Projekt „Empowerment, Sensibilisierung und antirassistische Öffnung“ des International Office wird vom DAAD als ein Modellprojekt zur Verbesserung der Willkommenskultur finanziert.

 

„Ich sehe in Empowerment-Workshops sowas wie Impulse. Sie setzen wahnsinnig viel frei und dann machen die Leute ihr eigenes Ding.“

Es ist das einzige der 28 bundesweit geförderten Hochschulprojekte, das einen niederschwelligen Empowermentansatz gewählt hat. Der DAAD hat damit den deutlichen Bedarf internationaler und rassismuserfahrener Studierender an Selbststärkung erkannt. Es ist engagierten Hochschulakteur_innen zu verdanken, dass dieser innovative Ansatz an der Hochschule verankert wurde. Damit macht sie einen bedeutsamen Schritt, um die Studienbedingungen für internationale Studierende und Studierende mit Flucht- und/oder Migrationserfahrung zu verbessern.

 

Ansprechpartnerin:

Pasquale Virginie Rotter

Projektkoordinatorin „Empowerment, Sensibilisierung und antirassistische Öffnung“

rotter@ avoid-unrequested-mailsash-berlin.eu

 

Die (gekürzten) Zitate sind der qualitativen Forschungsarbeit der Hochschulwerkstatt „Exklusion und Inklusion im urbanen Raum“ entnommen. Die Gruppe um Iris Steinmann, Sabrina Pala, Moritz Kickel, Luisa Ortiz und Lena Balthaus, Studierende im 2. Fachsemester Soziale Arbeit an der ASH Berlin, hatte sich mit der Frage „Aus welchen Bedürfnissen heraus entstehen Schutzräume von und für Women of Color* in Berlin und wie wirksam sind sie?“ beschäftigt und ihre Ergebnisse im Rahmen der Werkstattpräsentation im Juni 2018 bei den Lehrenden Prof. Dr. Esra Erdem und Dr. Zülfukar Cetin vorgestellt. 

(Dieser Beitrag erschien in dieser Version erstmals in der alice 36 im Wintersemester 2018/19.)