Forschung Rassismen im Gesundheitswesen

Zur Notwendigkeit der expliziten Thematisierung von Rassismus in der Public Health-Forschung

Ein Plakat auf dem steht: Rassismus macht krank - ein besseres Leben für alle
Das Projekt „Rassismen im Gesundheitswesen" untersucht Rassismen in Einrichtungen der Gesundheitsversorgung mit dem Fokus auf Krankenhäuser und stanionäre Rehabilitationseinrichtungen Rasande Tyskar, flickr

Seit etwa zwei Jahrzehnten werden soziale Ungleichheiten im Kontext sozialer Determinanten für Gesundheit in Public Health, beispielsweise im Rahmen der Commission of Social Determinants of Health der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder dem ‚Social Determination of the Health-disease Process‘-Ansatz der Latin American Social Medicine and Collective Health (LASM-CH) erörtert. Dabei überwiegen  eurozentristische Perspektiven im internationalen Diskurs deutlich. Eine Vielzahl an Studien konnte aufzeigen, dass soziale Ungleichheiten zu einer schlechteren Gesundheit führen können. Diese Ungleichheiten beziehen sich beispielsweise auf Kategorien wie Gender, sozioökonomischer Status, Bildung und Migration. Intersektionale Perspektiven, machtkritische Ansätze und die explizite Benennung des Themas „Rassismus“ erfolgt nur vereinzelt und erst seit wenigen Jahren im gesundheits- und pflegewissenschaftlichen Diskurs in Deutschland. Geläufiger sind auch hier Untersuchungsgegenstände im Kontext sozialer Ungleichheit oder Barrieren beim Zugang zur und in der Versorgung.

Betrachtet man das Programm der kürzlich in Berlin stattgefundenen European Conference of Public Health wird deutlich, dass weiterhin ein sehr heterogenes Wording und unterschiedliche Konzepte genutzt werden, um Benachteiligung und rassistische Diskriminierung im Gesundheitswesen zu beschreiben. Nur drei von ca. 1500 präsentierten Vorträgen und Postern legten im Titel den Fokus auf rassistische Diskriminierung, nur ein Vortrag davon explizit auf die Versorgung. Begriffe und Konzepte, die für die Zielgruppe in Untersuchungen herangezogen wurden, reichten alleine innerhalb einer Session zum Thema „Providing services to diverse populations“ in den unterschiedlichen Studien von „immigrants“, „migrants“, „ethnicity“, „of (Herkunftsland) origin“, foreign-born bis zu „foreign background“. Diese Beiträge hatten allesamt das Ziel, Ungleichheiten in der Versorgung oder in Gesundheitsoutcomes aufzuzeigen, wobei nur einer der Beiträge rassistische Diskriminierung als solche explizit benannte. Das verdeutlicht das Problem, dass im nationalen und internationalen Public Health-Kontext weiterhin Ungleichheiten und Barrieren sichtbar gemacht werden, in denen die rassistischen Realitäten der Menschen und intersektionale Wirkungen jedoch selten Sichtbarkeit finden.

Das DeZIM-Institut hat 2022 die erste größere Studie zu „Rassistischen Realitäten“ in Deutschland durchgeführt und veröffentlicht. Rassismus wird hier als strukturelles und gesamtgesellschaftliches Problem verstanden, das vor allem mit gesellschaftlich tradierten Machtstrukturen zusammenhängt. Das bildet sich in den Ergebnissen ab: 22 % der Befragten sind von Rassismus direkt betroffen, 58 % der potenziell rassifizierten Personen geben an, bereits Rassismuserfahrungen gemacht zu haben. Indirekt von Rassismus betroffen ist ein großer Teil der Bevölkerung: 49 % kennen eine rassifizierte Person und 45 % haben bereits einen rassistischen Vorfall beobachtet. Nur 35 % der Bevölkerung geben an, noch nie direkt oder indirekt von Rassismus betroffen gewesen zu sein. Darüber hinaus ist sich fast jede zweite befragte Person darüber bewusst, dass Rassismus nicht nur ein individuelles, sondern auch ein institutionelles bzw. strukturelles Problem darstellt.
 

(...) die explizite Bennenung des Themas „Rassismus" erfolgt nur vereinzelt (...)im gesundheits- und pflegewissenschaftlichen Diskurs in Deutschland.


Erste spezifische Daten zu Rassismus im Gesundheitswesen in Deutschland liefert der Afrozensus, der aus einer intersektionalen Perspektive aufzeigt, dass 50,3 % der befragten Cis-Männer und 67,1 % der Cis-Frauen im Bereich Pflege und Gesundheit Diskriminierung erfahren haben und Schwarze, trans*, inter* und nicht-binäre Menschen mit 81,7 % angeben, in diesem Bereich am meisten Diskriminierung zu erfahren (Aikins et al. 2021).

In zwei eigenen Sekundärdatenanalysen zu den Themen „Intersektionale Perspektiven auf Rassismuserfahrungen von pflegenden Angehörigen türkeistämmiger Menschen mit Demenz“ und „Rassismuserfahrungen von älteren chronisch erkrankten türkeistämmigen Menschen bei der niedergelassenen ärztlichen und medikamentösen Versorgung“ wurden explizit Rassismuserfahrungen ausgearbeitet, die in der Primärdatenanalyse bereits identifizert und unter Kategorien wie „Sprachbarrieren“, „Zugang“ und „negative Erfahrungen“ subsummiert wurden. Die Sekundärdatenanalyse des Materials aus einer intersektionalen Perspektive hat aufgezeigt, auf wie vielen Ebenen das Erlebte bei den Betroffenen nachhaltig wirkt. Die Ergebnisse der zweiten Studie werden in 2023 im Sammelband „Alltagsrassismus“ (Herausgebende: Joseph-Magwood & Polat) veröffentlicht.

Um dem weitgehenden Forschungsdesiderat im deutschsprachigen Raum zu begegnen wird ab dem 1. Januar 2023 das Projekt „Rassismen im Gesundheitswesen“ in der Förderlinie „Aktuelle und historische Dynamiken von Rechtsextremismus und Rassismus“ durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für die Dauer von drei Jahren gefördert, das wir als Konsortium an der ASH Berlin (Prof. Dr. Dr. Hürrem Tezcan-Güntekin), der Universität Witten/Herdecke (Prof. Dr. Patrick Brzoska) und der Hochschule Fulda (Prof. Dr. Regina Brunnett) durchführen werden. Das interdisziplinäre Verbundprojekt untersucht Rassismen in Einrichtungen der Gesundheitsversorgung mit dem Fokus auf Krankenhäuser und stationäre Rehabilitationseinrichtungen. Es werden Patient_innen und Angehörige, Gesundheitsfachkräfte und Leitungskräfte der Einrichtungen befragt, um empirisch fundierte Aussagen über Erfahrungen, Situationen und Deutungen rassistischer Diskriminierung in Institutionen der Gesundheitsversorgung zu machen sowie Ansatzpunkte zu ermitteln, um organisationsbezogen rassismuskritische Professionalität der Gesundheitsfachkräfte und der Organisationen zu entwickeln.

 

Weitere Informationen:
Prof. Dr. Hürrem Tezcan-Güntekin und das Projekt
Tezcan-Güntekin, H., Joseph-Magwood, A., Polat, A. (Hrsg.): Alltagsrassismus. Kohlhammer Verlag 2023

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